Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Waffenstillstand im Nahen Osten: Beginnt jetzt der lange Weg zum Frieden?

Krieg in Nahost

Warum es zum Frieden im Nahen Osten noch ein weiter Weg ist

    • |
    • |
    • |
    Palästinenser feiern die Ankündigung eines Waffenstillstandsabkommens zwischen der Hamas und Israel in Chan Junis im zentralen Gazastreifen.
    Palästinenser feiern die Ankündigung eines Waffenstillstandsabkommens zwischen der Hamas und Israel in Chan Junis im zentralen Gazastreifen. Foto: Jehad Alshrafi, dpa

    Es ist in den vergangenen Monaten nicht oft vorgekommen, dass die Menschen sowohl in Israel als auch in Gaza jubelnd durch die Straße gelaufen sind. Mehr als ein Jahr schon zogen sich die Kämpfe hin zwischen der israelischen Armee und der Hamas. Der brutale Angriff der Terroristen auf israelische Zivilisten hatte tiefe Wunden in der Bevölkerung hinterlassen, im Gazastreifen wiederum starben zehntausende Palästinenser infolge des Krieges. Nun ist auf einmal von einem Durchbruch in den Verhandlungen die Rede. „Ich glaube, dieses Abkommen wird uns hoffentlich am Ende Frieden bringen“, sagte der katarische Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani. Bundeskanzler Olaf Scholz war kaum weniger euphorisch. „Der Waffenstillstand bietet die Chance für ein dauerhaftes Kriegsende“, schrieb er auf der Plattform X.

    Abkommen zwischen Israel und der Hamas ist fragil

    Tatsächlich sollen ab diesem Sonntag die Waffen vorerst schweigen, im Gegenzug will die Hamas in mehreren Schritten die Geiseln freilassen, die sich noch immer in ihrer Hand befinden. Experten warnen dennoch davor, den Deal bereits als Beginn eines Friedens zu betrachten. „Die Situation ist sehr fragil“, sagt Stephan Stetter, Nahost-Experte der Universität der Bundeswehr in München. „Im Konflikt zwischen Israel und Palästina wurden schon sehr viele Erfahrungen mit mehrstufigen Prozessen gemacht – und man hat immer wieder gesehen, wie hoch die Hürden sein können.“ Die größte Gefahr ist, dass es auf beiden Seiten starke Verfechter gibt, denen an einer Fortsetzung des Krieges gelegen ist.

    Es ist offen, ob sich beide Seiten über Wochen an die vereinbarten Schritte halten werden und ob etwa bestimmte Passagen jeweils anders ausgelegt werden. Wie schwierig es für Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist, zeigte sich bereits am Mittwoch. Eine Sitzung seines Sicherheitskabinetts zur Billigung des Waffenruheabkommens musste verschoben werden, die Schuld daran gab Netanjahu der Hamas, die versuche, „in letzter Minute Zugeständnisse zu erpressen“. Doch es sind auch die eigenen Koalitionspartner, die querschießen. Der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich hatte damit gedroht, dass seine Partei aus Protest gegen das geplante Abkommen die Regierung verlassen will.

    Deal zwischen Israel und der Hamas: Donald Trump erhöhte den Druck

    Und auch die Hamas steht unter dem Druck der Erwartungen zwischen der eigenen Bevölkerung und ihren Kämpfern. Sie hat nicht nur ihre wichtigsten Anführer im Kampf verloren, sondern auch große Teile ihres Einflussbereiches. Der politische Druck selbst arabischer Staaten auf die selbsternannten Widerstandskämpfer dürfte allerdings zunehmen. Was beide Seiten zumindest zu einem Kompromiss zwingen könnte, ist ohnehin weniger innere Einsicht als vielmehr der Zwang von außen: „Diesen Deal haben sehr gewichtige Akteure mit unterschrieben“, sagt Stetter. „Allen voran die USA, aber auch Ägypten und Katar. Saudi-Arabien und Emirate haben ebenfalls Interessen.“ Das Druckmittel ist unter anderem Geld: Kein anderer Verbündeter hat von den USA so viel finanzielle Unterstützung erhalten wie Israel, Milliarden von Dollar gibt Washington für die Sicherheit des jüdischen Staates aus. Dafür will man nun etwas sehen: Der künftige US-Präsident hatte bereits in den vergangenen Tagen klargemacht, dass der Waffenstillstand nur ein erster Schritt sein könne. Sein Ziel ist ein Frieden zwischen Israel und Saudi-Arabien.

