Frau Benner, Gewerkschafter wählen häufig AfD, wie Experten immer wieder feststellen. Wie sehr frustriert Sie das?
Christiane Benner: Wir bleiben mit den Menschen im Gespräch, gerade am Arbeitsplatz. Wir diskutieren darüber, dass es der AfD nur um die eigene Macht und nicht um die Menschen geht. Wir müssen mit Fakten über die AfD aufklären und im Dialog bleiben. Das ist alternativlos. Die AfD verbreitet schlechte Laune und Pessimismus im Land, benennt dann vermeintlich Schuldige und behauptet auch noch, für alles eine Lösung zu haben. Dabei treten sie nach unten und grenzen Menschen aus.
Aber noch einmal: Trotz Ihrer Argumente wählen auch viele IG-Metallerinnen und IG-Metaller AfD. Stimmt Sie das nicht traurig?
Benner: Wir stellen uns hinter unsere rund 500.000 Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund, die in der IG Metall organisiert sind. Zu der Gruppe gehört rund jedes vierte unserer Mitglieder. Diese Menschen bekommen den Zulauf für die AfD in den Betrieben am ehesten ab. Meine Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben und ich stärken Menschen mit Migrationshintergrund und halten unsere Werte wie Antifaschismus, Solidarität und Zusammenhalt hoch. Und wie schon gesagt: Wir müssen mit Menschen, die nach rechts abgedriftet sind, in den Betrieben und in der Gesellschaft weiter im Gespräch bleiben. Es hilft nicht weiter, wenn sich die Gräben vertiefen.
Und wenn diese Menschen offen rassistische und menschenverachtende Positionen beziehen?
Benner: Dann ist natürlich Schluss, keine Diskussion. Dann bin auch ich schon mit klaren Worten vom Tisch aufgestanden und gegangen. Wir sehen auch die Arbeitgeber in der Pflicht, sich für Vielfalt und gegen Extremismus einzusetzen. Die Verteidigung von Demokratie ist die Aufgabe aller.
Nur wie versuchen Sie, vom demokratischen Weg abgekommene Gewerkschafter wieder in die Mitte der Gesellschaft zurückzuholen?
Benner: In tagtäglichen Auseinandersetzungen, in denen wir um Lösungen ringen. Indem wir ihnen als Kolleginnen und Kollegen zeigen, dass es sich lohnt, sich zusammen für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze einzusetzen, für gute Tarifverträge und für eine Politik in ihrem Sinne. Und wir sagen solchen Beschäftigten auch, wir setzen als IG Metall alles daran, dass Unternehmen hierbleiben und die Arbeitsplätze nicht ins Ausland verlagert werden. Wir müssen uns an den Bedürfnissen und Befürchtungen der normalen Leute orientieren, um zu verhindern, dass sie weiter nach rechts abdriften.
Klappt das?
Benner: Wir vertrauen sehr auf unsere Stärke. Aber die IG Metall kann nicht alles lösen. Die Menschen erwarten zu Recht Lösungen von der Politik. Denn viele haben das Gefühl, dass in diesem Land vieles nicht mehr richtig funktioniert. Und dass es nicht gerecht zugeht.
Woran hapert es in Deutschland?
Benner: Die Mieten und Nebenkosten explodieren. Und die Gesundheits- sowie Pflegekosten steigen weiter. Kassenpatienten müssen zu lange auf Arzttermine warten. Die Politik muss diese Themen wieder in Ordnung bringen. Auch Investitionen in Straßen, Brücken, Schienen, Bildung und die Energiewende sind das Gebot der Stunde. Die künftige Regierung sollte Unternehmen schnell klarmachen, dass sie entlastet werden, etwa durch einen Rückbau überflüssiger Bürokratie und einer Behebung des Fachkräftemangels.
Und was fordern Sie von den Unternehmern?
Benner: Die Unternehmen müssen ihre Abbaufantasien in den Griff kriegen. Politiker müssen endlich die Probleme der Menschen lösen. Um dem Nachdruck zu verleihen, rufen wir am 15. März in Stuttgart, Hannover, Frankfurt am Main, Leipzig und Köln zu Demonstrationen auf. Wir freuen uns über alle, die uns dort unterstützen! Die Menschen sollen den politisch Verantwortlichen ruhig ihre Wut zeigen.

