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Augsburg: Sudetendeutscher Tag: „Wir wehren uns gegen Nationalismus“

Augsburg

Sudetendeutscher Tag: „Wir wehren uns gegen Nationalismus“

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    Wie im vergangenen Jahr werden auch am Wochenende wieder viele Sudetendeutsche beim Treffen im Augsburger Messezentrum Trachten und historische Kleidung tragen.
    Wie im vergangenen Jahr werden auch am Wochenende wieder viele Sudetendeutsche beim Treffen im Augsburger Messezentrum Trachten und historische Kleidung tragen. Foto: Christian Kirstges

    Geschichte verstehen, Zukunft gestalten: Das Motto des 65. Sudetendeutschen Tages, der dieses Wochenende in Augsburg stattfindet, ist auch für den Augsburger Ortfried Kotzian und den Landshuter Peter Paul Polierer wichtig. Sie gehören zwar zwei verschiedenen Generationen an, doch beide wollen Verantwortung für die Sudetendeutschen übernehmen. Der 66-jährige Kotzian war lange im Sudetendeutschen Rat aktiv und erhält nun den Großen Sudetendeutschen Kulturpreis. Der 36-jährige Polierer kümmert sich als Bundesvorsitzender um die Sudetendeutsche Jugend. Wir sprechen mit ihnen über die Vertreibung aus einst deutschen Gebieten im heutigen Tschechien, warum deren Rückgabe immer noch ein Thema ist und warum sich Sudetendeutsche trotzdem vor allem als Europäer sehen.

    Europa soll nach dem Willen der Politiker weiter zusammenwachsen, der Nationalstaat eine kleinere Rolle spielen. Ist es da noch zeitgemäß, von sich als Sudetendeutschem zu sprechen?

    Nehmen wir das Beispiel des heiligen Nepomuk. Er kam aus Zentralböhmen und gilt als Brückenheiliger. So sieht sich die Sudetendeutsche Landsmannschaft, unsere Dachorganisation, als Brückenbauer zu den Gebieten in Tschechien, in denen unsere Familien früher lebten – und damit als Brückenbauer in Europa. Leider wird Tschechien wie andere osteuropäische Länder aber in den Medien stiefmütterlich behandelt, wodurch es den Leuten schwerfällt, diesen Teil Europas überhaupt zu verstehen. Kotzian: Das hat sich jetzt auch wieder bei den Wahlen gezeigt. Wir hatten mal gehofft, dass nach dem Mauerfall eine mitteleuropäische Gemeinsamkeit entsteht, die Europäisierung voranschreitet. Die gab es vor dem Ersten Weltkrieg und vor Hitler einmal in Böhmen, als Menschen unterschiedlicher Kulturen dort gut zusammenlebten. Hitler und die Vertreibung der Deutschen durch die Tschechen haben das beendet. Dieses nationalistische Denken kommt wieder, wie man in der Ukraine sieht. Doch seit der Gründung der Landsmannschaft nach dem Krieg wehren wir uns dagegen.

    Könnten Sie die historische Erfahrung nutzen und in der Ukraine vermitteln?

    Dazu müsste man historische Vergleiche zulassen. Schauen Sie, wie Finanzminister Schäuble kritisiert wurde (Er hatte die Annexion der Krim mit dem Anschluss des Sudetenlandes 1938 verglichen, Anm. der Redaktion). Mehr sage ich nicht. Aber der nationalistische Ungeist ist nicht beseitigt. Das Abtrennen von Landesteilen löst keine Probleme. Polierer: Die nationalistische Karte zu spielen ist immer einfach. Mich besorgt aber, dass es immer wieder passiert, und jetzt auch bei den Europawahlen in Paris oder London.

    Das passt zur Satzung der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Sie wollen „an einer gerechten Völker- und Staatenordnung“ mitwirken. Aber auch, dass „der Rechtsanspruch auf die Heimat und deren Wiedergewinnung“ durchgesetzt werden sollen.

    Diesen Passus in der Satzung können die Sudetendeutsche Jugend und auch ich nicht gutheißen und wollen ihn abschaffen. Heimat ist für mich jedenfalls nicht an einen Ort gebunden, sondern sie ist etwas Ideelles für mich. Kotzian: Diese Satzung ist bei uns heftig in der Diskussion. Es handelt sich dabei um einen Rechtsvorbehalt. Man möchte, dass die Tschechische Republik das Unrecht der Vertreibung anerkennt. Sie drückt sich bis heute davor. Das Einzige, was bislang geschehen ist: Tschechiens Regierungschef hat einmal im Bayerischen Landtag über dieses Thema gesprochen. Es sollte aber weit in die Gesellschaft dieses Landes hineinreichen. Polierer: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Mein Onkel ist als 14-Jähriger vertrieben worden. Nach einer Reise nach Tschechien vor ein paar Jahren fuhren wir wieder zurück nach Deutschland, und das bezeichnete er auf der Fahrt als seine Heimat. Das hat meine Perspektive verändert.

    Doch auch so viele Jahre nach dem Mauerfall gibt es Vorbehalte gegenüber den Osteuropäern.

    Die Zeit des Eisernen Vorhangs war einfach zu lang, da konnten die meisten gar keine Verbindung zu diesen Menschen aufnehmen. Ein Problem, unter dem auch Deutschland mit den neuen Bundesländern noch heute leidet. Polierer: Es ist eine Generationenfrage. Es wächst langsam zusammen. Ich bin Geschichtslehrer an einem Gymnasium und merke bei den Schülern, dass sich da etwas tut. Kotzian: Man darf auch nicht vergessen, dass die Landsmannschaft mitgeholfen hat, den tschechischen Grenzbereich nach der Wende wieder aufzubauen. Darum geht es. Und dächten alle Vertriebenen rechtsradikal, wie sie manchmal dargestellt werden, hätten rechtsextreme Parteien mehr Zulauf.

    Wie weit können Sie für die Sudetendeutschen sprechen? Es gibt auch viele, die nicht bei Ihnen organisiert sind.

    Betrachten wir es von der anderen Seite: Wir haben Mitglieder ohne sudetendeutschen Hintergrund, für die der Verband Heimat ist. Auch Tschechen. Es gibt überall jemanden, der sich nicht repräsentiert fühlt. Auch unter den Sudetendeutschen gibt es keinen Einheitsbrei an Werten und Meinungen.

    Und wie finden Sie neue Mitglieder? Viele Vereine kämpfen ums Überleben, weil der Nachwuchs fehlt.

    Durch familiäres Interesse. Und durch die kulturellen Angebote wie Musik, Tanz und Tracht. Auch bringen Mitglieder ihre Freunde mit, die sich dann zu interessieren beginnen, und wir pflegen eine grenzüberschreitende Jugendarbeit.

    Was schätzen Sie: Wie viele Leute können mit dem Begriff Sudetendeutsche und Ihrer Arbeit etwas anfangen?

    Mit dem Begriff können sicherlich viele etwas anfangen. Es ist zwar ein Reizbegriff. Aber natürlich interessieren sich eher die, die sich etwas von uns versprechen. Wobei man sagen muss, dass sich andere Gruppen mit ihren Zielen besser platziert haben. Mit dem Leid unserer Familien – meine Eltern wurden vertrieben – ist die Geschichte ohnehin nicht sehr verständnisvoll umgegangen. Polierer: Zumindest meine Schüler wissen etwas damit anzufangen, ich spreche mit ihnen darüber. Und spätestens, wenn man einen Partner anderer Herkunft hat, wird das Thema auch in andere Bevölkerungsgruppen getragen. Die Vielfalt zeigt sich auch beim Sudetendeutschen Tag.

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