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Interview: Streitpunkt Tempolimit: Was bringt es auf Autobahnen wirklich?

Interview

Streitpunkt Tempolimit: Was bringt es auf Autobahnen wirklich?

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    Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen könnte zum Streitpunkt in den anstehenden Koalitionsverhandlungen werden.
    Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen könnte zum Streitpunkt in den anstehenden Koalitionsverhandlungen werden. Foto: Jens Büttner, dpa

    Herr Bauernschuster, die wahrscheinliche Regierungsbeteiligung der Grünen verleiht der Debatte ums Tempolimit neuen Schwung. Sie haben untersucht, was es bringt. Was sagen Sie?

    Stefan Bauernschuster: Alle Untersuchungen, die wir kennen aus verschiedenen Ländern zu verschiedenen Zeiten, zeigen eindeutig, dass ein Tempolimit die Zahl der Unfälle und die Zahl der Verletzten verringert. Was die Größe dieses Effekts angeht, stochern wir allerdings im Dunkeln. Die letzte Untersuchung aus Deutschland zu dieser Frage gab es in den 1970er Jahren. Wir können derzeit nicht einmal sagen, wie sehr die Durchschnittsgeschwindigkeit auf Autobahnen sinkt, wenn man auf den 70 Prozent der Abschnitte, wo es bisher keines gibt, eines einführt. Die Datenlage ist katastrophal. Deswegen sagen wir auch nicht, die Unfälle gehen zum Beispiel um 20 Prozent zurück. Wir geben eine Spannbreite an. Bei Getöteten sprechen wir etwa von einem erwarteten Rückgang von 15 bis 47 Prozent.

    Gefühlt ist die Geschwindigkeit vieler Autos auf der Autobahn recht hoch. Viele sagen aber, zumindest nachts, wenn kein Verkehr ist, sei schnell fahren doch kein Problem…

    Bauernschuster: Es gibt in der Verkehrsforschung eine ganz Reihe von Studien, die sich adaptive Tempolimits anschauen. Oft geht es darum, wie man diese Algorithmen am besten programmiert: Wann soll dieses System welches Tempolimit aktivieren? Solche Tempolimits würden sicher auch helfen. Aber in Deutschland wurde anlässlich der Einführung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h eine sehr umfangreiche Studie gemacht. Damals hat man gesehen, dass die Zahl der Unfälle durch ein Tempolimit in der Nacht genauso stark zurückgegangen ist wie bei Tag, bei Regenwetter ebenso stark wie bei trockener Straße.

    Das bringt ein Tempolimit auf der Autobahn

    Gegner eines Tempolimits argumentieren oft damit, dass es kaum zur Reduktion der CO2-Emissionen im Verkehr beitragen würde. Stimmt das?

    Bauernschuster: Ein Tempolimit kann allenfalls ein Baustein sein zur Reduktion der CO2-Emissionen, das ist völlig klar. Der Schadstoffausstoß der Autos nimmt überproportional zu mit der Geschwindigkeit. Daher kann ein Tempolimit CO2-Emissionen einsparen, indem es die Durchschnittsgeschwindigkeit reduziert. Das Umweltbundesamt hat zusammen mit Wissenschaftlern der Uni Graz untersucht, wie sich im echten Verkehr die Emissionen von Autos nach Geschwindigkeit verändern. Hochgerechnet auf das deutsche Autobahnnetz und mit Bezug auf wiederum zehn Jahre alte Verkehrsdaten kam heraus, dass ein Tempolimit von 130 km/h im Vergleich zur jetzigen Situation 2,2 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einsparen könnte. Das entspricht einem Rückgang der CO2-Emissionen auf den unbegrenzten Abschnitten um 8,4 Prozent oder einer Reduktion des Pkw-Verkehrs in Städten um 13 Prozent. Das ist ein bisschen was, aber wir brauchen definitiv noch andere Maßnahmen. Viel wichtiger ist aber etwas anders.

    Und zwar?

    Bauernschuster: Bei der Diskussion um Emissionen werden andere Schadstoffe wie Kohlenmonoxid, Stickstoffoxide, Feinstaub in der öffentlichen Diskussion fast völlig ausgeblendet. Aber auch der Ausstoß dieser Stoffe steigt überproportional mit der Geschwindigkeit des Autos. Das heißt, auch da könnte ein Tempolimit eine Emissionsreduktion erzielen. Verkehrsbedingte Luftverschmutzung in Deutschland ist nicht ohne. Ich habe selbst untersucht, wie es sich auswirkt, wenn bei Streiks im öffentlichen Nahverkehr mehr Leute mit dem Auto in die Stadt fahren. An solchen Tagen steigt die Feinstaubbelastung, und noch am gleichen Tag kommt es zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen von Kindern aufgrund asthmatischer Symptome.

    Was heißt das nun konkret für die Autobahnen?

    Bauernschuster: Wir können zumindest konkret sagen, dass in Deutschland im Umkreis von zwei Kilometern zum nächsten Autobahnabschnitt ohne Tempolimit 15 Millionen Menschen leben. Es ist also nicht so, dass entlang von Autobahnen kaum jemand wohnt und die Schadstoffe, die da freigesetzt werden, nicht relevant sind.

    Auswirkungen des Tempolimits teilweise noch unerklärt

    Wenn so viele Fragen offen sind, was müsste man tun, um hieb- und stichfeste Aussagen über die Auswirkungen eines Tempolimits treffen zu können?

