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Kommentar: Kaum Wachstum: Deutschland unterschätzt sein zentrales Problem

Kommentar

Kaum Wachstum: Deutschland unterschätzt sein zentrales Problem

Michael Pohl
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    Insolvenzen und Stellenabbau sind nur einzelne Symptome von Deutschlands Wirtschaftsschwäche.
    Insolvenzen und Stellenabbau sind nur einzelne Symptome von Deutschlands Wirtschaftsschwäche. Foto: Bernd Weißbrod, dpa

    Wenn amerikanische Profi-Redenschreiber für Politiker arbeiten, legen sie oft zur Kontrolle ein Zettelchen mit der Hauptbotschaft neben sich, um an keiner Stelle von der Grundidee weit abzuschweifen. Die berühmteste Version stammte von Bill Clintons Chefstrategen James Carville, der in der Wahlkampfzentrale ein Schild aufhing, auf dem stand: „Die Wirtschaft, Dummkopf“. Die interne Erinnerungsstütze war so erfolgreich, dass sie zum Wahlslogan für Clintons Sieg 1992 wurde: „It's the Economy, stupid!“ 

    Deutschland international bei Wachstums-Schlusslichtern

    Deutschlands von Wahlsiegen weit entfernte Regierungskoalition wäre gut beraten, ein ähnliches Motto am Kabinettstisch zu platzieren. Denn Konjunkturlokomotive zum Bremsklotz gewandelt. Unter den 30 wichtigsten Industrieländern zählt die Bundesrepublik nicht nur in der EU zu den Schlusslichtern beim Wirtschaftswachstum. Unter den 38 wichtigsten OECD-Industrieländern verharrt es gar auf dem viertletzten Rang. 

    Debatte um den Fachkräftemangel täuscht den Blick

    Angesichts scheinbar niedriger Arbeitslosenzahlen wiegen sich aber Teile der Politik und Gesellschaft in falscher Sicherheit: Doch nicht nur die Debatte über Fachkräftemangel täuscht den Blick. Im Vergleich zum Jahr 2019 vor der Pandemie liegt die Zahl der Arbeitslosen schon heute über eine halbe Million höher. Bei anhaltender Entwicklung droht die Arbeitslosigkeit im Wahljahr 2025 die Drei-Millionen-Grenze zu brechen. 

    Laut Bundesagentur lag die Chance, aus der Arbeitslosigkeit in eine neue Stelle zu kommen, im April „auf einem historisch niedrigen Niveau“. Ohne Aussicht auf Wachstum in der eigenen Branche schaffen Unternehmen kaum neue Jobs. Im Gegenteil, es vergeht kaum ein Tag ohne Schlagzeilen von angekündigtem Stellenabbau. 

    Am Arbeitsmarkt zeigt sich nur eines von vielen Problemen der deutschen Wachstumskrise. Das ganze deutsche Sozialstaatsmodell baut auf Wirtschaftswachstum auf: Im Jahr, als Bill Clinton in den USA die Wahl gewann, finanzierten in Deutschland noch 2,7 Beitragszahler einen Rentenempfänger, heute sind es nur noch knapp zwei. Dass dies funktioniert, liegt am Wachstum der Produktivität pro Arbeitnehmer und wachsenden Steuereinnahmen. 

    Ohne mehr Wachstum wird die Sozial- und Klimapolitik unfinanzierbar

    Ohne deutlich mehr Wachstum werden die geplante Rentenreform der Ampel ebenso wie ihre Gesundheits- und Pflegereformen unfinanzierbar: Die Sozialversicherungsbeiträge müssten so steigen, dass die deutsche Wirtschaft durch massiv erhöhte Lohnkosten im internationalen Vergleich zusätzlich ausgebremst würde. 

    Und selbst Deutschlands gewünschte Klimapolitik ist brüchig auf Wachstum aufgebaut: Die Ampel hat bereits massive Probleme, ihre Subventionspolitik zu finanzieren, wie der Kollaps der E-Auto-Förderung zeigt. Gefährlicher ist jedoch, dass der Grundgedanke der Klimapolitik scheitert: Dass Deutschland mit der Versöhnung von Ökonomie und Ökologie internationales Vorbild sein kann und damit gute Geschäfte macht. 

    Statt die Wachstumsschwäche als zentrales Problem weiter zu unterschätzen, müssen sich die Ampelparteien dringend zusammenraufen. Viele Wachstumsimpulse wären wenig umstritten und billig: Deutlich schnellere Digitalisierung, weniger Bürokratie, Aussetzen hemmender Regulierungen zumindest auf Zeit. Und vor allem: mehr Berechenbarkeit der Politik. 

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