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EU: Abschotten oder Grenzen öffnen?

EU

Abschotten oder Grenzen öffnen?

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    Bulgaren und Rumänen müssen draußen bleiben. Natürlich hat das deutsche Veto gegen den Wegfall der Grenzkontrollen Richtung Sofia und Bukarest nicht nur politische Gründe. Für Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich ist es ein schnell greifbares Instrument, um einen weiteren Massenansturm von Armutszuwanderern zu verhindern.

    Dass es den gar nicht gibt, haben Statistiker beispielsweise im Mikrozensus belegt: Rund 80 Prozent der Menschen, die seit 2007 aus diesen Ländern nach Deutschland kamen, gehen einer Erwerbstätigkeit nach. 22 Prozent sind hoch qualifiziert, 46 Prozent immer noch gut qualifiziert – kurzum genau jene Facharbeiter, die unser Land sucht. Doch offenbar versprechen sich einige Mitgliedstaaten von der Kampagne gegen die Armutsimmigration viel Zuspruch bei den Wahlen in Europa. Sie wollen den rechten und EU-kritischen Strömungen das Wasser abgraben. Zumal man diese strikte Politik auch noch plausibel damit begründen kann, dem britischen Premier David Cameron möglichst viel zu geben, damit er sein Land in der Union hält.

    Die Kommission hat recht: Sozialmissbrauch zu bekämpfen ist eine Sache der deutschen, nicht der europäischen Gesetzgebung. Die EU steht vor einem wachsenden Dilemma: Während die große Mehrheit der Mitgliedstaaten für eine weitere Öffnung der Gemeinschaft plädiert und dies auch gerade auf dem Gipfeltreffen mit den früheren Sowjetrepubliken gezeigt hat, wird der Wunsch nach Abgrenzung vor denen, die man gerade einlädt, immer größer.

    Erst vor wenigen Tagen hat Brüssel ausgerechnet mit dem umstrittenen Beitragskandidaten Türkei die Visafreiheit vereinbart. Auf dem Balkan hoffen gleich mehrere Staaten darauf, einen freien Zugang nach Europa zu bekommen. Die EU muss entscheiden, was sie will: Entweder abschotten oder die Grenzen öffnen? Aber die Erweiterungspolitik munter voranzutreiben, während gleichzeitig im Inneren die alten Schutzmauern wieder hochgezogen werden, passt nicht zusammen.

    Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich auch nicht mit ein paar flotten Sprüchen lösen, weil er sehr grundsätzlich das Selbstverständnis dieser Union als Gemeinschaft berührt, die angetreten ist, um für Frieden und Wohlstand zu sorgen. Sehr früh haben die Mütter und Väter der heutigen EU verstanden, wie sehr man dabei nicht nur auf die achten darf, die dazugehören, sondern dass man sich auch um das Wohlstandsgefälle an den Grenzen kümmern muss. Weil ein wohlhabendes Europa einen Sog auslöst, der längst belegbar ist: Beherrschte früher das Zerrbild vom polnischen Billiglöhner die Diskussion, ringen die östlichen Mitgliedstaaten heute mit zuwandernden Ukrainern, Weißrussen und Moldawiern, die unter jedem Lohnniveau bereit sind, zu arbeiten.

    Die EU muss sich also öffnen, sogar wenn sie nur egoistisch denken würde: Denn was auf diesem Kontinent geschaffen wurde, wird nur Bestand haben, wenn es auch nach außen exportiert wird. Natürlich muss das nicht in jedem Fall eine Vollmitgliedschaft bedeuten. Aber Assoziationen, Kooperationen und Öffnung für wirtschaftliche Aktivitäten gehören ebenso dazu wie irgendwann der Zugang zum Binnenmarkt nicht nur für Waren und Kapital, sondern auch für die Menschen. Der Fehler, den man im Fall Bulgariens und Rumäniens (hier tritt er zumindest besonders sichtbar auf) macht, besteht darin, dass man die wenigstens annähernde Heranführung an das Niveau der übrigen Mitgliedstaaten nicht vor, sondern nach dem Beitritt erwartet hat.

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