Vielleicht wäre die Karriere von Stefan Reuter anders verlaufen, wenn er im März 1988 nicht bei seinem Wort geblieben wäre. Reuter, 21, hatte sich für einen Wechsel vom 1. FC Nürnberg zum FC Bayern entschieden, als der damalige Club-Trainer Heinz Höher versuchte, ihn umzustimmen. Mit seiner Frau und seinem Sohn Thomas saß Höher im elterlichen Wohnzimmer der Familie Reuter in Dinkelsbühl und bot Reuter 500.000 Mark Grundgehalt. 100.000 Mark mehr als die Bayern. Ob Nürnberg es wirklich ernst mit dem Angebot meinte, oder nur die Ablösesumme nach oben treiben wollte, die damals vom Gehalt abhängig war, sei dahingestellt. Reuter lehnte ab, ging zu den Bayern.
Wenn Reuter geblieben wäre, wer weiß, ob er wenige Tage vor seinem 50. Geburtstag, den er am Sonntag feiert, so zufrieden als Manager des FC Augsburg im VIP-Bereich der WWK-Arena sitzen würde. Auf die Frage, ob er in seinem bisherigen Leben etwas anders gemacht hätte, sagt er: „Es ist der Großteil schon so gelaufen, wie ich es mir gewünscht habe.“
Der Wechsel zu den Bayern ist der Startschuss zu einer Erfolgsgeschichte. Champions-League-Sieger (1997 mit Dortmund), fünfmal deutscher Meister, Weltmeister (1990), Europameister (1996), kaum ein anderer deutscher Fußballer hat mehr Titel gewonnen. Sportlich eilt Reuter, der in seiner Jugend ein guter Leichtathlet war, von Erfolg zu Erfolg. Misserfolge muss er erst nach Ende seiner sportlichen Karriere einstecken.
Im Hause Reuter pflegt man traditionelle Werte
„Es ist heute noch so: Wenn der FC Bayern einem Spieler ein Angebot macht, ist es schwer, zu widerstehen. Ich hatte Bayern mein Wort gegeben. Das ist für mich auch eine Frage der Erziehung, dann nicht sein Wort zu brechen“, blickt Reuter auf das Treffen 1988 zurück. Da pflegt man im Hause Reuter traditionelle Werte. Er wächst in der mittelfränkischen Stadt Dinkelsbühl auf. Als Sohn eines Baywa-Betriebsleiters und einer Mutter, die in der Buchhaltung arbeitet. Beide sind sportbegeistert, die Mama Handballerin, der Papa Leichtathlet.
Von ihm hat er wohl seine Schnelligkeit. Seine Sprints mit rotem Kopf (Spitzname Turbo), seine Vielseitigkeit und seine genauen Pässe führen Reuter in die Fußballwelt. Nürnberg, München, Turin, Dortmund lauten die Stationen. Der Franke war und ist keiner, der mit seinen Erfolgen prahlt. Er sagt nur: „Geschenkt bekommt man die Titel nicht. Ich hatte aber auch immer das Glück, dass ich in guten Mannschaften gespielt habe. Alleine erreicht niemand etwas. Es gewinnen nicht immer die besten elf Spieler. Manchmal ist ein gut funktionierendes Team wertvoller.“
Diese Erkenntnis bestimmt heute seine Arbeit als Manager. Das Team steht über allem. Dass er im Fußball-Geschäft bleiben würde, ist lange vor seinem Karriereende klar. „Der Gedanke, irgendwann mal Manager zu werden, war bei mir früh da. Ich habe mir auch als Spieler schon überlegt, warum wird welche Entscheidung getroffen.“
502 Bundesligaspiele, 69 Partien für die Nationalmannschaft
Reuter hat immer einen guten Draht zur Führungsetage. Bei Nürnberg zu Heinz Höher und Präsident Gerd Schmelzer, bei Bayern zu Manager Uli Hoeneß und bei Dortmund zu Präsident Gerd Niebaum und Manager Michael Meier. Unter deren Ägide spielt Reuter zwölf Jahre bei der Borussia, ist Führungsspieler eines Teams, das mit viel Geld zu einer europäischen Spitzenmannschaft aufgebaut wird. Es ist klar, dass er dort nach dem Karriere-Ende ins Management einsteigt. Dies dauert länger als Reuter selbst dachte. „Ich hatte das Glück, 20 Jahre Profi zu sein und habe mir vorgestellt, so lange zu spielen, bis ich um die 30 Jahre alt bin. Dass ich dann erst mit fast 38 aufgehört habe, war so nicht geplant.“
2004 ist es soweit, nach 502 Bundesligaspielen, 60 in Europas Königsklasse und 69 Partien für die Nationalmannschaft. Auch weil in seinem rechten Knie so gut wie kein Knorpel und kein Meniskus mehr vorhanden ist. „Es kann also durchaus passieren, dass irgendwann ein künstliches Gelenk ansteht“, sagt Reuter. Darum spielt er bei keinem Benefizspiel mehr mit, sondern konzentriert sich aufs Golfen. Sein Handicap liegt bei 8,6.
