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Iran: Sind die Iran-Atomverhandlungen noch zu retten?

Iran

Sind die Iran-Atomverhandlungen noch zu retten?

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    Die Schwerwasser-Atomanlagen in der Nähe der Stadt Arak gehört zu den Stätten, die sich im Fokus der Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) befinden.
    Die Schwerwasser-Atomanlagen in der Nähe der Stadt Arak gehört zu den Stätten, die sich im Fokus der Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) befinden. Foto: Hamid Foroutan, dpa

    Wir wissen nicht, ob sich Bundeskanzler Olaf Scholz über die Glückwünsche des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi zu seiner Wahl gefreut hat. Als sicher kann aber gelten, dass Scholz und die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock erleichtert wären, wenn die Atomverhandlungen in Wien mit dem Iran doch noch mit einem Erfolg enden könnten. Viel spricht derzeit nicht dafür. Fast alarmistisch klingt das Statement, das der EU-Chefverhandler Enrique Mora vor wenigen Tagen abgegeben hat: „Wir haben nicht mehr Monate, sondern nur mehr Wochen Zeit für eine Einigung“, sagte der Diplomat zum Abschluss der aktuellen Verhandlungsrunde in Wien.

    Der leitende Redakteur des Onlinemagazins Iran Journal, Farhad Payar, vergleicht das Ringen um den Atomdeal mit einem „großen Pokerspiel“. Er gehe davon aus, dass es am Ende doch noch eine Einigung geben werde, da für alle Seiten viel auf dem Spiel stehen würde, sagte Payar im Gespräch mit unserer Redaktion.

    Irans Präsident Raisi schickte eine neue Delegation nach Wien

    Dass die Verhandlungen zwischen dem Iran und den USA, bei denen Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland und China als Vermittler agieren, wieder einmal an den Rand des Scheiterns zu geraten scheinen, liegt auch an dem Mann, der Kanzler Scholz gratulierte. Denn der iranische Staatschef Raisi schickte nach seinem Sieg im August bei einer Wahl, die mit westlichen Vorstellungen von einer lebendigen Demokratie kaum etwas zu tun hat, eine neue Delegation nach Wien, die zunächst keinerlei Kompromissbereitschaft zeigten. Ihr Credo: Zuerst müssen die US-Sanktionen fallen, erst dann kann es Fortschritte geben. Das hört sich unversöhnlich an. Doch Payar, der viele Kontakte in den Iran pflegt, ist sich sicher, dass die iranische Seite bei Bedarf schnell ihre Positionen wechseln werde: „Gläubigen Muslimen ist es nach dem Koran erlaubt, auch mal etwas vorzutäuschen, ja zu lügen, wenn es für den Islam und die islamische Gesellschaft von Nutzen ist.“

    Auch Konflikte des Westen mit Russland und China belasten die Verhandlungen

    US-Präsident Joe Biden pocht – wie auch Deutschland, Frankreich und die Briten – darauf, dass der Iran sein Atomprogramm so weit herunterfährt, dass die Herstellung einer Atombombe außer Reichweite gerät. Als gesichert gilt, dass der Iran sich seit geraumer Zeit nicht mehr an die von den USA unter dem früheren US-Präsidenten Donald Trump aufgekündigte Vereinbarung von 2015 hält. In den Atomanlagen wird beinahe waffenfähiges Uran produziert. Die Sorge ist, dass die nukleare Entwicklung im Iran in wenigen Wochen so weit fortgeschritten ist, dass die Verhandlungen Makulatur sein würden.

    Im Juli 2015 war die Hoffnung groß: Irans damaliger Außenminister Mohammed Dschawad Sarif zeigt den einen Teil des Entwurfs der Atomeinigung auf dem Balkon des Coburg Palastes. in Wien.
    Im Juli 2015 war die Hoffnung groß: Irans damaliger Außenminister Mohammed Dschawad Sarif zeigt den einen Teil des Entwurfs der Atomeinigung auf dem Balkon des Coburg Palastes. in Wien. Foto: Mehdi Ghassemi, dpa (Archivbild)

    Für Payar, der im Iran geboren und aufgewachsen ist, ist schwer einzuschätzen, wo der Iran bei der Entwicklung von Atomwaffen derzeit steht. Es gebe unterschiedliche Einschätzungen aus diversen Quellen. Belasten würde die Verhandlungen zudem, dass die Konflikte zwischen dem Westen einerseits sowie Russland und China andererseits hineinspielten. Er denke beispielsweise an den Aufmarsch russischer Truppen an der ukrainischen Grenze. „Sollte sich die Situation dort weiter verschärfen, könnte der Iran davon profitieren, weil Russland dem Land helfen könnte, seine Nukleartechnik zu verbessern – allerdings will auch Moskau verhindern, dass Teheran eine Bombe baut.“ Auch dies sei Teil des Pokerspiels.

