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Leitartikel: Der taumelnde Riese

Leitartikel

Der taumelnde Riese

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    Winfried Züfle
    Winfried Züfle Foto: Wagner

    Weltmächte, in historischen Dimensionen betrachtet, kommen und gehen. China gilt allgemein als die aufstrebende Weltmacht des 21. Jahrhunderts. Das bleibt auch richtig. Aber auf dem Weg nach oben ist jetzt eine Phase erreicht, die zumindest als holprig bezeichnet werden muss. Der Riese taumelt.

    Unaufgelöst ist der Grundwiderspruch, der Chinas Wirtschafts- und Gesellschaftssystem kennzeichnet: Beherrscht wird das Land von einer Kommunistischen Partei (KP), der ökonomische Aufstieg indes soll mit lupenrein kapitalistischen Methoden erfolgen. Um dies zu rechtfertigen, hat die KP abenteuerliche ideologische Verrenkungen unternommen. Jiang Zemin, der Vorgänger des heutigen Staatspräsidenten, stellte vor einem guten Jahrzehnt die „Theorie der drei Repräsentationen“ auf, wonach die Partei auch „die fortschrittlichen Produktivkräfte“, sprich die privaten Unternehmer, vertritt. Seitdem können in China Kapitalisten guten Gewissens Geschäfte machen – solange sie sich zur KP bekennen.

    Doch die Widersprüche lassen sich auf Dauer nicht unter den Teppich kehren. Während der Wirtschaft Freiheit gewährt wird, bleibt das Volk von politischer Teilhabe weitgehend ausgeschlossen. Im Gegensatz zur Masse werden die Genossen Kapitalisten reich und reicher. Parteikader, auch führende, wollen da nicht zurückstehen, lassen sich schmieren oder machen selbst krumme Geschäfte.

    Immer wieder kommt es zu Pannen, die dem Volk einen Einblick in das fragwürdige Treiben seiner Führung gewähren. So vor kurzem, als die Ehefrau des inzwischen entmachteten Gouverneurs von Chongqing, Bo Xilai, wegen Mordes an ihrem britischen Geschäftspartner verurteilt wurde. Oder als bekannt wurde, dass der Sohn des – inzwischen abgesetzten – Parteigeschäftsführers Ling Jihua bei nächtlichen Sexspielen im sündhaft teuren Ferrari ums Leben kam.

    Der KP passen diese Skandale umso weniger in den Kram, als sie sich in der heiklen Phase der Stabübergabe an der Spitze befindet. Diese ist zwar schon vor Jahren eingeleitet worden: Hu Jintao, 69, soll die Macht an Xi Jinping, 59, übergeben – zunächst in diesem Herbst das Parteiamt, dann im März 2013 die Funktion des Staatspräsidenten. Aber es gibt auch Zweifel und Vorbehalte. Vor diesem Hintergrund war es für die Parteiführung peinlich, dass sich Xi zuletzt zwei Wochen lang nicht in der Öffentlichkeit sehen ließ – oder nicht sehen lassen konnte. Prompt wurde über den Gesundheitszustand des künftigen starken Mannes spekuliert – ein Zeichen dafür, wie fremd Chinas Führung der Basis inzwischen geworden ist.

    Das ganz große Ablenkungsmanöver wird jetzt aber der Konflikt mit Japan um eine unbewohnte Inselgruppe im Ostchinesischen Meer, in China Diaoyu und in Japan Senkaku genannt. Der Kampf um die Eilande und um die in deren Umgebung vermuteten großen Öl- und Gasvorkommen soll in China Partei und Volk wieder zusammenbringen.

    Das Regime schützt zwar ausländische Botschaften – Übergriffe des Mobs wie in Libyen und im Sudan im Zuge der Demonstrationen gegen ein islamfeindliches US-Video sind nicht zu befürchten. Aber die gewaltigen Aufmärsche können im autoritären China nur von oben gelenkt sein. Die Wutbürger und die Führung übernehmen verschiedene Rollen im selben, abgekarteten Spiel.

    Gewinner ist in jedem Fall die Führung, die ungeniert nationale Gefühle als Mittel zur Machtstabilisierung einsetzt. Die Vorgänge zeigen: China, und mag es noch so angeschlagen sein, ist und bleibt eine Weltmacht.

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