Das haben viele Menschen schon getan, nachdem es CDU-Chef Friedrich Merz wohl billigend in Kauf genommen hatte, dass die AfD für den Migration-Gesetzesvorstoß der Union stimmt. Sie haben kritisiert, CDU, CSU und FDP seien einen „Pakt mit dem Teufel“ eingegangen.
Benner: Herr Merz hat einen Tabu-Bruch begangen. Trotzdem kann man ihn auf keinen Fall auf eine Ebene mit der AfD stellen. Er wusste sicher, dass die AfD mitstimmt. Merz hat einfach überzogen. Er wollte auf Biegen und Brechen durchziehen, ähnlich wie das Trump und Musk in den USA tun. Doch das geht bei uns nicht. Es ist gefährlich, wenn auch Politiker hierzulande sagen: Wir müssen mehr Trump und Musk in Deutschland wagen.
Was setzen Sie dem entgegen?
Benner: Wir müssen mehr Zuversicht und mehr Anpacken wagen. Wir brauchen eine Regierung, die schnell und geeint auf die wirtschaftlichen Nöte von Beschäftigten und Unternehmern reagiert. Die Energiekosten müssen runter, die Bürokratie muss abgebaut werden, der Alltag der Menschen im Land muss funktionieren.
Deutschland droht das dritte Rezessionsjahr in Folge. Wie lässt sich das verhindern?
Benner: Wir sollten die Wachstumschancen nutzen. Windkraft, Solar, Energiespeicher, beispielsweise. Bei uns wird KI erforscht, aber wir müssen sie in unsere Industrie und in unsere Produkte bringen. Wir müssen unsere noch starke Industrie mit niedrigeren Energiepreisen wettbewerbsfähig machen. Wir haben tolle Unternehmen, einen starken, innovativen Mittelstand. Viele Erfindungen, gute Hochschulen, qualifizierte Beschäftigte.
Sie wirken optimistisch.
Benner: Die Zutaten für den Erfolg haben wir doch. Wir brauchen mehr Investitionen in unsere Zukunft. Und ja, es braucht auch mehr private Investitionen, nicht nur staatliche. Ein Zusammenhalt in Europa ist wichtig, und ein Plan für ein starkes Europa muss umgesetzt werden. Mich stimmen die Ergebnisse des KI-Gipfels von Paris optimistisch. So will Brüssel rund 200 Milliarden Euro für die europäische Aufholjagd, was die Künstliche Intelligenz betrifft, loseisen. Das stärkt auch unsere Industrie und kann Arbeitsplätze schaffen.
Doch der Fortbestand von Fabriken und Arbeitsplätzen lässt sich nicht staatlich verordnen.
Benner: Aber es ist ja wohl Aufgabe von Politik, Rahmenbedingungen zu schaffen. Wenn Straßen kaputt sind, Brücken einstürzen und die Bahn nicht fährt, weil nicht in Schienen investiert wird, schadet das der Wirtschaft und damit sind Arbeitsplätze gefährdet. Die IG Metall drängt darauf, dass bei Produkten, die in Deutschland und Europa gebaut werden, festgeschrieben wird, dass ein bestimmter Anteil an lokaler Wertschöpfung garantiert ist. Und das ließe sich verordnen und würde Arbeitsplätze sichern. Das ist in China und in den USA auch so. Warum soll das nicht auch umgekehrt gelten?
Wie soll das denn praktisch funktionieren?
Benner: So müsste ein chinesischer Autohersteller, der in Deutschland produziert, bevorzugt von heimischen Zulieferern Teile einkaufen, was hierzulande Arbeitsplätze sichert. Wir müssen unsere Autozulieferindustrie stabilisieren. Denn wenn eine Fabrik weg ist, ist sie weg. Unser Widerstand gegen die Deindustrialisierung wird noch lauter werden. Auch die EU muss hier liefern.
