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Porträt: Das Comeback des Jahres: Andrea Nahles ist wieder da

Porträt

Das Comeback des Jahres: Andrea Nahles ist wieder da

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    Befreit wirkte Nahles nach ihrem Rücktritt vom SPD-Parteivorsitz im Jahr 2019.
    Befreit wirkte Nahles nach ihrem Rücktritt vom SPD-Parteivorsitz im Jahr 2019. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa (Archivbild)

    Mit der Politik hat sie abgeschlossen – zumindest mit der aktiven. Ein Jahr, einen Monat und elf Tage war Andrea Nahles Vorsitzende der SPD, die erste Frau in diesem Amt und eine mit Ambitionen obendrein. Hausfrau oder Bundeskanzlerin wolle sie einmal werden, hatte sie schon in der Abiturzeitung angekündigt. Nach dem Debakel bei der Europawahl im Mai 2019, als die Sozialdemokraten auf den historischen Tiefwert von nur noch 15,8. Prozent der Stimmen abgestürzt waren, gab die Vollblutpolitikerin aus der Vulkaneifel ihren Kanzlerinnentraum allerdings mit einer Konsequenz auf, die ihr auch in den eigenen Reihen kaum jemand zugetraut hatte. Erst legte sie den Partei- und den Fraktionsvorsitz nieder, später auch noch ihr Abgeordnetenmandat – und hatte plötzlich viel Zeit für Tochter Ella Marie.

    Für eine Frau, deren Leben drei Jahrzehnte lang die Politik und die sich daraus ableitende öffentliche Aufmerksamkeit war, hat Andrea Nahles damals bemerkenswert schnell auf stumm geschaltet. Keine Interviews mehr. Keine größeren öffentlichen Auftritte. Keine flammenden Reden auf Kreiskonferenzen und Parteitagen. Nun allerdings kehrt sie nach einem kurzen Zwischenspiel als Präsidentin der weitgehend unbekannten Bundesanstalt für Post und Telekommunikation zurück auf die große Bühne: Im April soll die 51-Jährige an die Spitze der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg rücken – als Nachfolgerin ihres Parteifreundes Detlef Scheele, der in den Ruhestand geht. Es ist eine Aufgabe wie gemacht für Andrea Nahles: Als ehemalige Sozialministerin ist sie eine Frau vom Fach und als ehemalige Verbündete von Olaf Scholz, mit dem sie die SPD 2017 gegen große innerparteiliche Widerstände noch einmal in eine große Koalition gezwungen hat, eine mit einem guten Draht in die neue Regierung.

    Andrea Nahles wird Präsidentin der Bundesagentur für Arbeit

    Und den wird die Tochter eines Maurers, die seit einem Autounfall ein chronisches Hüftleiden plagt, auch brauchen. Nach zwei Jahren in der Pandemie lebt die Bundesagentur, die mit mehr als 600 Standorten und fast 100.000 Beschäftigen größer ist als mancher Dax-Konzern, im Moment buchstäblich von der Hand in den Mund. Die Reserven von mehr als 25 Milliarden Euro sind vor allem wegen der teuren, aber wirkungsvollen Kurzarbeiterprogramme so gut wie aufgebraucht, die Wirtschaft erwartet eine Qualifizierungsoffensive als Antwort auf den sich verschärfenden Fachkräftemangel – und auch in der Agentur selbst stehen größere personelle und strukturelle Veränderungen an, allen voran die Digitalisierung der Verwaltung.

    Und wer Andrea Nahles kennt, der weiß, dass sie auch in Nürnberg nicht lange fackeln wird. Hinter der früheren Juso-Chefin, die „ihren“ Bundeskanzler Gerhard Schröder wegen seiner Sozialreformen einst mit schriller Stimme als „Abrissbirne des Sozialstaates“ verhöhnte und auch sonst keinen Konflikt scheute, verbirgt sich nämlich nicht nur eine Frau mit Herz, Humor und Bodenhaftung, sondern auch eine fleißige Arbeiterin. Oder, auf Neudeutsch: Eine Macherin.

    Während die meisten neuen Minister nach der Bundestagswahl 2013 noch dabei waren, ihre Büros einzurichten und neue Mitarbeiter einzustellen, hatte die gerade erst vereidigte Ministerin Nahles innerhalb weniger Wochen schon eine Reform der Mütterrente und die Rente mit 63 in einen Gesetzentwurf gegossen. Auch der Mindestlohn, heute ein Kassenschlager der SPD, geht auf ihre Initiative zurück.

    Arbeitgeber und Gewerkschaften stützen Andrea Nahles

    Das Image der linken Nervensäge, die ihre Intrigen spinnt und dabei nicht einmal vor einer Parteilegende wie Franz Müntefering oder dem einstigen Vorsitzenden Sigmar Gabriel Halt machte, hat sie jedenfalls schon lange abgelegt. Die Arbeitgeber schätzten trotz unterschiedlicher Auffassungen in der Sache die Verlässlichkeit der Sozialministerin Nahles, Angela Merkel gefiel ihre Beharrlichkeit – und auch ein Konservativer wie der frühere Entwicklungsminister Gerd Müller von der CSU, der im Kabinett lange neben ihr saß, hat sie in dieser Zeit schätzen gelernt. „Andrea Nahles ist eine Top-Besetzung“, sagt er. „Sie vereint hohe Kompetenz und Erfahrung in der Arbeitsmarktpolitik mit großer Empathie für die sozial Schwachen und Benachteiligten.“

    Arbeitgeber und Gewerkschaften haben sich bereits auf die bekennende Katholikin und gelernte Germanistin als neue Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur geeinigt. Die Zustimmung des Verwaltungsrates und der Bundesregierung sind nur noch Formsache – zumal die Genossin Nahles bei Scholz ja noch etwas gut hat. Ohne ihre Unterstützung wäre er nach der Wahl 2017 wohl kaum Finanzminister und Vizekanzler geworden – die perfekte Startrampe für seine Kanzlerkandidatur vier Jahre später.

    „Ich bin eine, die alles gibt“, hat Andrea Nahles damals im Gespräch mit unserer Redaktion gesagt. In Nürnberg wird das nicht anders sein als früher in Bonn oder Berlin.

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