    Überhaupt dürfte Trump eine große Rolle gespielt haben beim Deal zwischen Israel und der Hamas. Denn inhaltlich unterscheidet sich das Abkommen kaum von dem, was der amtierende US-Präsident Joe Biden seit Monaten fordert. Der Unterschied: Trump gelang es, den Druck deutlich zu erhöhen. Nicht nur auf die Terrororganisation, der er drohte, „die Hölle“ werde losbrechen, sondern auch auf seinen Verbündeten Netanjahu. „Nach allem, was wir wissen, hat Trumps Sondergesandter Netanjahu vor die Wahl gestellt: Zustimmen und zu sagen, dass man den Deal gut findet – oder öffentlich zur Zustimmung gezwungen zu werden“, sagt Stetter. Daraus könne auch eine Lehre für andere Krisen gezogen werden: Ohne Druck auf die Konfliktparteien ändere sich kaum etwas.

    Wie geht es weiter im Gazastreifen?

    Vage bleibt, wie es im Gazastreifen weitergeht. Das Gebiet liegt zu großen Teilen in Trümmern. Mehr als 90 Prozent der palästinensischen Bevölkerung leiden nach UN-Angaben starken Hunger. Es fehlt an Wasser, Notunterkünften, Arzneimitteln und Dingen des täglichen Bedarfs. „Israel wird sicher zunächst in Teilen die Kontrolle behalten“, glaubt Stetter. „Aber es ist nicht klar, wie eine politische und vor allem wirtschaftliche Perspektive für den Gazastreifen aussehen soll.“ Die Hamas werde zwar versuchen, ihre Macht zu behalten, doch nicht nur die Terrororganisation selbst hat in den Monaten des Krieges großen Schaden genommen, auch ihre Verbündeten wie die Hisbollah und der Iran sind massiv ins Wanken geraten. „Für die palästinensische Autonomiebehörde, die aktuell im Westjordanland an der Macht ist, könnte sich nun ein Zeitfenster eröffnen, die Kontrolle auch im Gazastreifen zu übernehmen“, sagt der Experte. „Die Fatah wird versuchen, die Situation zu nutzen. Aber klar ist auch: Die Palästinenser sind in diesem Prozess stark davon abhängig, wie die USA und die Golfstaaten sich positionieren.“ Letztlich werden wohl auch sie auf Veränderungen in der Autonomiebehörde drängen, schließlich wird der Fatah seit Jahren politische Erstarrung und Inkompetenz vorgeworfen.

    Insgesamt zählt die palästinensische Zivilbevölkerung zu den großen Verlierern des Konflikts. Zwar formierte sich weltweit Solidarität mit den Menschen, selbst in deutschen Städten kam es zu Demonstrationen. Doch politisch zahlte sich die massive Gewalt letztlich nicht aus. Israel hingegen ist es gelungen, nach den traumatischen Ereignissen des 7. Oktober seine Abschreckungspotenziale wiederherzustellen – dass die Bevölkerung dem Terror der Hamas schutzlos ausgeliefert war, hat das Land in ein regelrechtes Trauma versetzt. „Aber auch Israel wird nur dauerhaft in Sicherheit leben können, wenn es eine Verständigung mit den Palästinensern gibt – denn die verschwinden nicht“, sagt Stephan Stetter. „Doch dieses Thema wird verdrängt.“ Die Gefahr sei, dass ausgerechnet das jetzige Abkommen und die Schwächung der Hamas dazu führen könnte, dass die israelische Regierung glaubt, das Problem weiter ignorieren zu können.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden