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Vertragsverletzungsverfahren: EZB-Anleihenkäufe: Wer hat das letzte Wort in Europa?

Vertragsverletzungsverfahren

EZB-Anleihenkäufe: Wer hat das letzte Wort in Europa?

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    Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg gilt als höchste Instanz der Rechtssprechung in der EU.
    Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg gilt als höchste Instanz der Rechtssprechung in der EU. Foto: Arne Immanuel Bänsch, dpa

    Gut ein Jahr nach dem aufsehenerregenden Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Aufkauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank holt der Fall die Bundesregierung wieder ein. Am Mittwoch hat die EU-Kommission verkündet ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik zu eröffnen. Ein Überblick über den Konflikt und die Gründe des Verfahrens:

    Um was ging es in dem Karlsruher Urteil zum Ankauf von Staatsanleihen eigentlich?

    Zwischen 2015 und 2018 investierte die Europäischen Zentralbank (EZB) rund 2,6 Billionen Euro in Staatsanleihen und andere Wertpapiere, um überschuldeten Staaten zu helfen. Dieses Programm wurde im November 2019 in kleinerem Rahmen (20 Milliarden Euro pro Monat) wieder aufgelegt. Das Bundesverfassungsgericht kritisierte vor einem Jahr diese Aufkäufe, weil die EZB damit ihr geldpolitisches Mandat zu stark ausgeweitet habe, und rügte die Bundesregierung und den Bundestag, weil die nicht ausreichend geprüft hatten, ob das EZB-Programm verhältnismäßig war. Dies wurde inzwischen nachgeholt, Karlsruhe zeigte sich im April dieses Jahres damit auch zufrieden.

    Und wo ist jetzt das Problem für die EU-Kommission?

    Das Urteil aus Karlsruhe enthält ungewöhnlich scharfe Vorwürfe an das höchste EU-Gericht, den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Der hatte die Anleihekäufe schon vorher geprüft und keinen Grund zur Kritik gefunden. Die Bundesverfassungsrichter nannten diese Entscheidung allerdings „objektiv willkürlich“ und „methodisch nicht mehr vertretbar“. Mit anderen Worten: Das Bundesverfassungsgericht widersprach in dieser Frage dem Vorrang des EU-Rechtes, das der EuGH ausgelegt hatte.

    Rechtfertigt der Wiederspruch ein Vertragsverletzungsverfahren?

    Die EU-Kommission sprach in ihrer Begründung des neu angestoßenen Verfahrens von „einem Präzedenzfall für das Unionsrecht“. Wenn der Fall Schule macht, so befürchtet man in Brüssel, würden demnächst auch andere nationale höchste Gerichte die Rechtsprechung des EuGH unterlaufen. Auch Polen und Ungarn setzten sich in der Vergangenheit über die Urteile des EuGH hinweg. Dieser latenten Erosion der Entscheidungsgewalt des Hofes in Luxemburg will man entgegenwirken. Zudem sei der Vorrang des EU-Rechtes vor den Gesetzen der Mitgliedstaaten gefährdet. Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, hatte schon unmittelbar nach dem Spruch aus Karlsruhe betont: „Das letzte Wort zu EU-Recht wird immer in Luxemburg gesprochen. Nirgendwo sonst.“

    Geht es dabei um einen Machtkampf zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem EU-Recht?

    Nein. Das Bundesverfassungsgericht warnt schon länger vor EU-Programmen, auf deren Ausgestaltung und anschließenden Zugriff auf deutsche Steuermittel Berlin keinen Einfluss mehr hat. Deshalb wurde in diesem konkreten Fall auch eine nachträgliche Überprüfung durch Bundesregierung und Bundestag eingefordert. Allerdings hätte Karlsruhe den grundsätzlichen Vorrang des EU-Rechtes durchaus an mehreren Stellen wenigstens betonen können. Das ist unterblieben.

    Was soll mit dem Vertragsverletzungsverfahren erreicht werden?

    Der weitere Verlauf dürfte tatsächlich spannend werden. Das nun eröffnete Verfahren richtet sich an die Bundesregierung, die der alleinige Ansprechpartner der EU-Kommission ist. Berlin kann aber nicht das höchste deutsche Gericht auslegen oder gar korrigieren. Es ist also unklar, wer diesen Streit in welcher Form beilegen könnte, damit Brüssel das Verfahren noch stoppt.

    Wie geht es jetzt weiter?

    Zunächst hat die Bundesregierung zwei Monate für eine eigene Stellungnahme Zeit. Wenn die in Brüssel vorliegt, wird die Kommission entscheiden, ob der Inhalt ausreichend ist oder nicht. Im negativen Fall würde Klage vor dem EuGH erhoben.

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