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Foto: Marijan Murat, dpa
Foto: Marijan Murat, dpa

Die Krankenhausreform soll unter anderem unnötige Operationen eindämmen.

Interview
03.04.2023

Was bedeutet die Krankenhausreform für die Menschen auf dem Land?

Von Michael Pohl

Der Medizinrechtsexperte Alexander Ehlers warnt angesichts massiver Probleme der Kliniken vor Fehlern einer überhasteten Krankenhausreform.

Herr Professor Ehlers, wir möchten mit Ihnen als Medizinjuristen und Arzt über die geplante Krankenhausreform sprechen: Vor 20 Jahren sollte das Fallpauschalen-System die Probleme lösen, dass Deutschland zu viele Klinikbetten und zu lange Liegezeiten hat. Heute klagen wir über unnötige Operationen und zu schnelle "blutige" Entlassungen. Ein Minister sagte einmal bitterböse, früher hatten wir Freiheitsberaubung, heute Körperverletzung. Kann die geplante Reform diese Probleme lösen, indem sie Kliniken stärker eine Grundfinanzierung spendiert, ähnlich wie der Feuerwehr, die auch nicht nur nach Einsätzen bezahlt wird?

Alexander Ehlers: Es wäre schön, wenn wir mit einer Reform alle Probleme in der stationären Versorgung der Bevölkerung lösen könnten. Aber ich glaube nicht, dass die bisher vorliegenden Vorschläge der große Wurf sind. Es wird nicht ohne einen langwierigen Reformprozess mit vielen Beteiligten gelingen, die gewachsenen Probleme im Krankenhaussystem zu lösen. Ich erinnere mich als Mediziner an die im internationalen Vergleich sehr langen Liegezeiten, bevor die Fallpauschalen eingeführt wurden. Bei einer Leistenbruch-OP lag ein Patient über zehn Tage im Krankenhaus. Heute macht man diese Operation zu Recht ambulant. Das heißt, der Patient kann am selben Tag nach Hause. Die Fallpauschalen haben das Wirtschaftlichkeitsgebot durchgesetzt: dass nur das getan wird, was ausreichend, zweckmäßig, notwendig und wirtschaftlich ist. Allerdings beklagt heute nicht nur der Gesundheitsminister eine Über-Ökonomisierung des Systems. Das liegt auch an der Politik, die die Kliniken in diese Lage zwingt.

Wo liegen die Ursachen dieser Über-Ökonomisierung?

Ehlers: Die Fehler der Politik liegen vor allem bei den Ländern, die im Rahmen der Investitionsfinanzierung ihren Pflichten nicht nachkommen, und in einer mangelhaften Weiterentwicklung der Fallpauschalen. Die Krankenhäuser bekommen ihr Geld einerseits für die Patientenversorgung über Fallpauschalen und für Pflegekosten. Für diese Finanzierung über die Krankenversicherungen ist der Bund zuständig. Für die Investitionen, etwa in Gebäude, Medizintechnik, Modernisierung, Digitalisierung, sind die Länder zuständig. Die Länder erfüllen diese Pflicht schon seit Jahren nicht ausreichend und hielten sehr viel Geld zurück. Die Krankenhäuser müssen ihre Investitionen deshalb aus Mitteln bezahlen, die eigentlich zur Patientenversorgung bestimmt sind. Das führt zu enormem wirtschaftlichen Druck. Zudem gibt es Bereiche wie die Orthopädie, wo laut Studien in Deutschland zu viel operiert wird. Deshalb muss man bei einer Reform alle Bereiche genau in den Blick nehmen. Allein die Grundfinanzierung zu ändern, wird nicht ausreichen.

Die Reform setzt darauf, kleine Kliniken in ambulante Zentren umzubauen und große Kliniken als Maximalversorger in ihrer Qualität zu stärken. Wo sehen Sie die wichtigsten Hebel für eine Reform?

Ehlers: Schon vor Jahrzehnten stellten Mediziner den Grundsatz auf, so viel ambulant wie möglich, so viel stationär wie nötig. Aber mit seinen fast wild gewachsenen Strukturen hat sich das deutsche Gesundheitssystem in den vergangenen hundert Jahren immer komplexer entwickelt. Das gilt auch für die Grenzen zwischen dem ambulanten und stationären Bereich. In der Realität bedeutet das für Patienten unnötige Doppel- und Mehrfachuntersuchungen. Es gibt keine Digitalisierung und Vernetzung zwischen den Bereichen und eine sehr komplizierte Finanzierung. Zugleich explodieren die Kosten. Deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt, grundsätzliche Fragen zu stellen: Welche Struktur brauchen wir wirklich? Wo brauchen wir welche Versorgungseinheit? Wie viele Krankenhäuser in der Grund- und Maximalversorgung? Wo reichen ambulante Zentren und besserer Patiententransport? Wie kann man die Schnittstelle zwischen ambulant und stationär verbessern? Und allem voran: Was nutzt den Patienten am besten? Nur so könnte die Krankenhausreform der große Wurf werden, den wir dringend benötigen.

