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"Exilio": Das miese Geschäft mit den Flüchtlingen

"Exilio"

Das miese Geschäft mit den Flüchtlingen

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    Das Attentat von Ansbach: Der Lindauer Verein Exilio hatte über den IS-Terroristen Mohammad D. ein Gutachten erstellt.
    Das Attentat von Ansbach: Der Lindauer Verein Exilio hatte über den IS-Terroristen Mohammad D. ein Gutachten erstellt. Foto: Christian Flemming

    Sein Name steht auf dem Gutachten. Auf der ersten Seite jenes 25-seitigen Dokuments, aus dem Medien in ganz Deutschland zitierten – weil es angeblich das Innenleben des Selbstmordattentäters Mohammad D. von Ansbach beschreibt. „Die Untersuchung wurde von Herrn Amar S. (Name von der Redaktion geändert)aus Lindau aus dem Arabischen gedolmetscht“, hat Gutachter und Heilpraktiker Axel von Maltitz vom Lindauer Flüchtlingshilfsverein Exilio seiner Analyse vorausgeschickt. Das wirft Fragen auf. Denn Amar S., der Mann, der nicht nur Lebenslauf, sondern auch traumatische Erlebnisse und seelische Nöte übersetzt hat, sagt über sich selbst: „Meine Deutsch ist eine gebrochene Deutsch.“

    Exilio ist bundesweit bekannt geworden – weil hier der Selbstmordattentäter von Ansbach untersucht und therapiert worden ist. Im Zuge der gemeinsamen Recherche von unserer Zeitung und derSüddeutschen Zeitungüber diesen Verein tauchen jedoch immer mehr Fragen auf: Wie kommen die Gutachten zustande? Wer finanziert die Therapien? Und: Wird hier tatsächlich nur Flüchtlingshilfe geleistet?

    Wir treffen S. in einem Café am Lindauer Hafen. Er erzählt von seinen Erfahrungen mit dem Verein, der sich seit Jahren mit Vorwürfen konfrontiert sieht: nicht nachvollziehbare Verwendung von Spenden, die Weigerung, mit anderen Helfern und Behörden zusammenzuarbeiten, Drohungen gegen Mitarbeiter und Vereinsmitglieder – und eine fragwürdige Art von Flüchtlingsbetreuung. Vor 20 Jahren wurde Exilio gegründet. Vereinszweck: „Hilfe für Migranten, Flüchtlinge und Folterüberlebende“. Amar S. wurde von Exilio betreut. Vor Jahren setzte er seine Unterschrift unter ein Papier, das er nicht recht verstand. „Haben gesagt, ohne Vollmacht die bearbeiten nicht die Papiere.“

    S. hat nie einen Deutschkurs besucht

    Unserer Zeitung liegt eine dieser erteilten Vollmachten vor. Eine Analphabetin hat sie mit einem Kreuz unterschrieben und so die Exilio-Geschäftsführerin Gisela von Maltitz berechtigt, Post und Dokumente von Ämtern, Juristen und staatlichen Organen „in meinem Auftrag entgegenzunehmen und zu beantworten“. S. sagt über die damals geleistete Unterschrift: „War meine größte Fehler.“ Denn auch mit Vollmacht hat sich Exilio nicht zuverlässig gekümmert, lässt sich nach mehrmaligem Nachhaken seiner Erzählung entnehmen: Ein Brief des Landratsamts – „eine gute Brief, eine positive“ – sei wochenlang im Exilio-Büro liegengeblieben. Die Frist zur Beantwortung war abgelaufen. Das habe ihn im Asylverfahren weit zurückgeworfen, sagt S.