Doch die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist sehr ernst. Sie sagen es sei fünf vor zwölf. Ist es nicht schon zwölf?
Benner: Wir müssen die Stimmung in Deutschland dringend verändern und wieder mehr Anlass zur Zuversicht geben. Wir haben für einen Stimmungs-Umschwung dank engagierter Belegschaften und unserer Mitbestimmung die besten Voraussetzungen. In Deutschland muss der Korken aus der Flasche! Es muss sich was tun. Das wäre für Beschäftigte und Unternehmer das Signal, dass sich etwas zum Guten wendet. Es muss schnell gehen, schließlich ist es wirklich fünf vor zwölf.
Dabei liegen Arbeitgeber und Gewerkschaften, was die Reform des Wirtschaftsstandortes Deutschland betrifft, nicht weit auseinander.
Benner: Das stimmt in Teilen. Aber wir erwarten von den Arbeitgebern, dass sie die Beschäftigten an Bord halten. Wir tragen als Gewerkschaften nicht mit, dass Unternehmen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten ins Ausland verlagern oder gar beenden. Gerade Kompetenzen auf den Gebieten des autonomen Fahrens und der Digitalisierung müssen in Deutschland und Europa erhalten und ausgebaut werden. Unsere Forderung an die Arbeitgeber lautet: Durchhalten, kein Job-Kahlschlag, zum Standort stehen, gemeinsam nach Lösungen suchen, zusammenhalten und Demokratie stabilisieren. Wir schaffen das nur gemeinsam.
Apropos Kahlschlag: Sie sagen: „Elon Musk ist ein Gewerkschaftshasser“. Wie sehr regt Sie der Mann auf? Der Milliardär macht auch noch Wahlkampf für die AfD.
Benner: Seitens der IG Metall kennen wir Herrn Musk aus der Auseinandersetzung um Arbeitnehmer-Rechte im Tesla-Werk in Brandenburg. Wir gewinnen immer mehr Mitglieder in dem Betrieb. Trotz heftigen Widerstands des Unternehmens und von Herrn Musk hat die IG Metall-Liste bei den Betriebsratswahlen 39,4 Prozent der Stimmen geholt und stellt die stärkste Gruppe in dem Gremium.
Doch es hat sich Widerstand gegen die IG-Metall formiert.
Benner: Durch den Zusammenschluss arbeitgebernaher Gruppen im Betriebsrat versucht man, uns dort klein zuhalten. In dem Werk in Grünheide beraten wir unsere Mitglieder gerade in Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, weil es dort massive Verstöße durch den Arbeitgeber gibt. Beschäftigte, die unter diesen Bedingungen krank werden, versucht das Management systematisch aus dem Unternehmen zu drängen.

Musk scheint das alles egal zu sein, wenn man sein radikales Wirken als oberster Bürokratie-Jäger in den USA betrachtet.
Benner: Herr Musk hat sogar persönlich in die Betriebsratswahlen in Grünheide eingegriffen und sich auf die Bühne gestellt und seine Beschäftigten aufgerufen, sich nicht auf Gewerkschaften einzulassen. Musk ist wirklich ein Gewerkschaftshasser, hat er doch auch Sprüche wie „Giga Ja! Gewerkschaft Nein!“ auf Buttons drucken und an Beschäftigte verteilen lassen. Sein Verhalten ist unfassbar. Er steht auf dem Standpunkt, dass ihm die Firma gehört und er deshalb in Deutschland machen kann, was er will. Musk hat in der Fabrik die Schichtleiter gezwungen, seine Anti-Gewerkschafts-Agitation an die Mitarbeitenden weiter zu tragen
So etwas dürften Sie als Gewerkschafterin nicht einmal in einem Betrieb eines Patriarchen mit Abneigung gegen Betriebsräte erlebt haben.
Benner: Nein. So etwas wie mit Musk habe ich noch nicht erlebt. Patriarchen gehen weniger brachial vor. Sie versuchen den Beschäftigten pseudo-fürsorglich klarzumachen, dass es Ihnen in ihren Betrieben doch gut gehe. Da brauche man doch keine Gewerkschaften. Solche Patriarchen bemühen sich, alle hinter sich zu scharen. Musk geht – wie jetzt in den USA – zerstörerisch vor und spaltet.
