Chaos an den Finanzmärkten, ein marodes Gesundheitssystem und die Folgen des Krieges in der Ukraine: Die Probleme, die die konservative britische Tory-Partei in den nächsten Wochen angehen muss, sind riesig. Als Boris Johnson im September seine Abschiedsrede als Premier vor der Downing Street 10 hielt, waren viele Abgeordnete den Tränen nahe. Dass er jetzt nicht noch einmal antritt, hat allerdings ein noch größeres Chaos verhindert als Kurzzeit-Regierungschefin Liz Truss ohnehin schon angerichtet hat.
Nachfolge von Liz Truss: Boris Johnson hat sich verrechnet
Johnson hat seit Samstag eindrücklich unter Beweis gestellt, dass er dieses Amtes nicht mehr würdig ist. Er scharte Abgeordnete hinter sich, überzeugte sie, für ihn zu stimmen, nur um tags darauf einen Rückzieher zu machen. Die Behauptung, dass er mehr als 100 Unterstützer hatte, scheint abwegig. Wahrscheinlicher ist, dass er fürchtete, zu verlieren und dieser Schmach entgehen wollte. Johnson hat offenbar nur an sich und seine Karriere gedacht, wieder einmal.
Denn für Boris Johnson zählt eben vor allem eines: Boris Johnson. Er will geliebt und verehrt werden. Deshalb hat er immer wieder genau das erzählt, was andere hören wollten, und so Britinnen und Briten sowie konservative Politiker hinter sich geschart. Nachhaltig profitiert hat davon keiner außer ihm selbst. Bis nun auch er scheiterte. Johnson war gut darin, die Macht zu erobern, sich für eine Sache ernsthaft einzusetzen und sich dabei auch einmal unbeliebt zu machen, war nie seine Stärke.
Genau das wird aber nun von dem neuen Premierminister erwartet. Rishi Sunak muss einen harten Sanierungskurs fahren, um den Haushalt in Ordnung zu bringen. Er hat Erfahrung im Kabinett gesammelt und ist Britinnen und Briten durch Hilfsmaßnahmen, die er insbesondere während der Pandemie ergriffen hat, bekannt. Während des Wahlkampfes warb er damit, dass er den Menschen keine Lügen erzählen wolle, um sich beliebt zu machen. Als früherer Finanzminister und mit seiner beruflichen Erfahrung in der Finanzbranche ist er somit eigentlich genau der richtige Kandidat aus dem Kreis der Tories, um die vielen großen Probleme anzugehen. Ob ihm das gelingt, bleibt jedoch fraglich.
Die Partei ist beim neuen Premierminister Rishi Sunak gespalten
Insbesondere der rechtskonservative Teil der Partei steht ihm skeptisch gegenüber. Er hält Sunak für einen Verräter und überdies für zu technokratisch. Denn zumindest mit einer Aussage hatte Johnson in seiner Ankündigung vom Sonntag recht: Die Partei ist tief gespalten. So haben die Tories zwar die Mehrheit im Parlament und damit die Macht, etwas zu bewegen, sie finden aber dennoch keine gemeinsame Richtung. Das Einzige, worauf sie sich einigen konnten, war es, Geld auszugeben. Geld, das sie nun, nach der Amtszeit von Truss, nicht mehr haben.
Nachdem die 48-Jährige einen anderen Kurs als vor ihr Johnson gewählt hatte, wird Sunak erneut eine neue Richtung einschlagen. Es sind chaotische Zustände in ohnehin chaotischen Zeiten. Sunak ist der dritte Parteichef innerhalb weniger Wochen, aber wie schon im Fall von Liz Truss hat nur die Partei für ihn gestimmt. Die Wählerinnen und Wähler wenden sich von den Tories ab. Käme es jetzt zu Neuwahlen, würde die konservative Partei grandios scheitern. Sunak steht also ein politischer Kraftakt bevor. Wie gut er diesen bewältigt, wird sich schon in wenigen Tagen zeigen. Dann muss er die ersten schmerzhaften Kürzungen und Steuererhöhungen ankündigen. Die Wähler werden es hassen, viele Tories werden es hassen. Nötig ist es trotzdem.