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Kommentar: Das Kreuz ist kein Abwehrzauber

Kommentar

Das Kreuz ist kein Abwehrzauber

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    Seit Wochen wird über den Kreuz-Erlass von Ministerpräsident Markus Söder und der Staatsregierung diskutiert. Die Kritik daran lässt nicht nach.
    Seit Wochen wird über den Kreuz-Erlass von Ministerpräsident Markus Söder und der Staatsregierung diskutiert. Die Kritik daran lässt nicht nach. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Mal ehrlich: Würde man die Zahl der in Bayern vorhandenen Feld-, Gipfel- und sonstigen Kreuze an die der Menschen angleichen, die noch wissen, was morgen für ein Feiertag ist beziehungsweise was dieser eigentlich bedeutet, so müsste wohl einiges abgeholzt werden.

    Fronleichwas? Corpus Christidings? Umfragen belegen jedenfalls alljährlich, dass nicht wenige Deutsche bereits an der Frage nach den großen Feiertagen wie Weihnachten, Ostern oder Pfingsten scheitern, und der meistgelesene Artikel auf der Internetseite dieser Zeitung am Karfreitag war denn auch: Was es mit diesem Karfreitag eigentlich auf sich hat.

    Das kann man bedauern. Man kann es aber nicht dadurch ändern, indem man Kreuze in die Amtsstuben nageln lässt. Markus Söders entsprechender Erlass mutet jedenfalls gerade auch vor diesem Hintergrund einigermaßen bizarr an. Und eigentlich ist zu dem ebenso wohlinszenierten wie politisch durchschaubaren Manöver des Ministerpräsidenten mittlerweile auch schon alles gesagt, wären die Umstände und Reaktionen darauf nicht so interessant.

    Eine knappe Mehrheit ist für den Vorstoß des um die absolute Mehrheit bangenden CSU-Politikers; im Internet, in den Leserbriefspalten und an den Stammtischen wird derweil hitzig diskutiert – und gleichzeitig schwindet das Wissen um Religion und um die Bedeutung ihrer Riten und Symbole seit Jahren stetig.

    Man könnte nun behaupten, dass sich dieses Phänomen auch bei Söder zeigt, der im ersten Anlauf das Kreuz ja eher als ein kulturelles Zeichen, so eine Art Maskottchen auslegte, um daraufhin nur umso größeren Widerstand gerade von denen zu ernten, die noch um seine Bedeutung wissen – zum Beispiel der alles andere als linksgrün versifften katholischen Landjugend.

    Und im Umkehrschluss liegt wiederum der Verdacht nahe, dass bei einigen, die sich nun besonders lautstark für das Kreuz ins Zeug legen, der letzte Kirchgang eventuell schon ein wenig her ist. Und es auch um etwas ganz anderes geht: Laut einer Umfrage von Allensbach steigt die Zahl derer, die Deutschland für ein christliches Land halten, wieder deutlich an. 63 Prozent stimmen der Aussage zu, fünf Jahre vorher waren es noch über zehn Prozent weniger. Was ist da passiert? Haben diese Menschen plötzlich den örtlichen Bibelkreis für sich entdeckt? Einen Herrgottswinkel überm Flatscreen eingerichtet?

    Schließlich liefen den Kirchen auch in diesem Zeitraum die Mitglieder in Scharen davon und wird das Wissen um das, was eigentlich christlich ist, wie gesagt immer diffuser. Hape Kerkeling hatte deshalb nicht ganz unrecht mit seiner scherzhaften Bemerkung, er hätte bei Söders Kreuz-Aufhänge-Aktion in der Staatskanzlei ja noch Knoblauch mit dazugenommen. Denn es handelt sich wohl auch um eine Art Abwehrzauber, der da vollzogen und in Anspruch genommen wird von vielen durch Globalisierung, Individualisierung, Migration und Angst vor sozialem Abstieg verunsicherten Menschen.

    Es geht mit anderen Worten um Differenz und Identität (oder vielmehr der Illusion davon), um das „wir“ und die „anderen“. Und das – da hat Kardinal Marx schon recht – ist allerdings das Gegenteil von dem, was das Kreuz ausmacht.

    Man kann Angela Merkel ja wahrlich nur selten zustimmen, aber als sie mal wieder mit Pegida und der Angst um das christliche Abendland konfrontiert wurde, antwortete sie: „Haben wir dann aber auch bitte schön die Tradition, mal wieder in einen Gottesdienst zu gehen oder ein bisschen bibelfest zu sein.“ Also wer mag, beispielsweise morgen zur Fronleichnamsprozession. Mal nachfragen, was es damit auf sich hat.

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