In den USA tritt er noch heftiger als in Deutschland auf.
Benner: Musk tritt dort totalitär auf. Er zieht sich Daten aus Behörden und verstößt damit gegen geltendes Recht. Er will Menschen schocken. Sein Vorgehen nach dem Kauf von Twitter, jetzt X, zeigt das gut: Leute rausschmeißen, unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit eine Plattform für rechte Propaganda fördern, Algorithmen manipulieren, Menschen beleidigen.
Dabei hat sich Musk an AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel rangeschmissen und unterstützt die Partei im Wahlkampf. Wie gefährlich ist der Mann?
Benner: Er glaubt, er kann sich mit Geld alles kaufen. Im gehört die Welt. Er ist Teil von extrem rechten Verbindungen um den US-Präsidenten Donald Trump, dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, dessen italienischer Kollegin Giorgia Meloni, der AfD-Co-Chefin Alice Weidel, dem argentinischen Präsidenten Javier Milei und dem österreichischen FPÖ-Chef Herbert Kickl. Musk ist brandgefährlich für Demokratien, weil er sich mit seinem gigantischen Vermögen und seinem Nachrichtenkanal X in die Politik einmischt. Er will Demokratien zerstören und Europa von innen zersetzen. Umso wichtiger, dass wir in Europa als Demokraten zusammenstehen.
Und wie gefährlich ist das Trio aus Trump, Vance und Musk?
Benner: Sie verfolgen einen bedingungslosen Machtanspruch. Und gerade der Zusammenschluss von Trump und Musk ist besonders gefährlich. Krass finde ich, wie sich Milliardäre diesen Autokraten freiwillig unterwerfen. Es ist ein unglaublicher Vorgang, dass sich Musk in den deutschen Bundestags-Wahlkampf einmischt. Das hat nichts mehr mit Meinungsfreiheit zu tun. Es geht ihm um die Vermehrung seines eigenen Reichtums, da kommt ihm natürlich das neoliberale Wahlprogramm der AfD entgegen. Auch US-Vize-Präsident Vance mischt sich ein und provoziert, indem auch er die AfD unterstützt und sagt, dass in einer Demokratie kein Platz für Brandmauern sei.
Auch die AfD steht Gewerkschaftspositionen fern.
Benner: Die Politik der AfD zielt auch auf eine Schwächung von Gewerkschaften ab. Wer die AfD wählt, stimmt für eine Partei, die Reiche stärken und Menschen mit wenig Geld schwächen will. Das sieht man an den Steuerplänen. Beschäftigten muss vor der Bundestagswahl klar sein: Nur Reiche profitieren von der AfD.
Doch auch Menschen mit wenig Geld wählen AfD. Wie erklärt sich das?
Benner: Weil die Partei falsche Versprechen, vor allem in Migrationsfragen, macht. Doch wer AfD wählt, stimmt als Arbeitnehmer gegen seine Interessen und letztlich gegen sein Unternehmen und damit seinen Arbeitsplatz. Die AfD will aus der EU austreten und wieder die D-Mark einführen. Das würde die deutsche Wirtschaft schwächen und Arbeitsplätze kosten. Wir profitieren vom Export, dem freien Handel in Europa und dem Euro. Die Politik der AfD ist gefährlich für den Wirtschaftsstandort Deutschland und unsere Grundrechte.
Was verbindet die AfD und Musk?
Benner: Die AfD und Musk zeigen eine ähnliche zerstörerische antidemokratische Kraft. Musk hält sich nicht an demokratische Regeln und Gepflogenheiten und zeigt kein Interesse an einem menschlichen Miteinander. Er hat Spaß an der Zerstörung. Das finde ich als Gewerkschafterin und als Mensch verwerflich.
Zur Person: Christiane Benner, 57, ist seit Oktober 2023 Erste Vorsitzende der IG Metall. Die gelernte Fremdsprachenkorrespondentin und Diplom-Soziologin war zuvor von 2015 an Zweite Vorsitzende der Gewerkschaft.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden