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Nordafrika: Warum in Libyen Chaos herrscht

Nordafrika

Warum in Libyen Chaos herrscht

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    Während sich die Tunesier darauf freuen, dass ihr neues Parlament in kürze mit der Arbeit beginnt, können die Bürger im benachbarten Libyen von stabilen politischen Verhältnissen nur träumen. Zwar fand im Juni auch dort eine Parlamentswahl statt, aber die Abgeordneten tagen nicht gemeinsam. Einige der Gewählten blieben in Tripolis, der Großteil des Parlaments ist jedoch ins mehr als 1000 Kilometer entfernte Tobruk geflüchtet. Zeitweise suchten die Abgeordneten dort Zuflucht auf einer griechischen Autofähre. Drei Jahre nach dem Sturz des Diktators Gaddafi sehen immer mehr Experten in Libyen einen gescheiterten Staat.

    97 Prozent der Libyer sind sunnitische Muslime

    Einer, der es wissen muss, will so weit nicht gehen. „Libyen ist ein Staat, auch wenn er nicht zusammengehalten wird durch staatliche Institutionen“, sagt der deutsche Botschafter in Libyen, Christian Much, im Gespräch mit unserer Zeitung. „Was die Libyer verbindet, sind gemeinsame Werte“, urteilt der Diplomat, der auf Vermittlung des Vereins „Augsburg International“ nach Bayern gekommen ist. „97 Prozent der Bevölkerung sind sunnitische Muslime, vorwiegend der malikitischen Richtung“, betont Much, „es gibt also wenigstens keine religiöse Spaltung wie in anderen islamischen Ländern.“ Außerdem sorgten die Stammesbeziehungen für sozialen Zusammenhalt.

    Dennoch ist in dem nordafrikanischen Land, in dem 2011 die Rebellion des Arabischen Frühlings dank Unterstützung durch Nato-Kampfbomber zum Erfolg führte, vieles nicht normal. So residiert auch der deutsche Botschafter seit mehr als vier Monaten nicht mehr in Tripolis. Als sich im Juni die Sicherheitslage verschlechterte, ist er mit seinem Stab nach Tunis umgezogen.

    Eine der wenigen Institutionen, die in Libyen noch funktionieren, sei die Zentralbank, berichtet Much. Sie nehme Geld aus der wieder in Fahrt gekommenen Erdölförderung ein und bezahle die wichtigsten Staatsausgaben wie den Sold für die Beamten und Subventionen für Lebensmittel und Energie. Nicht finanziert würden aber Investitionen und der Erhalt der Infrastruktur. Das könne auf Dauer nicht gut gehen.

    Deutschland ist bereit, beim Staatsaufbau zu helfen

    In Übereinstimmung mit den UN, deren Generalsekretär Ban Ki Moon kürzlich Tripolis besuchte, plädiert Much für ein einheitliches Parlament und eine Regierung, in der alle wichtigen politischen Kräfte vertreten sind. „In Libyen geht es darum, dass der Aufbau staatlicher Institutionen rascher vorankommt, als der soziale Zusammenhalt und die gemeinsamen Werte zerfallen“, sagt der Botschafter. Deutschland sei bereit, beim Staatsaufbau zu helfen. So wurden Hilfsangebote für die Sicherung der Waffenlager aus der Gaddafi-Zeit und für den Aufbau einer Diplomatenpolizei gemacht. „Aber das Problem ist: Es gibt keine Instanz, die solche Hilfsangebote annehmen könnte“, sagt der desillusionierte Diplomat.

    Generell ist es schwierig, die Konfliktlinien in dem Machtkampf nachzuvollziehen, der drei Jahre nach dem Sturz Gaddafis zwischen Milizen in Libyen ausgefochten wird. Dabei kämpfen nicht nur Islamisten gegen Nicht-Islamisten. „Die Probleme sind sehr viel vielschichtiger“, weiß Much. Einige Milizen verträten lokale Interessen, andere seien schlicht kriminell. Einige kämpften unversöhnlich gegen die Regierung, andere seien kompromissbereit. Besonders umkämpft ist die östliche Metropole Bengasi. Aber die Sicherheitslage sei generell „suboptimal“.

    Die Regierungen des Westens sind tief besorgt. Wenn einheimische und internationale Terrorgruppen das Land als Rückzugsort nutzen könnten, sei die Freiheit Libyens in Gefahr, heißt es in einer in Washington veröffentlichten Erklärung, auf die sich unter anderem Deutschland und die USA geeinigt haben. Gefordert wird eine Stärkung der libyschen Armee, die den Milizen zuletzt machtlos gegenüberstand.

    Auch Botschafter Much sieht die Risiken. Er wirbt dafür, „die Friedensbereitschaft zu fördern, in der Politik und in der Zivilgesellschaft“.

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