Corona, Lehrermangel und mehr: Die vergessenen Probleme der Schulen

28.07.2022

Plus Engagierte Lehrkräfte, Kinder und Eltern haben auch dieses Schuljahr die Versäumnisse der Politik kompensiert. Dabei weiß jeder, was sich ändern muss.

Sommerferien, Zeit zum Durchatmen, die unbeschwertesten Wochen des Jahres. „Endet nie, bleibt für immer, la-la-lange Ferien“, rappt die HipHop-Gruppe Deine Freunde. Kinder lieben die Band – und für sie trifft hoffentlich auch alles ein, was der Text des Songs verspricht: lange schlafen, Freibad, Sand in den Schuhen.

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Rektoren und Schulleiterinnen hingegen bewegen sich in diesen Sommerferien wie auf Treibsand. Viel Zeit zum Verschnaufen bleibt ihnen nicht. Sie werden bald wieder an den Schreibtischen sitzen, Vorgaben dehnen, Verzichtbares streichen und am Ende etwas vorweisen, das man Stundenplan nennt. Die Versäumnisse der Bildungspolitik zu kompensieren, darin haben sie bittere Erfahrung.

Dieses Jahr war es besonders hart. Manche Lehrkräfte sagen: so schwierig wie nie. Zu wenig Personal, Corona, allein in Bayern 27.000 neue Schülerinnen und Schüler, geflüchtet aus der Ukraine. Hinzu kommt die Angst vor dem Herbst. Die Sommerferien werden als Vorbereitungszeit nicht reichen, damit zum neuen Schuljahr alles glatt läuft. Wo anfangen? Einmal mehr beim Lehrkräftemangel, da er alle anderen Herausforderungen verstärkt.

Das Kultusministerium wirbt um Lehrer für Bayerns Schulen

In Bayern etwa konnten zeitweise 15 Prozent der Lehrkräfte wegen Krankheit oder einer Schwangerschaft nicht unterrichten. Jüngst prognostizierte der Nationale Bildungsbericht, dass bis 2030 rund 30.000 Lehrkräfte an deutschen Schulen fehlen werden. Jahrelang wurde politisch nur beschwichtigt, doch mittlerweile bestreitet niemand mehr, dass Personalmangel herrscht – auch nicht das bayerische Kultusministerium. Im Radio laufen Werbespots für den Lehrerberuf, in München stand im Ausgehviertel ein riesiges Banner: Jetzt Lehrer werden!

Das Fachpersonal fehlte heuer besonders schmerzlich. Die Leistungskurve von Schülerinnen und Schülern zeigt nach unten. Erst Anfang Juli wurde deutlich, dass sich Viertklasskinder bei der jüngsten bundesweiten Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen signifikant verschlechtert haben. Beim Schreiben scheitert knapp ein Drittel der Kinder an den Mindeststandards, in Mathematik ist es rund jedes fünfte – und Bildungserfolg hängt so sehr vom Elternhaus ab wie lange nicht. Der Aufwärtstrend durch die Reformen nach dem Pisa-Schock 2001: zusammengeschrumpft. In Bayern ist die Lage traditionell etwas besser als im Bundesschnitt, Ergebnisse für die Länder folgen im Herbst.

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Eltern haben übersteigerte Erwartungen an Schule

Ja, die Lücken mögen zum Teil in den Lockdowns entstanden sein, wie es die Kultusministerkonferenz erklärte. Aber nicht nur. Die Schüler lernen schon seit zehn Jahren schlechter. Und das liegt auch daran, dass Lehrkräfte oft keine Zeit haben, auf jedes Kind einzeln einzugehen, dass sie sich die Frage stellen müssen: Übe ich dasselbe Thema wieder und wieder oder versuche ich, auch den Rest des Stoffs durchzubringen?

Noch dazu steigen die Erwartungen an die Schule. Es gibt Eltern, die den Erziehungsauftrag abschieben. Die nicht schauen, ob ihr Nachwuchs auf die nächste Probe lernt. Das erwarten sie wie selbstverständlich von der Schule.

Diese Kombination aus einem verschleppten Lehrermangel, übersteigerten Erwartungen, Pandemie und Krieg haben die Schieflage verursacht. Engagierte Lehrkräfte, Pensionäre, Elternbeiräte und verständnisvolle Familien haben – wieder einmal – vieles davon abgefedert. Auf Dauer aber helfen nur mehr Lehrkräfte. Wo sie herkommen sollen, auf diese Frage fehlt bisher die Antwort.

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