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Emotionales Ballett: Premiere von "Orpheus - Saitenschlag"

Emotionales Ballett

Premiere von "Orpheus - Saitenschlag"

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    Ballettpremiere von "Orpheus - Saitenschlag". Bild: Nik Schölzel
    Ballettpremiere von "Orpheus - Saitenschlag". Bild: Nik Schölzel

    Als "spectacle total" wird Augsburgs neue Ballett-Inszenierung "Orpheus - Saitenschlag" im Programmheft angekündigt, und das ist keine Übertreibung. Augen und Ohren sind aufs Höchste gefordert in dieser Bearbeitung des Sagenstoffes durch den Choreografen Leo Mujic.

    Orpheus, der Sänger, der Menschen, Tiere und Pflanzen mit seinem Gesang und seinem Lyra-Spiel betören kann, gilt in der antiken Mythologie als Erfinder der Musik und des Tanzes, und deshalb wird seine Figur oft mit dem Motiv des außerordentlichen Künstlers verbunden. Bis ins 16. Jahrhundert hinein erfuhr Orpheus auch eine christliche Deutung, weil er mit seinem Abstieg in die Unterwelt und der Rückkehr zu den Lebenden den Tod überwunden hat. All diesen Interpretationen gibt Mujic Raum. Und er erweitert den Mythos um den Aspekt des Menschen, der mit seinen Schwächen kämpft.

    Denn in der Augsburger Fassung, die sich in Handlung und ausgewählten Arien an die Oper von Georg Philipp Telemann hält, umwirbt Orasia, die thrakische Königin, Orpheus und wird zur Gegenspielerin Eurydikes. Eine ménage à trois setzt Mujic da im ersten Akt in Szene, in dem Orasia Orpheus umgarnt und durchaus auf Interesse stößt. Hin- und hergerissen ist der Mann zwischen seiner zarten Braut und dem lasziven Werben Orasias. Doch die unterliegt und rächt sich für diese Demütigung mit der Ermordung Eurydikes. Pluto, der Herrscher der Unterwelt, nimmt die Getötete mit. Orpheus steigt in das Reich der Toten und entringt Pluto das Versprechen, Eurydike wieder ins Leben zurückzuholen, wenn er es vermag, sich auf dem Weg zurück nicht nach ihr umzudrehen. Er scheitert und ist im Diesseits erneut dem Drängen Orasias ausgesetzt. Weil er sie aber wieder zurückweist, bringt sie ihn um.

    Vier Figuren stehen im Zentrum der Inszenierung und damit vier Tänzer, die einen Großteil der hohen Qualität dieses Abends ausmachen: Lateef Williams und Ami Takazakura als Orpheus und Eurydike, Kelly Tipton als Orasia und Raphael Saada als Pluto. Mit ihrem hohen Maß an Leidenschaft, Präzision und Ausdruck machen sie es dem Rest des Ensembles schwer, in den Gruppenauftritten Kontur zu zeigen, weil ihre Bühnenpräsenz einfach überragend ist.

    Mujic' choreografischer Stil ist keiner der zurückhaltenden Gesten, sondern der ausladenden Bewegungen, die in ihrem Fluss aber immer wieder unterbrochen werden, indem die Tänzer Arme, Beine oder Kopf mit der Hand zurechtrücken. Alles Handeln wird erklärt durch das Spiel des Körpers, einziges Beiwerk ist ein wiederkehrendes Klatschen auf den Boden. Manche Zuschauer mögen dies als störend empfinden, andere als ein die Dramatik zuspitzendes Element.

    Denn dramatisch ist diese ohne Pause durchgespielte Aufführung in ihrem Wechsel aus empfindsamen und spannungsgeladenen Szenen in hohem Maß. Nicht nur durch den Tanz, sondern in besonderer Weise auch durch die Musik. Eine beeindruckende Klangfolge entsteht durch die Kombination dreier Telemann'scher Arien zu Beginn jedes Aktes mit Orgelwerken von Dietrich Buxtehude, die der Komponist Leo Hurt für ein zeitgenössisches Orchester arrangiert hat. Vor allem das große Arsenal an Schlagwerken sowie Saiteninstrumente wie Harfe und Zither durchbrechen die Gleichförmigkeit der Barockmusik.

    Den Abschluss der drei Akte bildet jeweils eine Kantate aus Buxtehudes Zyklus "Membra Jesu nostri", eine Betrachtung der Leiden Christi am Kreuze, die damit Bezug nimmt auf die christliche Orpheus-Interpretation. Unter der Leitung von Eberhard Fritsche zeigte sich das Philharmonische Orchester den Anforderungen dieser außergewöhnlichen Klangwelt sowie den schwierigen Tempo-Abstimmungen mit den Tänzern bestens gewachsen. Vorzüglich auch der im Rang platzierte Chor und die fünf Solisten, allen voran die Sopranistin Cathrin Lange.

    Mit der Spannung aus Tanz und Musik korrespondiert der Einsatz der Lichteffekte, die auf der Bühne von Ausstatter Thomas Mika - neben der Einteilung durch transparente Wände - emotionale Räume schaffen. Augenfälliges Symbol für die Zusammenarbeit von Musiktheater und Ballett ist eine Leiter, die in den Orchestergraben führt: Zeichen für den Gang in die Unterwelt, zugleich szenische Verbindung zwischen Tanz und Musik.

    Wenn man dieser außergewöhnlichen und aufregenden Aufführung überhaupt etwas vorwerfen will, dann dies: dass sie den Zuschauer vielleicht überfordert mit all ihren großartigen Eindrücken, die sie Augen, Ohren und Seele darbietet.

    Nächste Aufführungen 6., 12., 18., 21. und 27. November

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