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Fußball-WM 2022: Der deutschen Nationalmannschaft fehlt die Hingabe für die Verteidigung

Fußball-WM 2022

Der deutschen Nationalmannschaft fehlt die Hingabe für die Verteidigung

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    Manuel Neuer ist sportlich nicht mehr ganz unumstritten. Die Autoritäten sind im Mittelfeld und Angriff zu suchen, nicht in der Defensive.
    Manuel Neuer ist sportlich nicht mehr ganz unumstritten. Die Autoritäten sind im Mittelfeld und Angriff zu suchen, nicht in der Defensive. Foto: Christian Charisius, dpa

    Sie taten das, was gemeinhin von jener Gattung erwartet wird, die in Deutschland unter "Führungsspieler" im Artenbuch des Fußballs geführt wird. Unter ihren Vorgängern befinden sich seltsame Einzelgänger wie Oliver Kahn oder auch der gestrenge Anführer Michael Ballack. Nach dessen unfreiwilligem Abtreten ließ der neue Kapitän Philipp Lahm die Hierarchien im Team abflachen. Mit ihm als bestem Rechtsverteidiger der Welt, dem ebenfalls zur Spitzenklasse gehörenden Manuel Neuer, dem emotionalen Leader Bastian Schweinsteiger und dem WM-Rekordtorschützen Miroslav Klose befanden sich allerdings viele Instanzen in der Mannschaft.

    Hinzu gesellten sich der diplomatisch versierte Sami Khedira oder auch Per Mertesacker, der nicht nur dank Größe und des Eistonnen-Interviews eine herausragende Stellung in der Mannschaft einnahm. Es war eine Konstellation von Charakteren, die wunderbar auf und neben dem Feld harmonierte.

    In der Verteidigung von Flicks Team für Katar fehlen Autoritäten

    Hansi Flick verfügt über andere Typen. An Führungsspielern mangelt es nicht. Nach dem Spiel gegen Japan stellten sich unter anderem Neuer, Thomas Müller, Leon Goretzka, İlkay Gündoğan und Joshua Kimmich den Fragen der Journalistinnen und Journalisten. Sie analysierten präzise, wie es zur Niederlage gegen Japan hatte kommen können. Gündoğan beispielsweise glaubte, dass noch "nie ein einfacheres Tor bei einer Weltmeisterschaft erzielt worden" sei, und dürfte bei seiner Beschreibung des zweiten Gegentreffers recht haben.

    Während der Partie allerdings fehlte es nach den Auswechslungen von Gündoğan und Müller an Akteuren, die ihren Mitspielern Halt hätten geben können. Ähnliche Situationen gab es freilich auch unter Philipp Lahm. Allerdings agierten dessen Mitspieler dann weitaus konsequenter, wenn es auf dem Feld nicht lief. Auch Konzentrationsmängel wie jene von Niklas Süle und Nico Schlotterbeck vor dem einfachsten Tor der WM-Geschichte haben mit individueller Klasse zu tun. Toni Kroos hatte bereits vor der WM 2018 in Russland gemahnt: "Ganz wichtig ist, dass wir mit absoluter Hingabe verteidigen. Wir müssen wieder dahin kommen, dass unsere Gegner wieder sagen, oha, das sind die Deutschen, die sind sehr unangenehm zu spielen, weil die immer alle zusammen verteidigen." Vier Jahre später sagt niemand: "Oha."

    Sie spielen gefälligen Fußball, lieben das Gewinnen – aber scheinen das Verlieren nicht zu hassen. Gutes Zureden von Trainern und Mahnungen der Führungsspieler haben bisher nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Neuer ist sportlich nicht mehr gänzlich unumstritten, er besitzt zudem nicht das rhetorische Geschick eines Philipp Lahm. So tummelt sich die ganze Autorität in Mittelfeld sowie Angriff – und hinten wird gehofft, dass sich die Defensivreihe über 90 Minuten (samt satter Nachspielzeit) zu konzentrieren vermag. Seit 2018 aber wurde diese Hoffnung nur selten erfüllt.

    Die Fußballweltmeisterschaft in Katar steht in der Kritik, auch in der Redaktion haben wir ausführlich darüber diskutiert. Eine Einordnung, warum wir das Sportevent dennoch ausführlich journalistisch begleiten, lesen Sie in diesem Text.

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