Herr Zeigler, nach elf Jahren gab es wieder einen deutschen Meister, der nicht FC Bayern heißt, die deutsche Nationalmannschaft scheint wieder in die Spur gefunden zu haben. War es ein gutes Fußball-Jahr?
Arnd Zeigler: Mit den genannten Dingen war es das auf jeden Fall. Es ist gut, wenn mal ein anderer Meister geworden ist, und das hat nichts mit einer Bayern-Antipathie zu tun. Es gibt das oft genannte Beispiel, dass 15-Jährige sich an keinen anderen Meister als die Bayern erinnern können - und das ist natürlich nicht gut, unabhängig davon, um welchen Verein es geht. Die Nationalmannschaft hat uns alle überrascht. Dieses Team hat plötzlich wieder eine Akzeptanz, die schon fast verloren schien und von der wir uns eigentlich nicht vorstellen konnten, dass sie wiederkommt. Das hat Julian Nagelsmann relativ schnell geschafft. Ich weiß offen gesagt gar nicht genau, wodurch. Er ist ja jetzt nicht Europameister geworden. Aber die Art und Weise, wie Fußball gespielt wird und dass jetzt wieder eine Mannschaft auf dem Platz steht, mit der man sich identifizieren kann, sorgt dafür, dass er sich völlig zu Recht einen sehr hohen Kredit bei Fans und Medien erworben hat. Nagelsmann wird nicht vorauseilend kritisch hinterfragt, weil er uns gar keinen Anlass dazu gibt. Bei jedem anderen Bundestrainer ging es immer darum: Wen nominiert der und warum? Es gab immer Dinge, die man kritisch sah. Und wenn wir ehrlich sind, hatten wir alle in der Vergangenheit immer mal das Gefühl, den Job des Bundestrainers mit links besser zu beherrschen als der Bundestrainer selbst. Das gibt es bei Nagelsmann so nicht und das ist eine große Leistung, die er da vollbracht hat.

Ein Aus im Viertelfinale wäre bis vor Kurzem noch ein sportliches Fiasko gewesen.
Zeigler: Aber die Entwicklung stimmt. Man identifiziert sich wieder mit der Nationalmannschaft. Deswegen verzeiht man ihr ein früheres Ausscheiden. Beim DFB haben sie da etwas richtig Gutes vollbracht. Dieses Feuer, das man in früheren Zeiten spürte, das Wir-Gefühl einer Fußballnation, das ist wieder da und das ist ein großer Gewinn. Ich habe bei der Europameisterschaft wieder mitgefiebert, mitgelitten, und war selbst überrascht davon, wie sehr mir das Aus naheging. Ich habe auf eine Art und Weise für diese Mannschaft gebrannt, die ich verloren geglaubt hatte.

Zugleich steht auch fest: Die WM 2034 wird in Saudi-Arabien gespielt – und der DFB hat dem Antrag zugestimmt. Ist das Realpolitik oder Einknicken?
Zeigler: Das vom DFB angeführte Argument, dass man sich mit einer Nein-Stimme isoliert hätte, finde ich fadenscheinig. Wie viele hätte ich mir da eine stärkere Gegenposition gewünscht. Saudi-Arabien steht in allen Menschenrechts-Statistiken noch hinter Katar - und das will ja was heißen. Wir werden nach all den Diskussionen um Katar die gleichen Diskussionen noch einmal erleben, vielleicht sogar noch erbitterter. Das ist natürlich ein Schlag ins Gesicht. Andererseits wird nun viel über die Menschenrechte in Saudi-Arabien diskutiert. Und das geschah zum Beispiel nicht, als Magdeburg in Riad Handball-Weltpokalsieger geworden ist. Das hat ebenso wenig interessiert wie die Vergabe der Expo 29 nach Riad oder dass die deutsche Wirtschaft mit Waffenexporten in das Land viel Geld verdient hat. Diese Missstände haben uns bisher anscheinend nicht gejuckt. Das ist jetzt anders. Und das ist dann vielleicht der positive Aspekt bei dieser Sache.
