Als Erster in der Familie das Abitur geschafft? Dann steht dem Sprung an eine Universität eigentlich nichts mehr im Wege, oder? Stimmt nicht ganz, denn statt für die Hochschule entscheiden sich Kinder aus Arbeiterfamilien oft lieber für eine Ausbildung – und damit für den vermeintlich sichereren Weg.
Doch was ist der Grund? Gerade Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien sehen den Schritt an die Uni als Hürde an. Wichtigster Aspekt ist dabei die Finanzierung. Schließlich ist so ein Studium nicht ganz billig: Wohnung, Verpflegung, Exkursionen, Bücher und Lehrmaterial sind dabei nur einige Kostenfaktoren. Dass dies abschreckend wirkt, ist kein Wunder. Denn was tun, wenn man plötzlich die Miete nicht mehr zahlen kann? Solche Gedanken machen das Studium nicht gerade einfacher.
Chancengleichheit für alle
Die Lokal- und Hochschulgruppe ArbeiterKind.de Augsburg möchte das ändern und mehr Chancengleichheit schaffen. Der Impuls kommt dabei aus den Reihen der Studierenden selbst. „Wir wollen auch eine politische Botschaft setzen“, sagt Alina Becker, die sich seit 2016 bei ArbeiterKind.de engagiert. „Chancengleichheit entsteht dann, wenn wir erkennen, wo konkreter Handlungsbedarf ist.“
Die Augsburger Gruppe will daher ein Netzwerk schaffen, das unterstützend wirkt. Aktuell stehen sie vor allem Erstsemestern und Studienanfängern zur Seite. Sie geben Tipps und Ratschläge zu BAföG, Stipendien & Co. „Unser Ziel ist es aber auch, in Schulen zu gehen und bereits dort für ein Studium zu werben. Je früher klar ist, dass es Unterstützung und Hilfe gibt, desto niedriger wird die Hemmschwelle, sich an einer Hochschule oder der Universität anzumelden“, erklärt Julia Schönborn, die gemeinsam mit Becker die Augsburger Hochschulgruppe seit zwei Jahren leitet.
Vorbild dafür ist der Dachverband, der bundesweit 75 Gruppen unter sich vereint. Gegründet wurde ArbeiterKind.de im Jahr 2008 von der heutigen Geschäftsführerin Katja Urbatsch gemeinsam mit Kirsten Zierold, Nadine Rippel, Marc Urbatsch und Wolf Dermann. Bereits im Mai des gleichen Jahres ging ArbeiterKind.de schließlich als Homepage online und bietet seitdem eine Plattform für Schüler und Studierende, die an die Uni gehen wollen.
Schüler ermutigen, den eigenen Weg zu gehen
Herzstück des Dachverbands von ArbeiterKind.de sind die Schulveranstaltungen. Dann erzählen die Ehrenamtlichen ihre persönlichen Bildungsgeschichten und wollen so die Schüler ermutigen, ihren eigenen Weg zu gehen. Oft sind die Ehrenamtlichen selbst die Ersten in ihrer Familie, die studieren oder studiert haben. Und das Rezept hat sich bewährt: Im Sommer 2016 bestätigte eine Studie des DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) und WZB (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung), dass durch Infoveranstaltungen an Schulen die Wahrscheinlichkeit unter Nicht-Akademikerkindern, ein Studium zu ergreifen, signifikant steigt.
Die Augsburger Gruppe versucht aktuell Kontakte zu Schulen aufzubauen. „Leider ist der Zugang nicht ganz so einfach“, sagt Schönborn. „Bis jetzt haben wir auf unsere Anfragen nur wenig Resonanz erhalten.“ Schade – denn je früher man Arbeiterkinder abholt, desto mehr würden sich am Ende für Uni oder Hochschule interessieren.
Netzwerke schaffen
Für den persönlichen Erfolg ist es nicht entscheidend, ob man aus einem akademischen Haushalt kommt oder nicht. Viel mehr darf man sich einfach nicht entmutigen lassen. Denn wer sein Abitur besteht, hat sich die gleichen Grundlagen erarbeitet wie seine Mitschüler. Der Unterschied liegt schließlich in der Hilfestellung, die andere von ihren Eltern bekommen: Bestehende Netzwerke, die einem den Einstieg erleichtern, Erfahrungswerte, die man nutzen kann.
All das möchte ArbeiterKind.de auch bieten. Was nicht aus dem familiären Umfeld kommt, soll von ehrenamtlichen Helfern geleistet werden. Per Mail oder über das Infotelefon kann man seine Anfrage starten. Egal ob man etwas zum Studium, der Universität allgemein, Stipendien, Versicherungen oder Kindergeld wissen will, hier werden die Fragen unkompliziert und nach bestem Gewissen beantwortet. Oft sind es schließlich nur kleine Unklarheiten, die aber eine große Wirkung haben und einen ausbremsen.
Schüler erreichen: auf Informationstagen oder direkt in der Schule
„Die meisten Fragen werden uns bei Infoveranstaltungen gestellt. Dann können wir vor Ort direkt auf das Problem eingehen und gemeinsam eine Lösung finden. Mehrere Mitglieder aus der Gruppe stehen dann an unserem Messestand bereit“, sagt Schönborn. So auch beim Studienorientierungstag am Freitag, 29. März, an der Hochschule Augsburg und beim Schülerinfotag am Samstag, 6. April, an der Universität.
Schüler erreichen, das ist hier das Stichwort. Deshalb ist das nächste Ziel auch der Schritt in die Schulen, um dort zu informieren. „Wir würden uns freuen, wenn Lehrer und Schulen unser Angebot annehmen. Unser Besuch ist kostenlos und zeitlich variabel. Für einen kurzen Impulsvortrag reichen uns bereits 15 Minuten “, erklärt Schönborn. „Gerade vor den Sommerferien ist dafür gut Zeit.“
Zehn Jahre ist es schließlich her, dass Katja Urbatsch ihre Vision von ArbeiterKind.de in die Realität umgesetzt hat. Bundesweit sind verschiedenste Gruppen entstanden, die Kinder aus Arbeiterfamilien auf deren Weg durch die akademische – und später berufliche – Welt begleiten.
Für die Idee, dass die Entscheidung für oder gegen ein Studium nicht vom Bildungsstand der Eltern abhängig ist, wurde Urbatsch 2018 sogar mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Damit würdigte Frank-Walter Steinmeier das langjährige gesellschaftliche Engagement und den herausragenden Einsatz für mehr Bildungsgerechtigkeit und kulturelle Teilhabe in Deutschland.
Kontakt:
- Infotelefon: (030) 6 79 67 27 50, jeweils Montag bis Donnerstag von 13 bis 18.30 Uhr
- E-Mail: augsburg@arbeiterkind.de
- Facebook: ArbeiterKind.de Augsburg
- Stammtisch: Einmal im Monat – immer am ersten Mittwoch – trifft man sich um 18 Uhr zum offenen Stammtisch im Augsburger Annapam. Dann sind alle willkommen, die sich informieren wollen. Egal ob von Uni, Hochschule oder als Alumni. Auch Schüler und deren Eltern mit Fragen sind eingeladen, vorbeizukommen.
Weitere Infos: www.arbeiterkind.de