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Kommentar: Wir müssen über Schwangerschaftsabbrüche reden

Kommentar

Wir müssen über Schwangerschaftsabbrüche reden

Maria-Mercedes Hering
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    Frauen protestieren gegen den Paragrafen 219a, der das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche regelt. Die Ampel-Regierung will die gesetzlichen Regelungen neu fassen.
    Frauen protestieren gegen den Paragrafen 219a, der das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche regelt. Die Ampel-Regierung will die gesetzlichen Regelungen neu fassen. Foto: dpa

    Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland strafbar. Bis heute. Nur unter bestimmten Voraussetzungen bleiben sie straffrei und auch das ist erst seit den 1970ern Jahren so. Spätestens mit der Bewegung um den Stern-Titel „Wir haben abgetrieben“ hat der Gesetzgeber erkannt, dass Abbrüche in jedem Fall stattfinden, auch wenn sie verboten sind. Nur dass sie dann ein viel größeres Risiko bergen – ein rechtliches für Ärztinnen und Ärzte, ein gesundheitliches für Betroffene. So sind Schwangerschaftsabbrüche heute in Deutschland in drei Fällen straffrei: Wenn die Schwangerschaft aus einer Vergewaltigung resultiert oder wenn sie eine gesundheitliche Gefahr für die Schwangere darstellt. Und dann ist da noch die sogenannte Beratungsindikation – die umstrittenste der drei: Wer eine Schwangerschaftskonfliktberatung macht, kann innerhalb eines gewissen Zeitraums die Schwangerschaft abbrechen.

    Ungewollt Schwangere müssen für einen Abbruch hohe Hürden überwinden

    Das sind heute die Voraussetzungen für einen straffreien Abbruch. Wer sich an diese Regeln hält, sollte ohne Strafe abtreiben dürfen. Denn es wären ja alle Hürden überwunden, die das Gesetz vorschreibt. Doch warum wirkt es dann wie eine Bestrafung von ungewollt Schwangeren, was so viele auf ihrem Weg zum Abbruch erleben? Demütigungen und Beleidigungen, eine schlechte Informationslage, eine einseitige, parteiische Beratung, eine unzureichende Aufklärung und medizinische Versorgung? Von vielen solchen Erfahrungen berichten über 1300 Betroffene bei einem gemeinsamen Projekt des Recherchenetzwerks Correctiv, der Organisation FragdenStaat und unserer Redaktion. Ihre Erzählungen zeichnen das Bild eines gravierenden Problems in der Versorgung.

    Die Berichte der Betroffenen zeigen auch: Schwangerschaftsabbrüche sind noch immer ein Tabuthema – in der Familie, unter Freundinnen und Freunden, im Beruf und auch im medizinischen Bereich. Diese Situation kann Betroffene stark belasten und nachhaltig schädigen. Zum Beispiel wenn sie sich aus Angst vor Stigmatisierung nicht mehr zur Vorsorge trauen. Oder wenn sie unzureichend behandelt und Folgen einer schlechten Versorgung nicht erkannt werden.

    All das muss sich dringend ändern. Wir müssen über Schwangerschaftsabbrüche reden. Die Ampel-Regierung muss schnellstmöglich das sogenannte Werbeverbot für Abbrüche abschaffen, damit Ärztinnen und Ärzte umfassend und leicht zugänglich informieren können. Und damit es keinen Grund mehr für Kliniken und Praxen gibt, nicht öffentlich auf ihre Angebote – im Sinne einer dringend notwendigen medizinischen Versorgung – aufmerksam zu machen. Wir brauchen Websites und Hotlines, die unkompliziert Auskunft geben, an wen sich Betroffene wenden können. Und wir müssen das Thema endgültig öffentlich diskutieren.

    Der Staat muss die Versorgungslage bei Schwangerschaftsabbrüchen verbessern

    Der Staat, der die Versorgungslage sicherstellen muss, muss sich dem Problem stellen – mit konkreten Plänen dafür, bessere und mehr Information, Aufklärung und Angebote bereitzustellen. Alle Ärztinnen und Ärzte müssen sich in ihrer Ausbildung mit Schwangerschaftsabbrüchen auseinandersetzen, und zwar im Grundstudium und mit allen medizinischen, aber auch rechtlichen, sozialen und ethischen Gesichtspunkten. Wer im Gesundheitsbereich arbeitet, sollte in seiner Ausbildung eine reflektierte Position zu Schwangerschaftsabbrüchen entwickeln können. Und wer Schwangere in schwierigen Situationen berät, sollte das nicht einseitig tun, sondern über alle Möglichkeiten Wissen haben und teilen.

    Das alles ist notwendig – schon lange. Zu viele ungewollt Schwangere haben diese Hürden schon überwinden müssen. Wir müssen uns im Klaren sein: Abbrüche werden immer stattfinden. Es gibt Voraussetzungen dafür. Wer die aber erfüllt, darf nicht noch weitere Hindernisse erleben, sondern sollte genauso gesundheitlich versorgt werden wie jede andere Person auch.

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