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Revolutionsdrama: Augsburger Intendant inszeniert in Weimar

Revolutionsdrama

Augsburger Intendant inszeniert in Weimar

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    Im Räderwerk der Geschichte – eine Szene aus André Bückers Inszenierung „November 1918“ im Nationaltheater Weimar.
    Im Räderwerk der Geschichte – eine Szene aus André Bückers Inszenierung „November 1918“ im Nationaltheater Weimar. Foto: Candy Welz, Nationaltheater

    Welch’ ein historischer Schauplatz: Weimar mit seiner Theatergeschichte, an der in erster Linie Goethe und Schiller tatkräftig mitwirkten. Weimar mit seiner politischen Geschichte, weil hier nicht nur 1816 der erste deutsche Monarch seinem Staat eine Verfassung gab, sondern weil hier vor allem Anfang 1919 mit der Nationalversammlung die Weimarer Republik entscheidend vorbereitet wurde. Beides triftig zu verbinden, das Theater mit der schweren, blutigen Geburt der Weimarer Republik, war jetzt Augsburgs Intendant André Bücker angetreten, der Alfred Döblins großen vierteiligen Roman „November 1918“ adaptierte und inszenierte.

    Vor etlichen Jahren schon hatte Bücker dieses literarische Historien-Panorama antiquarisch erstanden, studiert und als möglichen dramatischen Stoff begriffen – wie er am Wochenende fünf Minuten vor Premierenbeginn in der Wandelhalle des Nationaltheaters erzählte: „eine Herzensangelegenheit“. 2015 dann, noch war er nicht in Augsburg angetreten, wurde ihm klar, wie passend „November 1918“ mit seiner Handlung rund um Weltkriegsende und Ermordung von Rosa Luxemburg sowie Karl Liebknecht für Weimar wäre. Theater gleichsam an einem Originalschauplatz. So bot er Idee und Roman-Dramatisierung dem Weimarer Intendanten Hasko Weber an – und der griff zur Jubiläumsspielzeit „100 Jahre Weimarer Republik“ zu.

    Die große Revolution wird heruntergebrochen

    Klein durfte Bücker dabei nicht denken. Döblin bietet neben Kaiser Wilhelm II. auch die deutsche Generalität und Hindenburg auf, dazu die Sozialdemokraten Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann, ja, sogar den US-Präsidenten Wilson, um das revolutionäre Ziehen und konterrevolutionäre Zerren an der deutschen Zukunft zu umreißen. Und es erhalten Auftritt die zwei Kriegsheimkehrer Becker und Maus, die es im Strudel der kochenden Zeit fortreißt. Die große Revolution wird heruntergebrochen auf ihre Auswirkungen im Privaten, auf Familientragik und kleines Glück – und auf das rivalisierend-ungeschickte Werben um eine Frau.

    Dabei verbindet Bücker Schauspiel und Musiktheater spartenübergreifend für eine Mischung aus Sprechbühne, Revue, Agitprop, Melodram, Kabarett und große Oper. Zusammen mit Stefan Lano, der auch die Staatskapelle Weimar leitet, wird politische Hymne, sakraler Chorgesang, Neue Musik in der Fortschreibung von Alban Berg sowie „Tristan“-Liebesmusik vielschichtig verschränkt – so, wie Döblin vielschichtig Politik, individuelle Biografie und Mystik verschränkte. Das hat im spätexpressionistischen Bühnenbild von Jan Steigert emotional-appellativen Zug.

    Hilft Gewalt gegen Gewalt?

    Doch die besten Momente konzentrieren sich inmitten des tödlichen Revolutions- und Restaurierungsgeschiebes auf den Zweikampf Becker gegen Maus. Ihr scharfer, dialektischer Disput steht im Zentrum der Produktion, ihr Disput um zweierlei Leitlinien: um die Frage des persönlichen Gewissens und um die Frage, ob nur Gewalt gegen Gewalt hilft. Dass mit Max Landgrebe ein starker, weil wandlungsfähiger Schauspieler für die Rolle des Becker besetzt ist, macht den Abend für das Publikum auch identifikationsstiftend. Ein psychisch-physisches Kriegswrack wird zu einem stets skeptischen, stets unentschiedenen, mehr oder weniger geheilten Gläubigen. Döblin kannte sich aus mit Psychosen und Bekehrung. Bücker aber durfte man um Mitternacht, nach viereinhalb Stunden, unehrenrührig unterstellen, dass seine Sympathien in diesem Projekt eben Becker und Rosa Luxemburg galten. Applaus für das richtige Stück am richtigen Ort zur richtigen Zeit.

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