Damals ist beim BVB alles für einen nahtlosen Übergang vorbereitet. Ein paar Monate arbeitet er als Assistent der Unternehmensführung. Im Dortmunder Stadtteil Kirchhörde baut er. Für sich, seine Frau Birgit und seine Kinder Stefan (jetzt 16), Jessica (jetzt 23) und Jennifer (jetzt 21). Alle drei sind in Dortmund geboren. Doch die Baustelle wird zum Albtraum. Der Pfusch ist nicht zu reparieren. Reuter muss den Rohbau abreißen. „Ich hatte zunächst gedacht, da wird versteckte Kamera gedreht“, sagt Reuter heute mit genügend Abstand und seinem ihm eigenen feinen Witz. Im Nachhinein kann man es auch als ein Wink des Schicksals sehen.
---Trennung _Reuters Vertrag läuft bis 2020_ Trennung---
Seine Mentoren Meier/Niebaum werden Opfer ihres wirtschaftlichen Größenwahns. Borussia steht vor der Pleite, Meier/Niebaum müssen den BVB verlassen. Reuter folgt nur wenig später, seine zukünftige Rolle war damals nicht genau festgelegt. Er verliert kein schlechtes Wort. Er sagt: „Ich hatte einen traumhafte Zeit mit den beiden.“ Die Grundsätze, nach denen er heute als Manager handelt, hat er längst verinnerlicht. „Man sollte dicht an der Mannschaft dran sein und bereit sein, jeden Tag Entscheidungen zu treffen, das aber nicht emotional. Man muss offen sein, sich andere Meinungen anzuhören, Dinge zu hinterfragen und dann Entscheidungen zu treffen.“ Dies macht er erstmals in verantwortlicher Position von 2006 bis Anfang 2009 beim TSV 1860 München. Sein dreijähriges Wirken wird, je nach Blickwinkel, unterschiedlich betrachtet. Die Löwen spielen unter Reuter in der 2. Liga nicht besser aber auch nicht schlechter als vor oder nach ihm. Doch für den ehemaligen Bayern-Spieler ist das zu wenig, um das Löwen-Umfeld zufriedenzustellen. Im Februar 2009 trennen sich die Wege. Reuter selbst sagt über diese Zeit: „Sie war intensiv, spannend. Ich finde, sie war auch erfolgreich. Wenn man sich den Kader von damals anschaut und sieht wo die Spieler heute sind, muss man sagen, ein Großteil hat sich in der ersten Liga etabliert.“
Lars (jetzt Leverkusen) und Sven Bender (Dortmund), Julian Baumgartlinger (Leverkusen) und Fabian Johnson (Gladbach) baut er damals als ganz junge Spieler auf. Als Empfehlung für einen Job bei einem anderen Verein reicht es allerdings nicht. Reuter arbeitet danach unter anderem bei der Sportmarketing-Agentur von Marcus Höfl, dem Mann von Maria Höfl-Riesch und jetziger FCA-Aufsichtsrat und auch als Repräsentant für den Hersteller von Hybrid-Rasen, der die WWK-Arena sanierte. Doch für Reuter ist immer klar, „früher oder später wieder operativ für einen Verein zu arbeiten.“
Mit dem Duo Reuter/Weinzierl erlebt der FCA die erfolgreichsten Jahre
