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Kritik: Theater Augsburg: Lady Macbeth sucht Liebe und wird zur Mörderin

Kritik

Theater Augsburg: Lady Macbeth sucht Liebe und wird zur Mörderin

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    Darf man einen Opernabend als fulminant bezeichnen, bei dem so viel menschliche Schwäche und Gemeinheit, so viel menschliche Rohheit und so viel Sadismus zutage treten wie in Dmitri Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“? Ganz abgesehen einmal von der Handvoll Rammeleien auf der Bühne, bei denen die pure Gewalt, die latente Gewalt und das schnöde Vertragsgeschäft die Hauptrolle spielen. Ist das Wort „fulminant“ nicht vollkommen unangemessen hinsichtlich einer Tragödie um eine junge Frau, die Opfer und Täter gleichzeitig bleibt?

    Doch eindeutige Antworten auf beide Fragen gibt es nicht. So einfach liegt die Sache keineswegs. Der Komponist Dmitri Schostakowitsch hat mit seinem 1934 uraufgeführten Meisterstreich eine neue Untergattung des Musiktheaters geschrieben, eine „tragisch-satirische Oper“. Da ist viel Spannung, wenn nicht gar Widerspruch drin. Satire – so sie den Namen verdient – ist saftig, geistvoll-fulminant; aber gleichzeitig unterminiert sie naturgemäß jegliches Einfühlen in tragische Gestalten – wie ja auch Katerina in Schostakowitschs Oper eine ist.

    Lady Macbeth ist die nächste Großtat am Theater Augsburg

    Diese enorme Spannung nicht aufgelöst, geglättet, sondern geradezu nuancierend ausgearbeitet und zugespitzt zu haben – dies macht die jüngste Großtat am Theater Augsburg aus. Peter Konwitschny, dieser alte Hase der Inszenierungskunst, hat Schostakowitschs vieraktige Herausforderung so vielschichtig und perspektivenreich in Szene gesetzt, dass der Abend nun eben doch das ist, wovor man zögerte, es so zu nennen: fulminant. Dass seine so ingeniöse wie trickreiche Regie während der anstehenden Theatersanierung in einer Ausweichspielstätte keine Chance hätte, weil sie eine genuine Theaterbühne benötigt, liegt auf der Hand. Auch sie ist ein Plädoyer fürs Theater schlechthin.

    Katerina ist ein Kind geblieben. Wenn sie nicht einschlafen kann, wird sie trotzig. Legt sich brettsteif aufs Bett und trommelt mit den Fingern. Verständlich ihre Sehnsüchte: Überwindung der Langeweile und der ehelichen Liebesschwäche, Überwindung all der Demütigungen in Haus und Hof. Daraus erwächst ihre Tragödie, deshalb mordet sie – übrigens mit aller Sympathie Schostakowitschs, der hier in Musik setzt: Mord ist nicht gleich Mord; Gerechtigkeit verlangt Differenzierung.

    Später wird das Kind in der zitronengelben Katerina zitronengelbe Bühnenwirklichkeit. Die beiden träumen miteinander, helfen einander, spielen miteinander. Die kleine Katerina ist aber nicht nur Kindheitserinnerung und Alter Ego, sie ist auch Kinderwunsch der großen Katerina. Ganz starke, auch poetische Szenen. Sie werden übertroffen nur von der eingeschalteten Kinderpantomime vor dem Finale des Abends, da in Stummfilmmanier die zwei Morde der Katerina noch einmal nachgespielt werden – und vorweggenommen wird der dritte Mord Katerinas und was zu ihm führte. Brillante Idee, brillant auch gespielt von den Kindern – und zwar auf einem abendfüllenden Laufband quer über die Bühne. Es muss wohl als ein Symbol mechanisierter Unausweichlichkeit, unaufhaltsamen Schicksals verstanden werden (stets plausible Ausstattung: Timo Dentler/Okarina Peter).

    Sängerin Sally du Randt überzeugt als Katerina

    Durchgehend also zeigt sich die Theaterpranke Konwitschnys, dem die Quadratur des Kreises auch insofern gelingt, als er trotz mancher interpretatorischen Brechung die ihm aufgetragene Geschichte mit derselben eminenten Klarheit erzählt wie vor eineinhalb Jahren die Augsburger „Jenufa“.

    Was aber sind die Brechungen des Abends? Während Konwitschny die Tragödie – bei aller poetischen Überhöhung – ungebrochen ernst nimmt, spaltet er die satirischen Momente nuancierend auf – in Ironie, Groteske, Sarkasmus, Kolportage, direkte Publikumsansprache. Wenn Katerina ihren geil-despotischen Schwiegervater mit Rattengift mordet, dann präsentiert sie dem Publikum die 10-kg-Packung des Toxikums wie ein Nummerngirl. Mal wird Brecht fiktiv zitiert, dann Publikumseuphorie vom Band zugespielt und ein makabrer Stalin-Witz eingeflochten. Letztlich immer zum Zweck, dass das Lachen im Halse steckenbleiben möge. Aber natürlich wird dennoch gelacht – und natürlich auch in Augsburg an jener Stelle, da nach der Beischlaf-Musik zum zweiten Akt das beste Stück des Orchesters erschlafft – die zuvor so viril-stramme Posaune.

    Die Oper "Lady Macbeth" in Kürze

    Nachdem Katerinas despotischer Schwiegervater ihren Liebhaber entlarvt und ausgepeitscht hat, vergiftet ihn Katerina. Auch ihr Mann Sinowi wird gemeinschaftlich ermordet, als er Katerinas Liebhaber Sergej entdeckt.

    Bei der Hochzeit zwischen Katerina und Sergej fliegt der Mord an Sinowi auf. Die Polizei nimmt beide fest. Sie werden zu Zwangsarbeit verurteilt.

    Auf dem Weg ins Lager findet Sergej eine neue Geliebte: Sonjetka. Diese will sich ihm nur hingeben, wenn er Katerinas Strümpfe besorgt. Unter Vorspiegelung erfrierender Füße entlockt Sergej die Strümpfe Katerinas. Als sie den Betrug erfährt, stößt sie Sonjetka ins Wasser und springt hinterher.

    Sie fand freilich zu jener Hab-acht-Haltung zurück, wie sie das gesamte Orchester unter Domonkos Héja einen Abend lang einnahm. Musiziert wurde mit Distinkt, Ernst, Plastizität und auch gebotenem brutalen Pathos. Das Verhängnis stand im Vordergrund, nicht Schostakowitschs karikierende Artistik. Auch diesbezüglich also ein großer Abend, den Sally du Randt als Täter-Opfer Katerina überwölbte, indem sie – bei erheblicher körperlicher Inanspruchnahme – die Nerven behielt und das (sehr hohe) Lyrisch-Introvertierte neben das Dramatisch-Extrovertierte stellte. Enorme Bandbreite. Young Kwon als niederträchtiger Boris, Ji-Woon Kim als schwächlicher Sinowi, Mathias Schulz als Sergej und der Chor sangen – in dieser Reihenfolge – ihre Partien ansprechend bis sehr gut. Viel Beklemmung, viel Applaus.

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