Beim FC Bayern ging es zumindest bis zum Sommer drunter und drüber. Selten war eine Trainersuche beim FCB so abenteuerlich. Wie haben Sie diese Phase erlebt?
Zeigler: Das war seltsam unsouverän. Die Trainersuche wirkte recht hilflos - das war man eigentlich von den Bayern nicht gewohnt. Normalerweise haben sie bei der Trainersuche immer ins obere Regal gegriffen und fertig: Guardiola, Ancelotti, van Gaal. Jetzt haben sie mit Vincent Kompany eine ungewöhnliche Lösung wählen müssen, mit der sie aber offenbar ganz gut fahren. Kompany ist kein Welttrainer, der schon 15 Pokale im Schrank hat, im Gegenteil. In seiner letzten Station in England ist er ja sogar abgestiegen. Dass der Verein und die Fans ihn aber behalten wollten und seinen Abschied bedauert haben - das sagt ganz viel aus.
Zugleich ist Kompany tatsächlich auch so etwas wie ein Sympathieträger.
Zeigler: Es ist immer schwierig, von außen die Leistung eines Trainers zu beurteilen. Im Grunde sehen wir nur die Pressekonferenzen und die Interviews. Aber was ich mir immer vorzustellen versuche, ist: Würde ich unter diesem Trainer gerne Fußball spielen wollen? Ich weiß, dass ich unter Thomas Tuchel nicht gerne Fußball spielen würde. Aber unter Kompany hätte ich, glaube ich, Spaß. Tuchel ist ein Fachmann - aber sein Problem ist dem Vernehmen nach die Menschenführung. Ich könnte mir vorstellen, dass es nicht jeden Tag Spaß macht, zum Training zu fahren. Und das könnte unter Kompany ganz anders sein.

Dafür startet Thomas Tuchel im Januar als Trainer der englischen Nationalmannschaft. Das kann spannend werden, oder?
Zeigler: Allerdings. Die Engländer haben ja schon Erfahrungen mit Nationaltrainern aus anderen Ländern gemacht, deswegen ist er da jetzt kein Pionier. Trotzdem wird es für den englischen Fußball schon ein Kulturschock sein, jetzt einen Deutschen auf der Bank zu haben. Es wird spannend sein, wie Tuchel in England empfunden wird. Er ist weltmännisch, eloquent, hat ja auch schon Chelsea und PSG trainiert. Aber ich weiß nicht, wie man ihn als Mensch dort wahrnimmt. Tuchel entspricht - das muss ich in dieser Deutlichkeit leider sagen - allen Vorurteilen, die Engländer von Deutschen haben. Er ist auf seine Art der Prototyp eines humorlosen, verbissenen Deutschen. Das ist auch das, was ihm meiner Meinung nach bei den Bayern zum Verhängnis geworden ist. Diese mangelnde Lockerheit, diese fehlende Souveränität, auch mal über einen Spruch von Didi Hamann hinwegzusehen, hat ihn doch so angreifbar gemacht. Mit jeder Kleinigkeit konnte man ihn in seinen letzten Monaten als Bayerntrainer aus dem Gleichgewicht bringen. Und da bin ich gespannt, wie das in England funktionieren wird. BVB-Boss Aki Watzke hat mir - das darf ich jetzt mit so viel zeitlichem Abstand sagen - mal gesagt: „Tuchel ist einer der besten Trainer, die ich je erlebt habe. Aber es macht alles keinen Spaß mit ihm.“ Das bringt es auf den Punkt.
Die Bundesliga hat einen neuen TV-Vertrag abgeschlossen. Und schon jetzt melden nahezu alle Vereine ihre Ansprüche an den TV-Milliarden an. Wer soll denn nun mehr bekommen – die Zugpferde wie die Bayern, die Traditionsklubs wie Schalke oder soll die Leistung der kleinen Klubs stärker honoriert werden?
