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Fußball-WM 2022: Für den Triumph fehlt es dem deutschen Team an Qualität

Fußball-WM 2022

Für den Triumph fehlt es dem deutschen Team an Qualität

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    Hansi Flick ist erstmals als Cheftrainer bei einer Weltmeisterschaft dabei. Als Co-Trainer gewann er 2014 in Brasilien den Titel. Das wird sich in Katar kaum wiederholen lassen.
    Hansi Flick ist erstmals als Cheftrainer bei einer Weltmeisterschaft dabei. Als Co-Trainer gewann er 2014 in Brasilien den Titel. Das wird sich in Katar kaum wiederholen lassen. Foto: Christian Charisius, dpa

    Gab es ja so noch nie. Zweimal in Folge verabschiedeten sich die deutschen Kicker aus einem Turnier, ehe jene Phase so richtig begonnen hatte, für die diese Mannschaft doch dereinst stand, wie kein anderes Team. Stichwort: Turniermannschaft. Als solche lümmelte sich die Nationalmannschaft etwa durch die Weltmeisterschaften 1982 und 1986, auch beim Vize-Titel 2002 war bis zum Ende nicht klar, wie es denn diese Mannschaft bitteschön ins Finale geschafft hat. Wenig spielerischer Aufwand, hoher Ertrag. Doch mit der WM 2018 brach eine Zeitenwende heran, die man beim DFB zwar insgeheim befürchtet hatte, ihr aber doch nichts entgegenzustellen hatte.

    Joachim Löw hatte eine Auswahl Hochbegabter nach Russland entsandt, die allerdings nach drei Spielen bereits wieder auf dem Rückweg nach Deutschland war. Löw hatte damals den Hochrisiko-Weg ins Turnier gewählt und vergaß dabei das alte Prinzip, wonach Abwehrreihen Turniere entscheiden und nicht der Angriff. Dazu hatte der Bundestrainer mit jenem Versäumnis in der Ausbildung der Fußballer zu kämpfen, dass ihm kein Spezialbegabter im Sturmzentrum zur Verfügung stand. Deutschland raus, Löw hangelte sich noch drei Jahre weiter und verabschiedete sich letztlich mit einer Niederlage gegen England aus EM und Job. Eine deutsche Turniermannschaft vorangegangener Jahrzehnte hätte sich den Briten kraftstrotzend entgegengestellt und letztlich einen unverdienten Sieg gefeiert. Diesmal aber schieden die Deutschen aus und wussten nicht so recht, warum eigentlich.

    Sich von Löw abzusetzen, fiel Flick nicht schwer

    Dieses Rumamorphen fiel letztlich Löw zur Last, der sich nach dem WM-Titel 2014 sukzessive von der Idee verabschiedete, eine klar erkennbare Idee auf dem Spielfeld erkennen zu lassen. Hier nun fiel es Hansi Flick nicht schwer, als Nachfolger Löws prompt Verbesserungen erkennen zu lassen. Dass er keines der ersten 13 Spiele verlor, geriet allerdings schnell in Vergessenheit, nachdem sein Team beim 0:1 gegen Ungarn in alte Muster zurückgefallen war. Es ist jener Eindruck, der derzeit noch die Einschätzungen zur Leistungsfähigkeit einfärbt. Dabei sprechen die Ergebnisse grundsätzlich eine andere Sprache. Unter Flick verlor die Mannschaft nicht gegen die Top-Mannschaften Italien, England und Holland – zeigte teilweise fantasievollen Angriffsfußball.

    Einzig in die Defensive hat auch Flick bislang dauerhaft weder strukturelle noch personelle Stabilität bekommen. Während sich in der Innenverteidigung in Antonio Rüdiger, Niklas Süle und und Nico Schlotterbeck drei hochveranlagte Spieler um die beiden Positionen bemühen, franst das Angebot auf den Außenbahnen aus. Das allerdings ist eine Problematik, die Flick möglicherweise auf den seinerzeit noch recht pragmatischen Löw zurückblicken lassen könnte. Der ließ während der WM 2014 zeitweise mit vier Innenverteidigern in der hintersten Linie agieren. Noch im Finale gegen Argentinien spielte Benedikt Höwedes links hinten. In Niklas Süle verfügt Flick einen Spieler, den er zum einen selbst schon als Trainer des FC Bayern hinten rechts einsetzte und der zum anderen auch zuletzt in Dortmund auf dieser Position zum Einsatz kam. Allerdings hat Flick auch extra den Gladbacher Jonas Hofmann umgeschult, auf dass er rechts Schwung in den Angriff bringt und defensiv die Seite absichert.