Viele Menschen auf dem Land fürchten sich vor einem Krankenhaussterben durch die Reform. Haben sie nicht allen Grund dazu?

Ehlers: Natürlich müssen wir eine flächendeckende Versorgung gewährleisten – nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Lande. Es geht nicht darum, einfach Standorte zu schließen. Kleinere Häuser kann man zu ambulanten Zentren umbauen, manche zu einer Art Poliklinik im Sinne einer integrierten Versorgungseinrichtung, der man vielleicht sogar den Titel Krankenhaus lässt. Insgesamt geht es darum, dass die Menschen in ihrer Nähe eine Grundversorgung erhalten. Wenn es aber um schwierigere Fälle geht, gibt es Überweisungen zu größeren stationären Einrichtungen. Auch wenn das weitere Wege bedeutet. 

Aber welchen Nutzen hätten die Patienten von so einer Reform?

Ehlers: Es geht um die Qualität der Versorgung und den medizinischen Fortschritt. Heute gilt, dass sich das medizinische Wissen alle zweieinhalb bis vier Jahre verdoppelt. Wir können immer mehr machen, aber das kostet eben Geld. Deshalb müssen wir schauen, wo wir einsparen können, ohne die Versorgung der Bevölkerung zu verschlechtern, indem wir keine Strukturen bezahlen, die wir nicht nötig brauchen. Bei Operationen zählt zudem eine ausreichende Menge an Eingriffen als Qualitätsmerkmal für Erfolg. Hier sind kleine Kliniken im Nachteil. Das gilt auch für die Ausstattung und interdisziplinäre Teams. Wir brauchen deshalb mehr Transparenz, damit sich die Patienten über die Qualität der Versorgung informieren können. Aber was wäre die Alternative zu einer Reform? Eine schlechtere Versorgung und explodierende Kosten. Die Kassen erwarten allein für 2024 eine Finanzierungslücke von 30 Milliarden Euro. Und was nutzt den Menschen ein Krankenhaus, das falsch aufgestellt ist und immer tiefer in finanzielle Schwierigkeiten und Existenznot gerät? 

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Foto: Kanzlei
Foto: Kanzlei

Arzt und Medizinrechtler Alexander Ehlers.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will die Reform nach Verhandlungen mit den Ländern bis zum Sommer festzurren und noch dieses Jahr beschließen. Reicht das wirklich an Zeit?

Ehlers: Eindeutig nein. Für so eine große Reform braucht es mehr Zeit. Es war klug, dass Minister Lauterbach die Länder an den Verhandlungstisch geholt hat, weil sie für die Krankenhausplanung zuständig sind. Aber das reicht nicht. Der entscheidende Punkt für einen Erfolg der Krankenhausreform ist, wirklich alle relevanten Seiten, zum Beispiel auch Kassen, Krankenhäuser, Ärzte, Kommunen, inklusive der Patientenvertretung, an einen Tisch zu holen, um gemeinsam über die Defizite, die Reform und ihre Umsetzung zu diskutieren. Ansonsten droht viel Gegenwehr. Wir brauchen einen großen Wurf, ähnlich wie vor 30 Jahren bei der legendären Lahnstein-Konferenz, als sich erstmals eine Regierung mit der Opposition gemeinsam auf einen wirklichen Durchbruch einer Gesundheitsreform einigen konnte, mit freier Kassenwahl und dem Risikostrukturausgleich.

Wir sprachen über unnötige Operationen. Wie könnte die Reform den Patienten wirklich nützen?

Ehlers: Wir müssen bei der Reform die Patienten in den Mittelpunkt rücken; das bedeutet auch, ihr Selbstbestimmungsrecht zu stärken. Unser Gesundheitssystem hat sich seit der patriarchalischen Medizin, als man von Halbgöttern in Weiß sprach, dramatisch weiterentwickelt. Heute sollen zum Beispiel die Aufklärungspflichten das Informationsgefälle zwischen Arzt und Patient mindern. Hier müssen wir weiter vorangehen. Mehr Informationen, Digitalisierung und Transparenz verbessern in einer partnerschaftlichen Medizin die Entscheidungsmöglichkeiten der Patienten, selbstbestimmt die Leistungen zu wählen, die sie wirklich brauchen.

Zur Person: Alexander Ehlers, 67, ist Anwalt für Medizinrecht und Facharzt für Allgemeinmedizin. Der Hochschullehrer lebt in München und ist Ehrenpräsident der Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen.

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