Zeigler: Ich verstehe all die kleineren Vereine wie Heidenheim oder Mainz, die beklagen, warum sie jetzt dafür bestraft werden sollen, dass sie gut gewirtschaftet haben, während andere Klubs über Jahrzehnte krasse Misswirtschaft betrieben haben, immer wieder versagt haben und jetzt stabil zweite Liga spielen. Auf der anderen Seite ist es so, dass es um ein attraktives Programm auf den Plattformen geht. Es sehen sich eben lieber Leute Schalke gegen Hertha an als Heidenheim gegen Wolfsburg. Die Rechteinhaber haben ein Interesse daran, ein attraktives Programm zu haben. Und dann nützt es ihnen nichts, wenn Heidenheim zwar tolle Arbeit leistet, aber nur 35 Leute bei ihrem Spiel einschalten. HSV, Hertha und Schalke sind einfach andere Hausnummern. Natürlich sind diese Vereine wegen ihrer fortgesetzten und manchmal bizarren Misswirtschaft irgendwann gerechterweise in der zweiten Liga angekommen, auf Schalke und in Berlin ist in den letzten Jahren unvorstellbar viel Geld verbrannt worden. Aber sie haben sich auch ihren Status als Publikumsmagneten über Jahrzehnte erarbeitet. Es ist toll, dass es Geschichten wie die von Heidenheim oder Kiel gibt. Aber auch die Bundesliga muss, weil sie mittlerweile am Tropf der Fernsehgelder hängt, ein Interesse daran haben, dass Sky und DAZN wirtschaftlich arbeiten und nicht die Lust an der Investition in die Bundesliga. Wenn die Bundesliga, die sich ja als Premiumprodukt sieht, mit Sonntagsspielen wie Hoffenheim gegen Mainz zum Ladenhüter verkommt, werden die Leute irgendwann dauerhaft lieber Liverpool (---) gucken. Und das ist ein Problem.
Auch die Bayern wollen mehr Geld aus dem nationalen Topf bekommen. Und das, obwohl sie jetzt schon die Milliardengrenze beim Umsatz geknackt haben und durch die Klub-WM und die neue Champions League mehr Einnahmen als je zuvor haben.
Zeigler: Karl-Heinz Rummenigge hat früher immer gerne gesagt, dass die Bundesliga das Brot-und-Butter-Geschäft des FC Bayern sei, wichtiger als alles andere. Das würde heute niemand mehr sagen und niemand würde es den Bayern noch abnehmen. Ihr Dilemma ist es, dass sie irgendwie mit den englischen Vereinen mithalten müssen. Anhand der Fernsehgelder, die in England viel höher sind, geht das nicht. Deswegen müssen sie alles tun, um mehr Geld zu generieren, zerstören damit aber nachhaltig und konsequent den Wettbewerb der heimischen Liga. Und da beißt sich die Katze in den Schwanz: Wenn der nationale Wettbewerb für diesen Global Player hinfällig ist, dann ist die Bundesliga eben nicht mehr der zentrale Wettbewerb, sondern nur ein Zubrot, und manchmal sogar lästig.

Wer ist ihre Person des Jahres?
Zeigler: Da könnte man jetzt Xabi Alonso nennen, der Leverkusen zum Meister gemacht hat. Eigentlich auch jeden bei Eintracht Frankfurt oder beim SC Freiburg. Aber für mich ist Sebastian Hoeneß jemand, der ganz großen Anteil an der Vizemeisterschaft des VfB Stuttgart und allgemein an der Entwicklung des Vereins hat. Er ist einer der faszinierendsten Trainer unseres Landes, weil er aus Reservisten eine Champions-League-Mannschaft gemacht hat. Jamie Leweling etwa saß bei Union Berlin auf der Bank, wechselt zum VfB und ist jetzt Nationalspieler. Dann gibt es Alexander Nübel oder Nick Woltemade, die in Stuttgart einen großen Sprung gemacht haben. Mittelstädt, Führich und Stiller hat er auch zu Nationalspielern geformt. Es ist eine Wahnsinnsleistung, die Hoeneß da vollbracht hat. Von der Ausgangslage her hatte er es noch ein bisschen schwerer als Xabi Alonso.
