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Interview: So könnte der Religionsunterricht der Zukunft aussehen

Interview

So könnte der Religionsunterricht der Zukunft aussehen

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    Tora, Bibel und Koran: Was Schüler in Bayern glauben, differenziert sich immer mehr. Gleichzeitig steigt die Zahl der bekenntnislosen Kinder.
    Tora, Bibel und Koran: Was Schüler in Bayern glauben, differenziert sich immer mehr. Gleichzeitig steigt die Zahl der bekenntnislosen Kinder. Foto: Godong Leemage/imago

    Frau Naurath, warum muss der Religionsunterricht in Bayern und Deutschland sich ändern?

    Weil sich die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern. Wir leben in einer Zeit unterschiedlicher Weltanschauungen und religiöser Zugehörigkeiten. Die religiöse Sozialisation bei Kindern und Jugendlichen nimmt immer mehr ab. Es gibt mehr bekenntnislose Kinder, dazu einen wachsenden Anteil an muslimischen Schülerinnen und Schülern. Deshalb muss man den Religionsunterricht weiterentwickeln.

    Wo genau setzen Sie an?

    Wir müssen die Zusammenarbeit zwischen den Konfessionen deutlich stärken. In Baden-Württemberg und Niedersachsen findet das schon seit einigen Jahren statt. In Bayern ist der Religionsunterricht noch sehr stark nach Konfessionen getrennt. Konfessionell soll er auch bleiben. Aber die Schüler sollen in einem konfessionell-kooperativen Unterricht stärker als bisher Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Glaubensrichtungen kennenlernen.

    Wie könnte so eine Zusammenarbeit aussehen?

    Wir meinen damit nicht nur eine evangelisch-katholische Kooperation, sondern auch die mit anderen Religionen. Und man muss sehen, dass konfessionslose Kinder eine gewisse religiöse Grundbildung erhalten.

    Haben Sie ein Beispiel?

    Ich habe hier in Augsburg eine Lernwerkstatt für interreligiöse Bildung, in der christliche und muslimische Schüler an Projekttagen Themen wie Schöpfung, Tod oder ewiges Leben behandeln. Sie können gemeinsam überlegen: Was denkt der Islam zu diesem Thema? Was denkt das Christentum zu diesem Thema? Sie können sich Fragen stellen, die Religionen kennenlernen. Ich denke, dass man die Entstehung von Vorurteilen verhindern kann, wenn man Kinder schon im frühen Alter miteinander in Dialog bringt.

    Wie haben die Kinder reagiert?

    Elisabeth Naurath ist seit  2013 Inhaberin des  Lehrstuhls Evangelische  Theologie/Religionspä dagogik der Uni Augsburg.
    Elisabeth Naurath ist seit 2013 Inhaberin des Lehrstuhls Evangelische Theologie/Religionspä dagogik der Uni Augsburg. Foto: Silvio Wyszengrad

    Sehr interessiert. Auffallend ist, dass muslimische Kinder stärker religiös sozialisiert sind und mehr erzählen können, wie sie ihren Glauben in der Familie leben. Christliche Kinder wissen weniger, müssen sich oft erst rückversichern. Aber auch sie können im Dialog Eigenes entdecken und weiterentwickeln.

    Jetzt gibt es in Bayern Islamunterricht nur als Modellprojekt an ausgewählten Schulen. Muss sich das ändern?

    Ein islamischer Religionsunterricht für alle muslimischen Schüler würde die Zusammenarbeit zwischen den Religionen erleichtern. Eine Vision von mir ist, dass es an den Schulen Lernwerkstätten gibt, in denen Kinder und Jugendliche sich regelmäßig miteinander über religiöse Themen austauschen können.

    Was sagen Sie Menschen, die ohnehin schon der Meinung sind, dass der Islam zu viel Platz in Deutschland einnimmt und nicht auch noch an den Schulen etabliert werden muss?

    Die Angst vor dem Islam ist oft eine irrationale, die fundamentalistische Entgleisungen für den Islam schlechthin hält. In Deutschland aber haben sich Institute für islamische Theologie entwickelt, die versuchen, einen reformfähigen Islam auszubilden und mit der Wissenschaft in Dialog zu sein. Hätten wir einen institutionalisierten islamischen Religionsunterricht, dann würde das auch bedeuten, dass die muslimischen Kinder in ihrem eigenen Glauben urteilsfähig werden. Das schützt ganz stark vor Fundamentalisierung.

    Wen sehen Sie in der Pflicht?

    Die Schulen müssten islamischen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach anbieten können und die Ausbildung an den Hochschulen muss sich verändern. Wir brauchen gemeinsame Lehrveranstaltungen für evangelische und katholische Lehrkräfte, aber auch interreligiöse Angebote. Lehrkräfte müssen in Weiterbildungen darin geschult werden, wie Kooperationen besser ablaufen können. Das könnte man zügig umsetzen. Bisher ist es stark von den Religionslehrern abhängig, ob die gut miteinander können und etwas auf die Beine stellen.

    Lehrer an einer deutschen Schule in Istanbul haben kürzlich berichtet, dass sie im Unterricht nicht über Weihnachten sprechen durften. Ein Rückschlag?

    Wenn es so war, ist das natürlich ein Rückschlag. Man muss Pluralismus- und Demokratiefähigkeit entwickeln. Um des sozialen Friedens willen darf man sich nicht gegenseitig verteufeln, sondern muss miteinander ins Gespräch kommen. Das ist heute wichtiger denn je. Interview:

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