    Wie Amar S. den mutmaßlichen IS-Attentäter Mohammad D. erlebt hat, wird nach mehreren Gesprächen und häufigem Nachfragen klar. Eigentlich wollte S. für Exilio nicht mehr übersetzen, nachdem man ihm dort das Honorar für viele Stunden schuldig geblieben war – aber Axel von Maltitz habe ihn bekniet. Zwischen Mohammad D. und seinem syrischen Landsmann S. hat es dann wohl Streit gegeben. D. habe seinen Übersetzer beschimpft, als er erfuhr, dass er aus der Stadt Afrin stammt und Kurde ist, sagt S. „Hat mir beleidigt, wegen kurdisch und so.“ Später habe D. verlangt, dass eine andere Übersetzerin übernimmt und zwischendurch mit Axel von Maltitz Englisch gesprochen. Welche der Gespräche dem Gutachten, welche der später ebenfalls von Axel von Maltitz durchgeführten Traumatherapie dienten, weiß Amar S. nicht. Er fragt sich „Warum meine Name? Warum nicht die andere?“, als wir ihm das „psychologische Fachgutachten“ zeigen.

    S. hat nie einen Deutschkurs besucht. Im Alltag, bei der Arbeit und beim Fernsehen eignete er sich die deutsche Sprache so weit an, dass er zurechtkommt. Er selbst zweifelt an seinen Kenntnissen. Exilio aber genügt diese Qualifikation. „Wenn ein Sachverhalt aufgrund der übersetzten Aussagen nicht ausreichend geklärt erschien, erfolgten Nachfragen“, lässt Axel von Maltitz auf Anfrage durch seinen Anwalt ausrichten. Reicht das aus, um komplexe Diagnosen zu stellen?

    Laut Else Bittenbinder von der „Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer“ gibt es zwar keine rechtlich abgesicherte Mindestanforderung an Dolmetscher bei Traumatherapien, wohl aber klare Regeln. Konkreter wird Nina Rehbach von der Bayerischen Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten: „Sprachmittler, die psychotherapeutische/psychiatrische Sitzungen übersetzen, sollten spezifische Schulungen sowie eine regelmäßige Supervision erhalten.“ S. beteuert, nie eine Schulung besucht zu haben.

    Für Gutachten gibt es Vorgaben

    Fragwürdig ist auch die Qualifikation des Mannes, der Mohammad D. auf Kosten des Sozialministeriums therapiert hat. Der Heilpraktiker für Psychotherapie Axel von Maltitz gibt an, eine Ausbildung als Primärtherapeut und Weiterbildungen in verschiedenen Therapiemethoden absolviert zu haben. Dass dies zur Behandlung schwer traumatisierter Menschen ausreicht, zweifeln auch Fachleute an. Das Landratsamt Lindau jedenfalls konnte durch eine Klage zweier von Exilio betreuter Flüchtlinge nicht dazu gezwungen werden, die Therapie bei von Maltitz zu bezahlen, während sich die Stadt Ansbach im Fall Mohammad D. offenbar dazu verpflichtet sah. Der Sprecher des Sozialministeriums erklärt, es gebe in diesem Bereich keine „speziellen Mindestanforderungen“.

    Für Gutachten, die eine psychische Erkrankung belegen, gibt es jedoch Vorgaben. Dass Axel von Maltitz diese nicht erfüllt, geht aus Urteilen des Verwaltungsgerichts Augsburg hervor. Auch das Gesundheitsministerium fordert sowohl für die Feststellung einer psychischen Erkrankung als auch der Reiseunfähigkeit eines Flüchtlings das Attest eines Facharztes. Warum verfasst Heilpraktiker von Maltitz dennoch reihenweise Gutachten?