Den FC Augsburg haben Sie bei unserem letzten Interview kritisch gesehen. „Mir ist das zu viel Hopserei und Beschwerde“, haben Sie gesagt. Wie sehen Sie den Verein jetzt?
Zeigler: Ich glaube, dass der FC Augsburg sich in der Außendarstellung verbessert hat, das mit dem Krawall war eine Zeit lang sehr auffällig. Wenn ich auf den Verein schaue, bleibt bei mir noch ein Fragezeichen beim US-Investor David Blitzer. Da ist mir nicht so ganz klar, wie seine Rolle aussieht und wie lange er noch bleiben will. Er hat mit seiner Holding Anteil an mehreren Vereinen, das ist ja nicht unbedingt das, was man als Fan gerne sieht. Als Verein hat sich Augsburg eingereiht in die Phalanx der Vereine, die nicht zwingend abstiegsbedroht sind, aber eben auch nach oben nicht so viel Ambitionen haben können. Ich habe ja schon mal gesagt, dass ich Alfred Finnbogason immer toll fand, weswegen ich sein Karriereende auch bedauere.
Sie haben in einem früheren Interview gesagt, dass er ihr Lieblingsspieler ist...
Zeigler: ... und bei einem FCA-Spiel in Bremen ist er dann über die halbe Tribüne zu mir gerannt gekommen, um mir ein Trikot zu schenken, weil er sich so über das Interview gefreut hat. Das zeigt, was für ein unheimlich guter Typ er ist.

Wer ist denn ihr aktueller Lieblingsspieler?
Zeigler: Ich finde, dass Keven Schlotterbeck ein spannender Spieler ist. Er ist mir schon in Bochum immer wieder positiv aufgefallen. Der kann eigentlich in jeder Mannschaft spielen, sowohl von der Persönlichkeit als auch von der sportlichen Qualität her.
Gibt es etwas, was Sie sich fürs neue Fußball-Jahr wünschen?
Zeigler: Ich wünsche mir, dass die Bundesliga sich die Spannung zurückholt. Zwischenzeitlich sah es diese Saison so aus, als ob die Bayern Ende März wieder Meister sind. Das klingt vielleicht so, als hätte ich eine Antipathie gegen die Bayern, was nicht stimmt. Ich bin nur für Spannung. Aber selbst wenn die Bayern wie geschehen in Mainz verlieren, ist doch kein Gefühl da, dass es nochmal spannend werden könnte. Das ist verheerend für die Liga. Ich wünsche mir das Gefühl zurück, dass jeder jeden schlagen kann. Dass es weiterhin möglich ist, dass Stuttgart Vizemeister wird. Und dann wünsche ich mir, dass man auch mit schönen Dingen rechnen kann. Ich war neulich bei Werder gegen St. Pauli. Da gab es natürlich den unrühmlichen Pyro-Eklat. Aber es gab auch ein Plakat der Pauli-Fans, auf dem zu lesen war: „Nur Liebe für Werder“. Klar braucht man eine Fußball-Rivalität. Aber es wäre schön, wenn es ein paar mehr Vereine sich eben nicht aus rein folkloristischen Gründen hassen und bekriegen, sondern eine Sympathie mit anderen Klubs und deren Fans pflegen. Das hat sich toll angefühlt: In einem Stadion zu sitzen, in dem sich niemand hasst und alle einfach nur den Fußball lieben.
Zur Person: Arnd Zeigler, 59, ist ist Moderator, Journalist, und Stadionsprecher von Werder Bremen. Seit August 2007 moderiert er im WDR Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs (ZwWdF), die jeweils am Sonntagabend der Spieltage ausgestrahlt wird. Mit der Sendung geht Zeigler auch auf Tour, am 23. Januar ist er mit seinem Programm „Immer Glück ist Können“ in Gersthofen zu sehen.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden