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Reisebericht: Unterwegs auf dem historischen Großsegler „Eye of the Wind"

Reisebericht

Unterwegs auf dem historischen Großsegler „Eye of the Wind"

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    Der historische Großsegler „Eye of the Wind“ ist heute eine Touristenattraktion.
    Der historische Großsegler „Eye of the Wind“ ist heute eine Touristenattraktion. Foto: Klaus Andrews

    Nein, sie hat so gar nichts von Kapitän Ahab: kein wirres graues Haar, kein Bein aus Walfischknochen und keine hässliche Narbe im Gesicht. Kapitän Nora Moro de Lange ist eine große, gut aussehende Frau mit langem braunen Haar und schaukelnden Ohrringen. Statt Kapitänsuniform trägt sie Ringelshirt und Leggins. Schließlich sind wir nicht auf der Jagd nach Moby Dick, dem weißen Wal. Eher halten wir Ausschau nach dem Ungeheuer von Loch Ness. Unser mehr als 100 Jahre alter Windjammer nimmt Kurs durch Schottlands berühmteste Wasserstraße, den Kaledonischen Kanal. Auf der „Eye of the Wind“ fühlen wir uns aber schon wie zu Kapitän Ahabs Zeiten, als man an Meerungeheuer und böse Wale glaubte. Welche Abenteuer werden uns erwarten?

    Noch sind wir im Jetzt: Die Eye? „Ah – the tall ship!“ Taxifahrer Alfred weiß sofort, wohin er in Inverness fahren muss. Der Großsegler, der am Pier liegt, sorgt überall, wo er hinkommt, für Aufsehen. Schaulustige laufen zusammen. Fotokameras und Smartphones klicken. Asiatische Touristen schnattern aufgeregt beim Anblick der riesigen alten Brigg mit dem elegant geschwungenen Rumpf und den beiden hohen Masten. Viele machen ein Selfie. Motto: ich und mein Traumschiff.

    Die schönste Wasserstraße Schottlands

    Wir an Bord sehen dem Treiben am Ufer belustigt zu. Vor uns liegen andere Herausforderungen: zwölf Passagiere aus Deutschland und der Schweiz, von denen nicht alle segeln können. Dazu neun Männer und Frauen aus halb Europa als Schiffsbesatzung. Auf der Fahrt durch den Kaledonischen Kanal und weiter in den Atlantischen Ozean wollen die meisten von uns nicht nur faulenzen und die Profis machen lassen. Alle legen an Bord selbst mit Hand an, auch wenn sie das nicht müssten. Dabei könnten wir nicht unterschiedlicher sein: Sarah, im normalen Leben Beraterin für Altersversorgungsmodelle, Bauunternehmer Hans-Peter, die Freundinnen Monika und Ursula, das Schweizer Paar Matthias und Susanne, das eine Vorliebe für historische Kostümierungen hat. Auch Schiffseigner Ronald Herkert, der früher als Kapitän um die Welt fuhr und nun Verleger in Merching bei Augsburg ist, segelt diesmal mit. „Es geht alles nur im Team“, sagt er. Und genau das lernt man auf einem Schiff.

    Der Kaledonische Kanal gilt als eine der schönsten Wasserstraßen Schottlands, wenn nicht der Welt. Nur etwa ein Drittel der Strecke wurde künstlich geschaffen. Das war Anfang des 19. Jahrhunderts unter Ingenieur Thomas Telford. Heute ist der Kanal vor allem bei Touristen beliebt. Kein Wunder. Vor uns liegen romantische Seen, die Lochs. Die Bergrücken der Highlands ragen in Wolkenschleier. Schwarzköpfige Schafe und zerzauste Rinder weiden an den Ufern auf grünen Wiesen. Es gibt keine hohen Wellen, bei denen man seekrank werden könnte. Alles gut und schön. Aber manche von uns fragen sich: Wie werden wir mit diesem Riesenschiff durch den Kanal mit 29 Schleusen passen?

    Eine Frau lenkt die "Eye of the Wind"

    Vor der Einfahrt zum Loch Ness wartet die erste Bewährungsprobe. Die Wasserbecken, in denen die Eye nach oben gehievt wird, sind kaum größer als der 40 Meter lange Rumpf. Dann drängt sich auch noch eine kleine Yacht mit in die Schleuse. Es wird knapp. Aber da ist Kapitän Nora. Sie muss zusammen mit Steuerfrau Lisa Kohlmeier genau manövrieren, damit der Großsegler nicht an die Schleusentore kracht. Aber die weibliche Führung hat alles im Griff. Und die Eye hat schon ganz anderes überstanden. Sie hat Stürmen getrotzt, ist gestrandet, ausgebrannt und gesunken, im echten Leben, aber auch auf der Kinoleinwand.

    Gebaut wurde das Schiff noch vor dem Ersten Weltkrieg. 1911 lief es als Transportsegler unter dem Namen „Friedrich“ vom Stapel. Später war es Heringsfänger, motorisierter Lastkahn, Expeditionsschiff auf den Spuren des berühmten Seefahrers Sir Francis Drake, dann Urlaubssegler und schließlich Filmdarsteller in mehreren Hollywoodproduktionen.

    In „Die blaue Lagune“ rettet sich Brooke Shields 1980 nach neun Filmminuten von den brennenden Planken auf eine Südseeinsel, um mit ihrem Partner zu kuscheln. Die größte Rolle im Kino hat die Eye 1996 in „White Squall“. Wir sehen uns das Drama in der Karibik gemütlich im Salon unter Deck auf DVD an: Schauspieler Jeff Bridges geht als Skipper eines schwimmenden Internats mit verwöhnten Jungs aus höheren Kreisen in einer Sturmbö unter. Wir haben es besser. Nach diesem Filmabenteuer schläft es sich in den kleinen, aber komfortablen Kajüten der Eye, die fest vertäut am Ufer liegt, besonders gut.

    Wir warten noch darauf, Segel zu setzen. In Loch Ness wird es erst mal nichts. Bei starkem Gegenwind kann das große Schiff nicht kreuzen und muss mit Motor fahren. Auch Nessie lässt sich nicht blicken. Macht aber nichts. Stattdessen strömen dunkle Wellen mit weißen Schaumkronen vorbei. Ein Blick nach hinten. Dort zieht sich ein bunter Regenbogen über den Himmel. Vorne glänzt ein Silberstreif am Horizont.

    Himmel und Erde sind kaum zu unterscheiden

    Ganz anders Loch Oich: Dort ist das Wasser schwarz und still. Knorrige alte Eichen am Ufer spiegeln sich so klar im See, dass keiner mehr genau unterscheiden kann, was Himmel und Erde ist. Nicht weit weg vom Steg steht ein historisches Herrenhaus, heute das Glengarry Castle Hotel. Beim Landgang zur Teestunde warten dort Törtchen vor allem auf die weiblichen Passagiere. Der sahnige Geschmack von clotted Cream auf der Zunge sorgt prompt für genüssliche „Ahhs“ und „Ohhs“ in der plüschigen Teehalle.

    Vor einer der nächsten Schleusen und Schwenkbrücken ist es dann so weit. Muskeln sind gefragt. Wir erhalten unsere erste Lektion in Sachen Seetüchtigkeit. Kapitän Nora gibt das Kommando, die Rahen zu brassen. Freiwillige und Mannschaft legen sich ins Zeug, um die Segel von einer Seite des Schiffs um den Mast herum auf die andere zu schwenken. Wer sich traut, darf unter Aufsicht über die Webleinen den 27 Meter hohen Großmast hinaufklettern. Auf der ersten Plattform kann man die Welt in aller Ruhe von oben betrachten.

    Wie wir im nächsten Schleusenbecken den Schiffsrumpf vor Kratzern schützen, wissen wir längst. Agatha aus Dänemark, Remi aus Frankreich und die anderen Matrosen haben uns gezeigt, wie man große Ballons, die Fender, herunterlässt. Das wird sich später vor allem an einer Stelle bewähren – an Neptun’s Staircase im Dorf Banavie, der längsten Schleusentreppe Großbritanniens. Dort geht es nach den schottischen Highlands durch acht aufeinanderfolgende Kammern wieder 20 Meter abwärts zum Ende des Kaledonischen Kanals.

    Das Leben auf dem Schiff verändert die Menschen

    So weit ist es noch nicht. Für uns wird es im Loch Lochy ernst. Dort weht eine leichte Brise aus der richtigen Richtung. Kapitän Nora hat entschieden, die großen Segel am Vormast zu setzen. Alle Hände werden gebraucht. Sarah, Monika und Ursula wissen inzwischen genau, welche Handgriffe nötig sind, um die Schoten zu belegen und am Ende das Tauwerk in Ordnung zu bringen. Hans-Peter darf ans große Steuerrad. Er hat schon viel Erfahrung. Am Ende der Reise wird es sein zwanzigster Törn mit der Eye of the Wind gewesen sein.

    Das Leben auf dem Schiff verändert die Menschen. Nehmen wir Nora. Die Spanierin wurde als Studentin von der Leidenschaft zur See gepackt. Auf der Eye ist sie schon sieben Jahre und mag sie nicht missen. Lisa wollte vor zwei Jahren nur für ein paar Monate als Steuerfrau anheuern. Auch sie ist geblieben. Nora sagt: „Wir haben hier unsere eigene Welt, ich hoffe, es überträgt sich auf unsere Passagiere.“ Und tatsächlich. Wer vorher nervös war, wird auf der Reise ruhig. Hans-Peter meint irgendwann: „Ich fühle mich wie aus der Zeit gefallen.“

    Der Kanal liegt hinter uns, vor uns die schottische Westküste mit der Isle of Mull und dem bunten Hafenörtchen Tobermory. Es könnte aus einem Bilderbuch stammen. Ein letzter Zwischenstopp, dann geht es weiter, unter vollen Segeln, in Richtung Oban. Zwei Schweinswale ziehen vorbei. Weiter weg sieht man einen Seehund schwimmen. Kurz vor der Einfahrt in den Hafen ist das Meer aufgewühlt wie ein wilder Fluss. Zur Rechten steht am Ufer das mächtige Duart Castle, zur Linken ein schlanker weißer Leuchtturm. Die Sonne blitzt auf. Jetzt sind wir angekommen, mitten in einem Meer von Licht. Nochmal tief durchatmen. Dann gibt es wieder festen Boden unter den Füßen. Crew und Passagiere entern gemeinsam das „Markie Dans“ – die wohl lustigste Hafenkneipe in der Stadt.

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