    Israel sieht seine Existenz durch das iranische Atomprogramm gefährdet. Unverhohlen droht das Land seit Jahren damit, die Produktion einer atomaren Bombe notfalls mit militärischer Gewalt zu verhindern. Das dürften keinesfalls leere Worte sein. Immer wieder gab es Schläge gegen iranische Nuklearanlagen, aber auch Akte der Sabotage und Hackerangriffe – hinter all dem steckt Israel, da sind sich viele Experten einig.

    Die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur geht fest davon aus, dass die iranische Regierung, aber auch der mächtigste Mann im Land, der 82-jährige oberste Führer Ajatollah Ali Chamenei, die israelischen Warnungen sehr ernst nehmen: Die Regierung wisse, dass sich die Anrainerstaaten bei einer nuklearen Bedrohung gegen den Iran verbünden würden. Auch sei dem Regime klar, dass es im Falle eines militärischen Konflikts mit Israel „schnell weg vom Fenster wäre“, sagte die Kölner Professorin bereits vor einiger Zeit unserer Redaktion.

    Gilt als mächtigste Mann im Iran: , Der heute 82-jährige oberster Führer Ajatollah Ali Chamenei auf einem Archivbild.
    Gilt als mächtigste Mann im Iran: , Der heute 82-jährige oberster Führer Ajatollah Ali Chamenei auf einem Archivbild. Foto: Abedin Taherkenareh, dpa (Archivbild)

    Bei den Verhandlungen in Wien ging es zuletzt nicht um die großen Linien. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) verlangte Auskunft über angeblich nicht auffindbare Aufzeichnungen einer Überwachungskamera, die in einer Werkstatt für Nukleartechnologie in Karadsch installiert war. Dort werden Zentrifugen zur Anreicherung von Uran hergestellt. Dieses angereicherte Uran könnte friedlich, aber auch militärisch eingesetzt werden. IAEA-Chef Rafael Grossi äußerte Zweifel an der Version aus Teheran, dass die Kamera bei einem Sabotageakt im Juni zerstört worden sei. Immerhin sagte der Iran in der letzten Woche zu, der IAEA die Überwachung der Anlage in Karadsch wieder zu ermöglichen.

    Während die Unterhändler in Wien über technische Details streiten, ist die wirtschaftliche Lage im Iran extrem angespannt. Zur ökonomischen Krise kommt die Corona-Pandemie. „Die Regierung sagt zwar, dass sie alles im Griff habe und 50 Millionen der mehr als 80 Millionen Iraner zweimal geimpft seien, aber meine Kontakte in die Bevölkerung lassen mich an diesen Worten zweifeln“, sagt Payar.

    Die iranische Bevölkerung leidet unter den Sanktionen, Misswirtschaft und Korruption

    Die Bevölkerung leidet nach jahrzehntelangen Sanktionen, Misswirtschaft und Korruption derzeit besonders stark unter Kaufkraftverlust. „Nach zuverlässigen Informationen leben rund 60 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze. Für viele ist die Ungewissheit, was morgen passiert, am schwersten zu ertragen.“ Vor diesem Hintergrund sei unter den Iranern und Iranerinnen das Interesse an den Atomverhandlungen gesunken. Farhad Payar: „Der Regierung glaubt in der einfachen Bevölkerung kaum noch jemand. Viele sagen, dass sich ihr Leben auch bei einem neuen Atomvertrag nicht verbessern würde. So war es auch 2015, als nach der Vertragsunterzeichnung Milliarden im Ausland eingefrorene Dollar in das Land flossen. Bei den einfachen Iranern kam davon allerdings kaum etwas an.“

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