    Auf der gegenüberliegenden Seite schien vor einem Jahr noch Robin Gosens als Mann für die Zukunft gesetzt. Seinem fabulösen Auftritt bei der EM gegen Portugal folgten allerdings allerhand Verletzungen und Anpassungsprobleme bei seinem neuen Klub Inter Mailand. Flick verzichtete daher aus nachvollziehbaren Gründen auf den energischen Linksfuß. Weitaus weniger verständlich ist es, Mats Hummels nicht wieder berufen zu haben. Der Dortmunder war zuletzt der formstärkste Abwehrspieler. Im Gegensatz zu den nominierten Thilo Kehrer und Matthias Ginter ist er allerdings ein Spezialist für das Zentrum, während die anderen beiden auch noch als Rechtsverteidiger eingesetzt werden können. So aber hat sich Flick selbst eine kleine Unwucht im Kader konstruiert. Zusammen mit dem gerade erst wieder genesenen Lukas Klostermann und Jonas Hofmann hat Flick eine erhebliche Auswahl auf dem rechten defensiven Flügel – an wirklichen Spezialisten fehlt es ihm allerdings.

    Ähnliches gilt auch für die andere Seite. Mit Christian Günter und David Raum stehen Flick zwei solide Spieler zur Verfügung. Flick bleibt nicht viel Zeit, um zu einer Lösung zu gelangen, die ein Vorstoßen in die letzte Turnierphase wahrscheinlich macht. Auch deshalb fühlte er bei Jonas Hector vor, ob sich dieser eine Rückkehr in die Nationalmannschaft vorstellen könnte. Er war der letzte Linksverteidiger, der beständig gute Leistungen im Nationaldress zeigte. Hector fühlte sich geschmeichelt ob der Avancen – und sagte ab.

    Der deutsche Kader ist allerdings an etlichen Stellen derart gut besetzt, dass die ausgefransten Seiten möglicherweise auch erst im laufenden Betrieb in Form gebracht werden können. Leon Goretzka und Joshua Kimmich haben mit dem FC Bayern nach anfänglichen Problemen in dieser Saison zuletzt die gegnerischen Mannschaften nicht nur spielerisch dominiert. Die beiden Mittelfeldspieler kamen Aufgaben nach, die weiland in den deutschen Turniermannschaften noch den Staubsaugern vorbehalten waren. Den Buchwalds, Eilts’ und Ramelows.

    Die Verletzung von Timo Werner führte Flick zudem noch zu dem Ansatz, dem Spiel seiner Mannschaft eine weitere Ebene zur Verfügung zu stellen. Seit dem Karriereende von Miroslav Klose haben erst Joachim Löw und anschließend Hansi Flick die Klubs nach deutschen Stürmern klassischer Bauart durchforstet. So war es ja keineswegs in Löw von Haus aus so angelegt, dass er starke Anleihen am mittelstürmerlosen Spiel des FC Barcelona im vergangenen Jahrzehnt nahm. Noch zur WM nach Russland berief er den damals den Zenit schon sanft hinter sich lassenden Mario Gomez in den Kader. Anschließend aber war es auch dem Pragmatismus geschuldet, dass sich die deutsche Mannschaft eher durch Geschwindigkeit denn durch Wucht dem gegnerischen Tor annähern wollte. Während schnelle Außenbahnspieler internationaler Güteklasse im Dutzend ausgebildet wurden, fand sich über Jahre kein Angreifer von Format, der sich darin gefiel, die Bälle auch mal humorlos ins Tor zu drücken.

    Fußball-WM in Katar: An Niclas Füllkrug hat kein Weg vorbeigeführt

    In Niclas Füllkrug wurde Flick nun ein Stürmer beinahe aufgezwungen. Der Werderaner ist der erfolgreichste deutsche Torschütze der Bundesliga und befindet sich in einer Form, die möglicherweise singulär in seiner Karriere bleiben wird. Der 29-Jährige aber ist nicht ausschließlich dankbarer Abnehmer in die Mitte gehufter Bälle, sondern bindet sich auch immer wieder geschickt ins Kombinationsspiel ein.

    Künstlerisch Wertvolles ist von den Feinfüßern auf den Außenbahnen zu erwarten. Auch ohne den mal wieder verletzten Marco Reus verfügt Flick über eine Auswahl, die höchsten Ansprüchen genügt. Leroy Sané und Serge Gnabry reisen in ausgezeichneter Form zur WM. Jamal Musiala ist derzeit einer der aufregendsten Fußballer des Planeten und dann findet sich ja in Mario Götze noch ein Spieler im Kader, der für eine dieser "Ausgerechnet“-Geschichten sorgen könnte. Garniert mit dem immer noch und immer wieder unberechenbaren Thomas Müller ist die Offensive der Deutschen derart besetzt, dass sie auch Defensivreihen stabilster Bauart aushebeln kann.

    Das allerdings glaubte man auch vor der Weltmeisterschaft in Russland. Seither muss die Mannschaft damit umgehen, dass ihr immer mit Skepsis begegnet wird. Sie ist auch in Katar keiner der Top-Favoriten auf den Titel. Dafür fehlt es auf einigen Positionen an ausgebildeten Spezialisten. So wie schon in Brasilien 2014 – als das Team letztmals dem Anspruch einer Turniermannschaft gerecht wurde.

    Die Fußballweltmeisterschaft in Katar steht in der Kritik, auch in der Redaktion haben wir ausführlich darüber diskutiert. Eine Einordnung, warum wir das Sportevent dennoch ausführlich journalistisch begleiten, lesen Sie in diesem Text.

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