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Kommentar: Deutschland steckt mitten in einer Bildungskrise, aber wo bleibt der Aufschrei?

Kommentar

Deutschland steckt mitten in einer Bildungskrise, aber wo bleibt der Aufschrei?

Lea Thies
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    Deutschland steckt gerade mitten in einer Bildungskrise: Es fehlen Kitas, Lehrkräfte, Hort-Plätze - und deshalb auch Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt.  Wo bleibt der Aufschrei der Wirtschaft und der Gesellschaft?
    Deutschland steckt gerade mitten in einer Bildungskrise: Es fehlen Kitas, Lehrkräfte, Hort-Plätze - und deshalb auch Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt. Wo bleibt der Aufschrei der Wirtschaft und der Gesellschaft? Foto: Jens Kalaene, dpa

    Deutschland befindet sich in der größten Bildungskrise seit dem Zweiten Weltkrieg – und dennoch hält sich die Empörung darüber in Grenzen. Kein bundesweiter Aufschrei! Kein milliardenschwerer Masterplan! Wie kann das sein? 

    Jetzt über das Kopftuch in Kitas zu diskutieren, ist weltfremd und ignorant

    Da werden zeitraubende Politik-Pirouetten im Klein-Klein gedreht, Schuldzuweisungen gemacht, lieber auf Berlin geschimpft (obwohl Schulen und Kitas Ländersache sind), anstatt nachhaltige Lösungen zu finden. Lieber Lehrkräfte aus Nachbarbundesländern abwerben, anstatt die Arbeitsbedingungen der Lehrerinnen und Lehrer verbessern, damit auch wieder mehr junge Menschen Lust auf den Beruf haben. Und der CSU fällt in Zeiten, in denen Kitas händeringend jede Fachkraft brauchen, nichts Besseres ein, als ein Kopftuchverbot für Erzieherinnen zu thematisieren, über das laut

    Seit Jahren lässt die Politik Eltern, Schulfamilien und Kitas im Stich

    Seit Jahren klagen Schulen über zu wenig Personal und zu große Klassen. Seit Jahren wollen weniger junge Menschen Lehrkräfte werden. Seit Jahren fordern Eltern mehr Kindergarten-, Hort- oder Krippenplätze – seit Jahren lässt die Politik die Eltern, Schulfamilien und Kitas im Stich und damit Fachkräfte, Steuerzahlerinnen und Steuerzahler – auch die von morgen. Ministerien verfassen Pressemitteilungen, wie viele Tausende Betreuungsplätze in den nächsten Jahren geschaffen werden sollen, aber erwähnen darin nicht, wo die vielen Betreuerinnen dafür herkommen sollen, und auch nicht, was gegen den aktuellen Notstand getan wird

    Von Investitionen in Bildung profitiert die ganze Gesellschaft

    Ist es wirklich noch nicht bei allen in Politik und Wirtschaft angekommen, dass Schulen, Horte, Kitas systemrelevante Einrichtungen sind? Dass (frühkindliche) Bildung ein essenzieller Standortfaktor ist, wenn das Land für Fachkräfte aus dem Ausland attraktiv sein soll? Dass Bildung Deutschlands Rohstoff ist – dessen Qualität laut der Pisa-Studie nachweislich abnimmt? Dass Investitionen in Bildung und Kinderbetreuung Investitionen in die ganze Gesellschaft sind? Davon profitieren schließlich alle. Jung wie alt. Eltern wie Kinderlose. Heute und morgen. 

    Die Wirtschaft beklagt Fachkräftemangel, läuft aber nicht gegen die Bildungsmisere Sturm

    Und wie kann es sein, dass die Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände nicht längst Sturm laufen, den Druck auf die Politik massiv erhöhen und im großen Stil mithelfen, nach Auswegen aus der Bildungs- und Betreuungsmisere zu suchen? Sie sind es, die den Fachkräftemangel beklagen oder die fehlende Kompetenz von Bewerberinnen und Bewerbern, und gleichsam den Zustand in Kauf nehmen, dass sich entweder berufstätige Eltern in der Doppelbelastung zwischen Arbeit und Not-Kinderbetreuung aufreiben oder dem Unternehmen durch einen Totalausfall einer Arbeitskraft wirtschaftlicher Schaden entsteht. Hinzu kommen zigtausend gut ausgebildete Frauen, die als Fachkraft auf dem Arbeitsmarkt fehlen, weil sie keinen Betreuungsplatz für ihre Kinder haben.

    Ökonomische Arroganz in Zeiten des Fachkräftemangels

    Deutschland kann sich in Fachkräftemangelzeiten diese ökonomische Arroganz, ja Fahrlässigkeit nicht mehr leisten, nicht alle Talente in den Arbeitsmarkt zu bringen oder gar Menschen durchs Raster fallen zu lassen. Es kommt auf jede und jeden an, denn nicht alle Jobs können von Maschinen übernommen werden! 

    Die Zeit drängt. Noch ist die Lage nicht aussichtslos. Andere Länder haben schon Lösungen gefunden, wie das Bildungssystem verbessert werden kann. Deutschland könnte sie kopieren: Zum Beispiel, wie Singapur es geschafft hat, das Ansehen des Lehrerberufs zu steigern oder die Aus- und Weiterbildung von pädagogischem Personal zu verbessern. Wie finanzieren?

    Warum nicht einen Bildungs-Soli einführen?

    Deutschland könnte etwa das Ehegattensplitting abschaffen, das erwiesenermaßen Frauen benachteiligt und den Staat jährlich 20 Milliarden Euro kostet. Firmen müssen pro Mitarbeitende Parkplätze ausweisen – warum nicht auch Kitaplätze einfordern? Oder die Politik belebt ein Erfolgsmodell "made in Germany" wieder: den Solidaritätsbeitrag, aber einen für die Bildung. Jeder Mensch, der arbeitet, zahlt einen Bruchteil seines Gehalts, damit die nächste Generation ihr Recht auf Bildung bekommt, Eltern arbeiten können und neue Fachkräfte auf den Markt kommen. So ein Bildungs-Soli hätte noch dazu das Zeug, den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu fördern. Auch davon hätten alle etwas. 

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