Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

München: Kaeser erfindet Siemens neu - und baut den Konzern radikal um

München

Kaeser erfindet Siemens neu - und baut den Konzern radikal um

    • |
    Siemens-Chef Joe Kaeser will, dass die Siemens-Geschäftsfelder schneller und erfolgreicher werden. 
    Siemens-Chef Joe Kaeser will, dass die Siemens-Geschäftsfelder schneller und erfolgreicher werden.  Foto: Christoph Stache, afp

    Joe Kaeser nennt keine Namen. Er macht nur bedeutungsvolle Andeutungen und sagt: „Mancher Wettbewerber und Chef musste erfahren, wie es ist, wenn die Optionen ausgehen.“ Das will der Siemens-Chef auf keinen Fall. Der 61-Jährige möchte mit aller Macht verhindern, dass er und der Konzern plötzlich mit dem Rücken zur Wand stehen, eben der Aktienkurs abstürzt und aggressive Anteilseigner der Führung des Unternehmens das Messer auf die Brust setzen. Das umschreibt der Niederbayer vornehm mit Optionen, die einem als Boss dann abhandenkommen.

    Damit ihm und Siemens das missliche Schicksal nicht widerfährt, baut er den Konzern weiter radikal um und spaltet nun auch die Kraftwerkssparte ab. Sie soll 2020 an die Börse gehen. Kaeser stellt sich in München vor der Presse die rhetorisch gemeinte Frage: „Warum macht man nicht so weiter?“ Seine Antwort lautet: „Wir sind stark und wollen proaktiv agieren statt unter Druck reagieren zu müssen.“ Wie es provokativ abwartenden Managern und denen von ihnen geführten Aktiengesellschaften ergeht, konnte Kaeser zuletzt ausgiebig studieren. Denn solch gemütliche Führungskräfte ziehen aktivistische Investoren wie den unangenehmen schwedischen Fonds Cevian Capital an.

    Dabei genügen derartigen „Heuschrecken“ rund fünf Prozent Anteil an einem Unternehmen, um Managern schlaflose Nächte zu bereiten. Der von Cevian gepiesackte frühere ABB-Chef Ulrich Spiesshofer, 55, musste gehen. Er wurde als „Mister 20 Franken“ verspottet, weil die Aktie zu lange um den für den Appetit der Aktivisten viel zu kalorienarmen Wert pendelte.

    Auch Healthineers brachte Siemens an die Börse

    Hyperaktive Investoren fordern die Zerschlagung von Konglomeraten oder das Rausschneiden renditeträchtiger Leckerbissen. Siemens wäre also in der Zeit vor Kaesers Abwehr-Aktivitäten als Konglomerat ein Festessen für derart umtriebige Fress-Freunde gewesen. Um solch einen Überfall zu verhindern, handelt der Deutsche, ehe die Aktivisten Hunger verspüren. Dabei ist ihm das Negativ-Beispiel des US-Erzrivalen General Electric sicher eine Warnung. GE, wie der Konzern abgekürzt heißt, steckt trotz aller Fortschritte nach wie vor in einer Krise. Die Aktie dümpelt bei fettfreien Werten um neun Euro, während das Siemens-Papier am Mittwoch im Zuge der angekündigten Abspaltung der Energiesparte kräftig auf über 107 Euro in die Höhe schoss. Es verwundert daher nicht, dass bei General Electric zuletzt immer wieder Spitzen-Leute gefeuert wurden, während Kaeser seit 2013 fest im Chef-Sattel sitzt. Die GE-Aktie flog sogar aus dem US-Börsenindex Dow Jones, während Siemens vielleicht künftig mit mehreren Gesellschaften im deutschen Aktien-Oberhaus Dax vertreten ist.

    Neben dem Münchner Konzern hat wohl auch die Kraftwerkssparte Chancen, dort einmal Aufnahme zu finden. Selbst der schon an die Börse gebrachte Siemens-Gesundheitsbereich Healthineers könnte sich irgendwann doch einmal für die erste heimische Aktien-Liga qualifizieren. Und wer weiß, vielleicht entlässt Kaeser auch noch die Bahnsparte in die Freiheit und führt sie an den Kapitalmarkt. Dann käme selbst dieses Unternehmen für den Dax infrage.

    Der Manager macht also aus einem Siemens viele Siemense und verschlankt auch noch – was Fonds-Manager immer wieder gierig fordern – die Zentrale. Unter dem Strich sollen so, auch wenn in einzelnen Bereichen Arbeitsplätze wegfallen, viele neue Stellen geschaffen werden, verspricht Kaeser zumindest. Die Job-Bilanz werde also insgesamt positiv ausfallen.

    Im neuen Unternehmen arbeiten 80.000 Beschäftigte

    Wohl deswegen haben die Arbeitnehmer-Vertreter im Aufsichtsrat auch für die Verselbstständigung der Energiesparte gestimmt. Die Entscheidung fiel einstimmig. Früher gab es bei solchen Themen Zoff mit Gewerkschaftern. Es „wurden Trommeln geschlagen“, wie sich Kaeser bildhaft erinnert. Doch er sagt: „Wir haben daraus gelernt.“ Dennoch wühlt es den Siemens-Chef emotional auf, die traditionelle Energiesparte in die raue Welt der Unabhängigkeit zu schicken, selbst wenn der Konzern noch mindestens 25 Prozent plus eine Aktie, also eine Sperrminorität, an dem Unternehmen halten will. „Mir fällt es schwer, das zu tun. Ich bin schließlich seit 1980 für das Unternehmen tätig. Das ist ein verdammt emotionaler Prozess, ein historisches Ereignis.“ Immerhin soll der rechtliche Hauptsitz des künftigen Energie-Schwergewichts in Deutschland liegen und Siemens wird natürlich Bestandteil des Namens des neuen Unternehmens sein.

    Der Konzern ist ja ein großer Meister des Abspaltens, wie der Rückzug aus der Telekommunikation und auch der Börsengang von Osram gezeigt haben. Dabei wird das neueste Kaeser-Produkt interessant ausgestattet: Denn in dem „Power-House“ steckt in etwa gleichem Umfang die Erzeugung konventioneller wie erneuerbarer Energie. Im neuen Unternehmen arbeiten dann mehr als 80.000 Beschäftigte. Heute sind für Siemens noch 383.000 Frauen und Männer tätig. Doch nach der Trennung vom Energiesektor könnte der auf einer prallen Kriegskasse sitzende Konzern durch Übernahmen wieder in alte Größenordnungen wachsen.

    Der Kern der neuen Siemens AG wird jedenfalls das prächtig gedeihende digitale Geschäft, etwa bei der Automation und Vernetzung von Fabriken. Der Konzern wird immer mehr zum Industrie-Software-Anbieter. Kaeser gibt sich jedenfalls trotz aller radikalen Veränderungen bescheiden: Er sei nur der erste Diener des Unternehmens. Eine interessante Interpretation seines selbstbewussten Führungsstils.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden