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Social Media: "BeReal ist Social Media für Leute, die Social Media hassen"

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"BeReal ist Social Media für Leute, die Social Media hassen"

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    "BeReal" ist eine Social-Media-Plattform, die keine weitere Social-Media-Plattform sein möchte. So zumindest ihr Selbstverständnis
    "BeReal" ist eine Social-Media-Plattform, die keine weitere Social-Media-Plattform sein möchte. So zumindest ihr Selbstverständnis Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Jungen Menschen eilt der Ruf voraus, ungern Anweisungen zu befolgen. Trotzdem haben Millionen Jugendlicher und junger Erwachsener in den vergangenen Monaten eine App heruntergeladen, die ihren Nutzerinnen und Nutzern täglich einen Befehl erteilt. Ja sogar ihr Name ist ein Imperativ. "BeReal" nennt sie sich. Zu Deutsch: Sei authentisch.

    Dahinter steckt eine Social-Media-Plattform, die keine weitere Social-Media-Plattform sein möchte. So zumindest ihr Selbstverständnis. Bloß kein Facebook, kein Twitter und schon gar nicht Instagram. Ganz im Gegenteil. Nichts Geringeres als das Anti-Instagram will man sein, sagte 2019 der Gründer der Plattform, Alexis Barreyat aus Frankreich. "Deine Freunde in echt", verspricht das Unternehmen. Keine Filter, dafür ehrliche Fotos. Der Anspruch ist hoch. Gerecht wird die App dem nur bedingt. Und doch bringt sie mehr Spaß als die meisten ihrer Konkurrenten.

    Die App befiehlt ihren Nutzerinnen und Nutzern, wann sie ein Foto posten sollen

    Aber von vorn. Die App nutzt verschiedene Mechanismen, um die Nutzerinnen und Nutzer dazu zu bewegen, möglichst authentische Fotos zu posten. Der erste Mechanismus: Spontanität. Einmal am Tag fordert die App ihre Nutzerinnen und Nutzer per Push-Nachricht auf, ein Foto von sich zu schießen. "Time to be real", steht in der Push-Nachricht. Dann haben die Nutzerinnen und Nutzer zwei Minuten Zeit, ein Foto hochzuladen. Der Zeitpunkt variiert von Tag zu Tag. Zwar können Fotos auch später gepostet werden, diese sind dann aber entsprechend gekennzeichnet. Filter oder andere Anwendungen zur Nachbearbeitung der Bilder gibt es in der App nicht.

    Zweiter Mechanismus: Kontext. Die Fotos werden mit Vorder- und Rückkamera geschossen – und das gleichzeitig. Wer durch die Fotos seiner Freunde scrollt, sieht nicht einfach nur Selfies. Sondern erfährt auch, wo sie sich befinden und was um sie herum passiert. Im Übrigen gar nicht so leicht, mit zwei Kameras gleichzeitig ein möglichst ansprechendes Foto zu schießen. Aber das nur am Rande.

    Dritter Mechanismus: Vergänglichkeit. Die Fotos werden nach 24 Stunden gelöscht. Das soll die Nutzerinnen und Nutzer animieren, auch weniger attraktive Fotos von sich zu posten. Ist ja am nächsten Tag ohnehin verschwunden.

    Und viertens: Gegenseitigkeit. Die Fotos von Freundinnen und Freunden können die User nur sehen, wenn sie am selben Tag auch ein Foto von sich hochgeladen haben. Das Versprechen: Andere posten blöde Bilder von sich, dann kannst du das auch.

    Die Situationen sind häufig banaler als auf Instagram: weniger Urlaubsbilder, mehr Sofa-Content

    Auch sonst macht die Plattform einiges anders als ihre großen Konkurrenten. Im Profil wird beispielsweise nicht ersichtlich, wie viele Freundinnen und Freunde ein Nutzer oder eine Nutzerin hat. Weniger Beliebtheitsdruck also. Auch wird in der App keine Werbung angezeigt. Das verspricht weniger Datenmissbrauch zu kommerziellen Zwecken – bisher zumindest. Denn wie BeReal Geld verdienen möchte, ist im Moment noch unklar. Und: Seit Jahren fordern Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Medien, es brauche eine europäische Social-Media-Plattform – als Gegengewicht zum Silicon Valley und China. Jetzt ist sie da, BeReal kommt aus Frankreich.

    Bei den Nutzerinnen und Nutzern scheint das alles anzukommen. "BeReal hat es durch ein sehr cleveres App-Design geschafft, die Sachen an Social Media zurückzubringen, die vor fünfzehn Jahren einmal Spaß gemacht haben: spontane, nicht belastende Interaktionen mit Freunden und Bekannten", sagt Tech-Journalist Gregor Schmalzried. Er ist Autor des Newsletters coolgenug.de, in dem er regelmäßig über digitale Kultur schreibt. Anders als Instagram und TikTok werde die App nicht "jeden Monat mit fünfzig neuen Funktionen vollgeladen", sagt er. Sie verleite auch nicht dazu, endlos Zeit zu verplempern und verursache deutlich weniger sozialen Druck. "BeReal ist Social Media für Leute, die Social Media hassen. Und solche Leute gibt es mittlerweile sehr viele."

    Doch auch auf BeReal posieren die Nutzerinnen und Nutzer, um möglichst interessant, lustig oder hübsch auszusehen. Die Situationen sind nur häufig banaler als beispielsweise auf Instagram. Weniger Urlaubsbilder, mehr Sofa-Content. "Wer durch einen durchschnittlichen BeReal-Feed scrollt, sieht ganz normale Leute beim Brunch genauso wie ganz normale Leute in Hoodies, die zerknautscht auf dem Sofa liegen", sagt er. "Wer durch einen durchschnittlichen Instagram- oder TikTok-Feed scrollt, sieht bis zur Unkenntlichkeit entstellende Gesichtsfilter und endlos schöne Modelgesichter." Nichtsdestotrotz gebe es auch auf TikTok Menschen, die geerdet auftreten und auf BeReal Menschen, die sich überinszenieren würden. "Keine App ist absolut authentisch oder un-authentisch. Aber BeReal ist im Durchschnitt deutlich entspannter."

    "BeReal macht Spaß, und könnte es weit bringen"

    Und damit scheinen die Entwickler Erfolg zu haben. Die App stand im vergangenen Monat auf Platz eins der Downloads im AppStore. Wie lange dieser Erfolg anhält, wird sich zeigen. Aktuell beginnen die großen Social-Media-Konzerne, die App nachzuahmen. TikTok beispielsweise testet seine Funktion "Now", quasi eine Kopie des BeReal-Prinzips. Damit besteht die Gefahr, dass BeReal von den großen Plattformen kaputt kopiert wird.

    Gregor Schmalzried aber gibt sich optimistisch. "BeReal macht Spaß, und könnte es weit bringen, wenn die Entwickler es schlau anstellen. Aber selbst wenn nicht – dass überhaupt wieder neue Social-Media-Apps von sich reden machen, das ist die eigentliche Story", sagt er. Und wenn BeReal das schafft, besteht die Möglichkeit, dass auch andere Plattformen das schaffen. "Es kann gut sein, dass wir in den nächsten paar Jahren mehr experimentelle Social-Media-Apps erleben werden, und unsere Smartphones zum ersten Mal seit Jahren wieder ein bisschen aufregend werden."

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