Fast vier Jahre muss er auf seine zweite Chance warten, die sich ihm kurz vor Weihnachten 2012 mit einem Anruf des damaligen FCA-Finanzchefs Peter Bircks bietet. Zwei Manager, Manfred Paula und Jürgen Rollmann, hatte der Bundesligist in dieser Saison bereits verschlissen. Der neue Trainer Markus Weinzierl steht mit seiner Mannschaft und neun Punkten auf dem letzten Platz. Trotzdem greift Reuter zu. „Ich fand es extrem reizvoll. Walther Seinsch hat damals gesagt, er geht davon aus, dass der FCA in den nächsten fünf Jahren zweimal absteigt. So eine Aussage nimmt Druck von den Verantwortlichen.“
Mit dem Duo Reuter/Weinzierl erlebt der FCA die erfolgreichsten Jahre in der über 100-jährigen Vereinsgeschichte. Der FCA ist immer noch erstklassig, in der vergangenen Saison spielt er sogar in der Europa League. Das Erfolgsrezept erklärt Reuter: „Wir haben ganz klare Wege, wie Entscheidungen fallen und wir können auch ganz schnell Entscheidungen treffen. Bei uns ist es so, dass zu jedem Transfer Präsident, Trainer und Manager Ja sagen müssen. Wenn einer Nein sagt, dann lassen wir es.“ Zwar folgt im Mai eine unerfreuliche Trennung von Weinzierl, doch mit dessen Nachfolger Dirk Schuster startet der FCA ansehnlich in die Saison.
Wiedersehen mit Weinzierl am Samstag
Am Samstag (15.30 Uhr) kommt es zum Wiedersehen mit Schalke und Ex-Coach Weinzierl. Reuter sieht es inzwischen, wie es seinem Naturell entspricht, unaufgeregt. „Es gibt keinen Ersatz für Siege. Wir wollen schon mindestens einen Punkt hier in Augsburg behalten. Aber egal wie das Spiel ausgeht, ich werde mit guten Freunden und der Familie um Mitternacht anstoßen.“
Reuters Vertrag läuft bis 2020. Ob er in zehn Jahren noch beim FCA sein wird, weiß er nicht: „Im Moment fühle ich mich unheimlich wohl in dieser Funktion hier beim FCA. Fußball ist aber so schnelllebig, man sollte da nicht so weit in die Ferne blicken. Unser Ziel ist es jetzt, den FC Augsburg weiter in der Bundesliga richtig stabil zu machen.“ In die Stadt hat er sich verliebt. „Augsburg erlebt einen enormen Aufschwung und entwickelt ein ganz anderes Selbstverständnis und Selbstbewusstsein. Dazu trägt auch der FCA seinen Teil bei. Augsburg ist eine traumhaft schöne Stadt, eine sehr alte Stadt mit großer Historie.“
Sie ist auch der Schauplatz der großen privaten Veränderung in Reuters Leben. 2014 trennen sich er und seine Frau Birgit nach fast 25 Jahren, in Augsburg lernt er später seine neue Liebe kennen. Die Günzburger Architektin Annette Ruess. Reuter sagt: „Mein Lebensmittelpunkt ist jetzt Augsburg. Ich bin schnell in Günzburg, dort hat meine Lebensgefährtin ihr Haus und ihr Büro. Ich bin aber auch schnell in München, wo meine Kinder leben.“ Man versteht sich. Alle zusammen werden am Sonntag seinen 50. Geburtstag feiern. Es ist das größte Geschenk für Stefan Reuter.