    Bauernschuster: Wir müssten im Endeffekt Straßen vergleichen mit Tempolimit und ohne. Dazu müsste man einzelne Streckenabschnitte auf Autobahnen in Reallabore verwandeln, auf manchen Tempolimits einführen und auf anderen die Richtgeschwindigkeit beibehalten. Das kann man nicht einfach mit bestehenden Abschnitten machen, weil sonst die Gefahr besteht, dass man Äpfel mit Birnen vergleicht. Es gibt gute Gründe, warum derzeit auf manchen Straßen Tempolimit herrscht. Diese Straßen sind etwa stärker befahren oder von der Topografie gefährlicher. Das heißt, man muss sehr genau darauf schauen, welche Strecken miteinander vergleichbar sind. Vor dem Start des Experiments müsste sowohl auf den Untersuchungsstrecken als auch auf den Vergleichsstrecken die komplette Technik installiert sein, damit man bereits zuvor Schadstoffe messen, Geschwindigkeiten und auch Unfälle registrieren kann.

    Wie Sie schreiben, hat der Bundestag im Dezember 1952 sämtliche Tempolimits auf der Autobahn abgeschafft. Das klingt nun nicht so, als könne zum 70. Jahrestag dieser Entscheidung wieder ein Tempolimit kommen…

    Bauernschuster: Ich glaube zumindest, so eine Untersuchung wäre relativ schnell umzusetzen. Es ist nur nicht so, dass wir, wenn wir sie heute aufsetzen, morgen die Ergebnisse haben. Aber wenn das Design von Anfang an richtig ist, wird die empirische Arbeit dahinter fast schon trivial. Ich glaube, das wäre wichtig bei diesem Thema, das so emotional diskutiert wird und bei dem von beiden Seiten alle möglichen krummen Statistiken ins Feld geführt werden. Eine Evaluationsstudie würde diese ganze Ideologie etwas rausnehmen und vielleicht auch zu mehr Akzeptanz führen. Jeder kann sich die Ergebnisse danach anschauen, die Daten stammen tatsächlich aus Deutschland, und man macht keine Rückschlüsse von Untersuchungen aus anderen Ländern. Aber die Entscheidung muss am Ende die Politik treffen. Was Wissenschaftler machen können, ist Fakten zur Debatte beitragen.

    Diskussion um das Tempolimit und die voranschreitende E-Mobilität

    Die Autoindustrie durchlebt derzeit einen enormen Umbruch. Haben Sie nicht die Sorge, dass der technische Fortschritt mit E-Mobilität und immer mehr Sensoren und Assistenzsystemen alle Diskussionen ums Tempolimit überholt und überflüssig macht?

    Bauernschuster: Das ist richtig, die Diskussion um die Emissionen etwa könnte ganz anders werden, wenn E-Autos sich schnell durchsetzen. Auch das autonome Fahren könnte mehr Sicherheit bringen. Aber wie schnell setzen sich neue Technologien durch? Wir wissen es nicht. Zudem gibt es noch andere Aspekte, die schwer zu messen sind. Viele sagen etwa, es stresst sie sehr, wenn sie im Rückspiegel ein Auto mit über 200 km/h näherkommen sehen.

    Noch ein Argument gegen ein Tempolimit ist, dass dadurch viel Zeit verloren geht, was ökonomisch betrachtet teuer ist…

    Bauernschuster: Grundsätzlich sind solche Kosten-Nutzen-Rechnungen schon sinnvoll. Aber auch da gibt es kurioseste Zahlen. Wieder ist das Grundproblem, dass wir nicht sagen können, um wie viel die Durchschnittsgeschwindigkeit sinken würde, weil wir keine Daten haben. Aber selbst wenn wir sie hätten, ist in den Daten ja nicht eingepreist, dass es mit Tempolimit zu weniger Unfällen kommt und damit zu weniger Sperrungen und Staus. Bis zu 70 Prozent der Fahrzeuge auf Autobahnen fahren schon jetzt nicht viel schneller als 130 km/h. Für sie alle brächte ein Tempolimit sogar einen Zeitgewinn. Sie müssen ihre Geschwindigkeit nicht nach unten anpassen, und wenn es zu weniger unfallbedingten Staus und Sperrungen kommt, gewinnen sie Zeit, ebenso der Lkw-Verkehr. Diejenigen, die deutlich schneller fahren, hätten gewisse Zeitverluste. Die Frage ist, wie hoch sind die? Und wie bepreisen wir die? Wenn jemand für eine Strecke von 100 Kilometern drei Minuten länger braucht, soll dieser Zeitverlust tatsächlich mit anteiligen Stundenlöhnen in eine Kosten-Nutzen-Rechnung eingehen, wie es manche machen?

    Könnte die deutsche Autoindustrie unter Druck geraten, wenn man die Wagen auf der Autobahn nicht mehr ausfahren kann?

    Bauernschuster: Ich habe nicht den Eindruck, dass die deutsche Autoindustrie sich noch so vehement gegen Tempolimits wehrt, wie das vielleicht noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war. Aber ich kenne auch keine Untersuchung, die zeigen würde, dass Tempolimits der deutschen Autoindustrie schaden. Man muss sich ja nur einmal kurz im Ausland umschauen und schauen, ob da keine deutschen Autos gekauft werden, weil man nicht schneller als 130 auf Autobahnen fahren kann. Das ist offensichtlich ja nicht der Fall.

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