    Weil sie immer wieder funktionieren. Sie dienen unter anderem dem Zweck, Asylverfahren hinauszuziehen, sie auszudehnen „wie Gummi“ – so beschreibt es der Übersetzer S. Seine Einschätzung teilen viele. So hat Exilio eine in Kempten untergebrachte dreiköpfige Familie von der freiwilligen Heimreise in einen Balkanstaat abgehalten – im letzten Moment, die Flugtickets lagen schon bereit. Exilio hatte geraten, einen Asylfolgeantrag zu stellen. Als die Familie die Aussichtslosigkeit erkannte, zog sie den Antrag zurück. Glücklicherweise drückte die Zentrale Rückkehrberatung (ZRB) ein Auge zu und bezahlte ein zweites Mal Flugtickets – als absolute Ausnahme, „wegen des Vorgehens von Exilio“, wie in den Akten bei der Kemptener Ausländerbehörde vermerkt ist.

    Lindauer Landrat äußert wiederholt Kritik an Exilio

    Ein paar Wochen mehr, verfallene Flüge, enttäuschte Hoffnung, Anwaltskosten – für nichts. Widerspruch und Klage: Aus diesen beiden Zutaten lassen sich quälend lange Verfahren brauen, die Behörden und Gerichte beschäftigen und den Betroffenen oft mehr schaden als helfen. Mitarbeiter des Landratsamts und Helfer in Lindau haben Exilio häufig in dieser Rolle erlebt.

    Deshalb hat der Lindauer Landrat Elmar Stegmann wiederholt seine Kritik an Exilio gegenüber Sozialministerium und Regierung von Schwaben formuliert. Auch sein Vorgänger Eduard Leifert schickte Protestnoten nach München und Augsburg. Im Jahr 2008 sprach er sich vergeblich gegen die Verleihung der bayerischen Sozialmedaille an Gisela von Maltitz aus. Er schrieb: „Die Arbeit von Exilio ... zielt in vielen Fällen unmittelbar auf die Erreichung von dauerhaften Aufenthaltsrechten ... unabhängig vom persönlichen Schicksal der Betroffenen ab, insbesondere durch die Verhinderung von Rückführungen oder freiwilligen Ausreisen.“

    Der Fall einer Serbin bestätigt diesen Eindruck: Die Frau aus Ex-Jugoslawien war wegen eines schweren Vergehens im Gefängnis. Das Landgericht Kempten verurteilte sie 2000 wegen Beihilfe zu Vergewaltigung und sexueller Nötigung ihrer Stieftochter zu sieben Jahren Haft. Sozialpädagogin Gisela von Maltitz betreute die Familie, hat aber vom jahrelangen Missbrauch angeblich nichts mitgekommen. Die Verfahrensübersicht der Serbin füllt eine ganze DIN-A4-Seite: Asylanträge, Asylfolgeanträge, illegale Einreisen, Abschiebungen und Klagen – seit 1988. Abgeschoben wurde sie zuletzt am 1. Juli dieses Jahres. Warum sich Gisela von Maltitz über Jahrzehnte beharrlich für diese Frau einsetzte, ist schwer nachvollziehbar. Dass sie je ein Aufenthaltsrecht erhalten würde, war laut Experten nie zu erwarten. Der „ominöse Verein“, wie es ein Kemptener Richter formulierte, hieß Anfang 2000 noch „Zentrum zur Behandlung von Folteropfern“.

    Inzwischen sind sich offenbar auch langjährige Unterstützer der Seriosität Exilios nicht mehr sicher. Die erfolgreiche Autorin Cornelia Funke („Tintenherz“), die seit 1998 viel Geld nach Lindau überwiesen hat, legte ihre Schirmherrschaft vor einiger Zeit nieder. Der Aufforderung, ihren Namen von der Homepage zu nehmen, kam der Verein erst kürzlich nach. Auch Übersetzer Amar S. möchte die Verbindung zu Exilio endgültig lösen. Weil er seine Vollmacht nicht zurückerhalten hat, erklärte er schließlich direkt bei der Ausländerbehörde, dass seine Post nur noch an ihn zu richten sei. Nächstens will er seine Akten im Exilio-Büro holen, wo sie zwischen denen 800 weiterer Flüchtlinge stehen – so viele Menschen betreut der Verein, sagt dessen Anwalt.

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