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Interview: IG-Metall-Vize: "Menschen dürfen nicht stillgelegt werden"

Interview

IG-Metall-Vize: "Menschen dürfen nicht stillgelegt werden"

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    Sie will die Herausforderungen der Digitalisierung aktiv gestalten: Christiane Benner, Vize-Chefin der Industriegewerkschaft IG Metall.
    Sie will die Herausforderungen der Digitalisierung aktiv gestalten: Christiane Benner, Vize-Chefin der Industriegewerkschaft IG Metall. Foto: Alexander Heinl, dpa

    Frau Benner, nach einer Studie des Weltwirtschaftsforums sind 46 Prozent der Deutschen nicht ausreichend auf die fortschreitende Digitalisierung vorbereitet. Es drohen herbe Arbeitsplatzverluste. Wie besorgt sind Sie?

    Benner: Ich bin eine Optimistin. Wir können die Herausforderung der Digitalisierung gestalten. Mein Optimismus stützt sich auf unsere sehr gute Fachausbildung, also die duale Ausbildung. Dank dieses erfolgreichen Systems verfügen wir in Deutschland über eine sehr gute Grundlage, die Beschäftigten für die Herausforderungen der Digitalisierung weiter zu qualifizieren. Und was mich auch optimistisch stimmt, ist der Umstand, dass die Beschäftigten es gewohnt sind, sich weiterzubilden. Die Arbeitsabläufe ändern sich ja nicht erst seit heute. Informationstechnik hat schon lange Einzug in die Arbeitswelt gehalten.

    Warum bestehen dann so große Ängste, gerade auch in Arbeitnehmer-Kreisen?

    Benner: Das hat viel mit dem Verhalten der Firmen-Leitungen zu tun. In vielen Unternehmen wird derzeit bis zum Anschlag, also bis an die Kapazitätsgrenze gearbeitet. Die Konjunktur brummt. Nach unserer Beobachtung ist der Leidensdruck in den Betrieben in dieser konjunkturell guten Situation nicht stark genug, um eine neue Qualifizierungsstrategie einzuschlagen. So stellen sich zu wenige Verantwortliche in den Betrieben die Frage, wie sie ihre Mitarbeiter auf die Herausforderungen der Digitalisierung vorbereiten können. Dabei müssten sich die Chefs in den Firmen jetzt diese Frage stellen, wie sie die Beschäftigten mitnehmen können auf dem Weg in die Digitalisierung.

    Dieses Mitnehmen ist Ihnen wichtig.

    Benner: Das ist das zentrale Thema. Dazu brauchen wir ein Verantwortungs-Dreieck aus Arbeitnehmervertretern, Arbeitgebern und Politik. Wir alle müssen Antworten auf die Fragen geben, wie gute Arbeit in der Digitalisierung aussieht und wie wir auch durch eine künftig stabile Beschäftigungslage unser demokratisches System stabilisieren können. Denn auch ältere Facharbeiter, die heute um die 50 Jahre alt sind, können entsprechend geschult werden, um in einer noch digitaleren Welt anzukommen. Natürlich müssen viele das Lernen erst wieder lernen.

    Ihren Optimismus teilen nicht alle. Der bekannte IT-Manager Vishal Sikka glaubt, Menschen müssten sich nun in einem Tempo weiterbilden, dem sie nicht gewachsen sind. Er fordert eine Art Puffer. Bekommen wir ein Problem?

    Benner: Auch hier will ich mit Bildungs-Optimismus antworten: Es gibt heute ja digitale Assistenzsysteme, die Menschen beim Lernen unterstützen. So helfen Roboter, die ja heute mit Menschen zusammenarbeiten können, gerade älteren Beschäftigten. Und eines ist für mich klar: Es gibt keine Alternative dazu, die Beschäftigten auf der Reise in die Digitalisierung mitzunehmen, zumal diese Entwicklung nicht von heute auf morgen passiert.

    In der digitalen Arbeitswelt können die Grenzen zwischen Privat- und Berufsleben verschwimmen. Man liest rund um die Uhr berufliche E-Mails. Akzeptieren Sie das?

    Benner: Ich glaube, dass wir hier eine gewisse Normalisierung erleben werden. Menschen brauchen Zeit, den richtigen Umgang mit der Technik zu lernen und auch mal abzuschalten. Arbeitgeber wie Volkswagen schalten ja auch zum Beispiel das Mail-System für die Beschäftigten ab 18 Uhr ab. Das finden viele gut. Einige nicht.

    Muss man die Menschen vor sich selbst in Schutz nehmen?

    Benner: Ich drücke mich nicht um die Antwort und sage: Ja. In der Praxis funktionieren in den Betrieben aber eher Leitplanken, die es Beschäftigten selbstbewusst ermöglichen, Grenzen für sich zu setzen und eben ab einer bestimmten Uhrzeit keine E-Mails mehr lesen zu müssen. Betriebsräte und Gewerkschafter müssen den Beschäftigten dabei den Rücken stärken.

    Die bayerischen Arbeitgeber-Verbände fordern die Möglichkeit der Ausweitung der Arbeitszeit, gerade in einer digitalisierten Gesellschaft. Können Sie sich einen Kompromiss vorstellen?

    Benner: Ich finde es schade, dass die Ausweitung der Arbeitszeit die einzige Antwort der Arbeitgeber auf die Herausforderungen der Digitalisierung ist. Und das, zumal es in den Betrieben so viele Arbeitszeitmodelle und damit Möglichkeiten gibt, flexibel zu arbeiten.

    Was machen wir mit den Verlierern der Digitalisierung? Siemens-Chef Joe Kaeser zieht hier ein vom Staat finanziertes Grundeinkommen in Betracht, auch um zu verhindern, dass noch mehr Menschen populistischen Politikern auf den Leim gehen.

    Benner: Ich lehne diese Stillhalte- oder besser gesagt Stilllegungsprämie für Menschen ab. Damit würden wir uns aus der Verantwortung stehlen. Es kann ja nicht angehen, dass diejenigen, die ihren Job behalten haben, mit ihrem Steuergeld dafür aufkommen müssen, dass Unternehmen viele Beschäftigte nicht mitgenommen haben. Das wäre ja pervers. Außerdem ist es ein elitärer Ansatz, zu glauben, man könnte darüber urteilen, wer bei der Digitalisierung mitmachen darf und wer nicht. Klar ist doch: Menschen, die zu Verlierern der Digitalisierung gestempelt und mit einem Grundeinkommen alimentiert würden, fühlen sich dann alleingelassen und schlecht behandelt. Das geht doch gegen den Stolz und den Arbeitsethos der Menschen.

    Was passiert, wenn wir die Menschen nicht auf die Reise in die Digitalisierung mitnehmen? Welche Folgen hat das für unsere Demokratie?

    Benner: Es würden noch viel mehr Menschen als heute Abstiegsängste haben. Das würde den Trend, populistische Parteien wie die AfD zu wählen, verstärken. Im schlimmsten Fall wäre eine Renationalisierungs-Bewegung in Deutschland die Konsequenz. Das könnte den Erfolg des weltweit eingebundenen Wirtschaftsstandortes Deutschland und damit viele Arbeitsplätze gefährden.

    Christiane Benner, 50, ist seit 2015 Zweite Vorsitzende der IG Metall – als erste Frau in der Geschichte der Industriegewerkschaft. Die gebürtige Aachenerin hat nach dem Abitur eine Ausbildung gemacht und dann Soziologie studiert. Die Gewerkschafterin ist Mitglied der Aufsichtsräte von BMW und Continental. Benner gehört auch der SPD an.

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