Am Morgen nach der Amtseinführung von Donald Trump schlug das Handy von Aquilino Gonell Alarm. Die erste SMS kam um sieben Uhr. Dann folgten bis kurz vor zehn Uhr noch neun weitere. Alle stammten vom Justizministerium der USA. Es waren automatisierte Nachrichten darüber, dass Personen, gegen die der 46-Jährige vor Gericht ausgesagt hat, aus dem Gefängnis entlassen wurden.
Gonell ist einer jener Polizeibeamten, die am 6. Januar 2021 das Kapitol heroisch gegen den rechten Mob verteidigten, der die Zertifizierung des Wahlsieges von Joe Biden mit Gewalt verhindern wollte. Der Einwanderersohn aus der Dominikanischen Republik kämpfte an jenem Tag insgesamt sechs Stunden mit 40 rechten Chaoten. Er wurde mit Baseballschlägern misshandelt, gebissen und gewürgt. Zweimal musste er anschließend operiert worden. Bis heute leidet er unter den Folgen.
Ein Erlass mit dramatischer Tragweite
Doch am Montagabend, kurz nach seinem Einzug ins Oval Office, hat Trump einen Erlass mit dramatischer Tragweite. „Das ist eine gewaltige Sache“, sagte der Präsident selbst: Er hat sämtliche 1500 Menschen, die vor vier Jahren an dem Putschversuch beteiligt waren, begnadigt oder ihre Reststrafen erlassen - und anders als bei den zahllosen anderen Dekreten, die Trump derzeit abzeichnet, kann kein Gouverneur und kein Gericht die Umsetzung dieser beispiellosen Amnestie stoppen.
Schon wenige Stunden später öffneten sich die ersten Gefängnistüren. Heraus kamen unter anderem Stewart Rhodes, der einäugige Gründer der rechtsextremen Miliz Oath Keepers, der verbreitet hatte, Joe Biden werde von chinesische Agenten manipuliert und wolle die USA unter UN-Verwaltung stellen lassen. Am 6. Januar 2021 hatte Rhodes unweit von Washington eine „schnelle Eingreiftruppe“ mit Waffen versammelt, um den Umsturzversuch zu unterstützen. Wegen aufrührerischer Verschwörung war er zu 18 Jahren Haft verurteilt worden.
Auch der frühere Chef der rechtsextremen Miliz Proud Boys ist frei
Auf freiem Fuß ist nun auch Enrique Tarrio, der einstige Chef der rechtsextremen Miliz Proud Boys, der den Kapitolsturm geplant hatte und zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Auch zu langjährigen Haftstrafen verurteilte Gewalttäter, die Polizisten mit Chemikalien besprüht, geschlagen, getreten und mit Elektroschockern malträtiert hatten, sind frei.
Demokratische Politiker, Vertreter der Polizei und Terrorismusexperten sind schockiert. „Ich fühle mich betrogen“, hat der Ex-Polizist Gonell in einem Interview erklärt. „Das ist ein Schlag in unser Gesicht“, sagt Harry Dunn, einer seiner einstigen Kollegen. Die Amnestie dürfte nach Ansicht von Jacob Ware von der Denkfabrik Council on Foreign Relations auch katastrophale Folgen für die Terrorismusbekämpfung in den USA haben. Die Freigelassenen würden die Milizen radikalisieren, sagte der Experte der Washington Post. „Das sind kampferprobte Anführer, die jetzt nicht nur über eine Art echte Legitimität (...), sondern auch über ein starkes Opfer- und Märtyrergefühl verfügen.“
Donald Trump nennt die Strafen „lächerlich und überzogen“
Doch Trump ficht das nicht an. Die Strafen gegen die Kapitol-Stürmer seien „lächerlich und überzogen“ gewesen, behauptete er am Dienstag: „Diese Leute wurden unglaublich unfair behandelt.“ Tatsächlich wurden insgesamt rund 1500 Menschen im Zusammenhang mit dem Putschversuch angeklagt. Eine Unzahl von Videoaufnahmen und Fotos, die von den Behörden mühevoll zusammengetragen wurden, belegen den Tathergang. Zwei Drittel der Betroffenen machten sich geringfügigerer Vergehen wie dem illegalen Eindringen in das Parlamentsgebäude schuldig. Aber 600 Personen wurden wegen Widerstand oder Angriffen auf die Polizei belangt.
Noch vor wenigen Tagen hatte der neue Vizepräsident J.D. Vance erklärt: „Wer an diesem Tag gewalttätig gewsen ist, der soll natürlich nicht begnadigt werden.“ Trumps künftige Justizministerin Pam Bondi versicherte bei ihrer Anhörung: „Der Präsident mag keine Leute, die Polizeibeamte mishandeln.“ Und der republikanische Repräsentantenhaus-Chef Mike Johnson versicherte ausdrücklich, es werde keine Amnestie für Gewalttäter geben.
Die Entscheidung, auch Gewalttäter zu begnadigen, kam überraschend
Offenbar hatte sich Trump in buchstäblich letzter Minute entschieden, auch den Gewalttätern ihre langjährigen Haftstrafen zu erlassen. Seit einiger Zeit bezeichnet er den 6. Januar 2021 als „Tag der Freude“. Nicht zuletzt die vorsorgliche Begnadigung der Abgeordneten und Beamten, die gegen die Putschisten vorgingen, durch seinen Vorgänger Joe Biden habe den neuen Präsidenten zu seinem radikalen Schritt ermuntert, schreibt die New York Times. Alles andere als eine umfassende Amnestie wäre aus seiner Sicht einem Eingeständnis gleichgekommen, „das etwas falsch war“.
Ist doch normal - Deutschland hat z.B. den sog. "Tiergartenmörder" im Rahmen eines Gefangenenaustausches de facto begnadigt.
Sie haben es doch sonst immer so wichtig mit der Gerichtsbarkeit. Und doch sehen Sie nicht, dass dies zwei ganz unterschiedliche Sachverhalte sind? Ist es schon so weit, dass bei Trump ein eigener Maßstab angelegt wird?
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