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Abgas-Affäre: Klage der US-Regierung: Fiat Chrysler droht eigenes "Dieselgate"

Abgas-Affäre

Klage der US-Regierung: Fiat Chrysler droht eigenes "Dieselgate"

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    Nach VW hat mit Fiat Chrysler der zweite internationale Autoriese eine Klage der US-Justiz wegen vermeintlichen Abgas-Betrugs am Hals. (Symbolfoto)
    Nach VW hat mit Fiat Chrysler der zweite internationale Autoriese eine Klage der US-Justiz wegen vermeintlichen Abgas-Betrugs am Hals. (Symbolfoto) Foto: Uli Deck/dpa (Archiv)

    Fiat-Chrysler-Chef Sergio Marchionne ist ein Mann der klaren Worte, bekannt für derben Humor und markige Sprüche. "Wer uns mit dem deutschen Unternehmen vergleicht, hat etwas Illegales geraucht", zog der charismatische Italo-Kanadier vom Leder, als die US-Behörden seinen Konzern im Januar verdächtigten, im gleichen Stil wie der Erzrivale Volkswagen bei Abgaswerten von Dieselautos manipuliert zu haben. "Wir haben keinerlei Betrug begangen", versicherte Marchionne. Vergeblich, wie sich jetzt zeigt.

    Seit Dienstag ist klar: Marchionne und Fiat Chrysler konnten die US-Behörden trotz selbstbewusster Rhetorik nicht von ihrer Unschuld überzeugen. Das Justizministerium hat den Autoriesen im Auftrag des Umweltamts EPA wegen Verstößen gegen das Luftreinhaltegesetz verklagt. Wer wissen will, was das bedeuten kann, dem liefert der VW-Skandal Anschauungsmaterial - da las sich die Klageschrift ganz ähnlich. Das konsequente Vorgehen dürfte aber auch in Stuttgart aufhorchen lassen, denn die US-Justiz hat auch Daimler im Auge.

    US-Behörden scheinen sicher, dass Fiat Chrysler täuschende Software eingebaut hat

    Bei Fiat Chrysler scheinen die US-Behörden schon ziemlich sicher, nach VW den nächsten Abgas-Sünder am Wickel zu haben. Die Ermittler gehen davon aus, dass der italienisch-amerikanische Autokonzern sogenannte "Defeat Devices" (Abschalteinrichtungen) in rund 104.000 Dieselwagen installiert hat, um bei Emissionstests zu schummeln. Durch die Software, an deren Entwicklung wie schon bei VW auch der Zulieferer Bosch beteiligt gewesen sein soll, ist die Luftverpestung im Normalbetrieb laut EPA deutlich höher als im Testmodus.

    Chronologie der Abgasaffäre bei VW und Audi

    VW steckt tief in der Krise. Der Abgas-Skandal hat Konzernchef Martin Winterkorn den Job gekostet - nun müssen sein Nachfolger Matthias Müller und der neue Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch die Affäre aufklären.

    3. September 2015: Volkswagen räumt gegenüber der US-Umweltbehörde EPA Manipulationen bei Abgastests ein.

    18. September 2015: Die EPA teilt mit, VW habe eine Software eingesetzt, um Test-Messungen des Schadstoffausstoßes künstlich zu drücken.

    22. September 2015: Der Konzern gibt eine Gewinnwarnung heraus und kündigt Milliarden-Rückstellungen an. VW-Chef Martin Winterkorn bittet um Entschuldigung.

    23. September 2015: Rücktritt Winterkorns. «Vor allem bin ich fassungslos, dass Verfehlungen dieser Tragweite im Volkswagen-Konzern möglich waren», erklärt er seinen Schritt.

    25. September 2015: Der VW-Aufsichtsrat tagt. Nach langer Sitzung beruft das Gremium Porsche-Chef Matthias Müller zum neuen Konzernchef und trifft einige weitere Personal- und Strukturentscheidungen.

    28. September 2015: Nach mehreren Strafanzeigen startet die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsvorwürfen.

    29. September 2015: Volkswagen legt einen Aktionsplan zur Nachbesserung von Dieselwagen mit manipulierter Software vor und will fünf Millionen Fahrzeuge der Kernmarke VW in die Werkstätten holen.

    1. Oktober 2015: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig rudert zurück: Entgegen früheren Angaben führt sie kein formelles Verfahren gegen Winterkorn. Neuer VW-Finanzchef wird nach dem Wechsel von Hans Dieter Pötsch in den Aufsichtsrat der Leiter der Finanzsparte, Frank Witter.

    2. Oktober 2015: Auf speziellen Internetseiten können Kunden von VW und Audi prüfen, ob ihr Wagen die Manipulations-Software verwendet.

    4. Oktober 2015: Laut «Bild am Sonntag» sollen VW-Ingenieure der internen Revision gesagt haben, sie hätten 2008 die Software installiert.

    6. Oktober 2015: Betriebsratschef Bernd Osterloh und Müller sprechen bei einer Betriebsversammlung in Wolfsburg zur Belegschaft. Osterloh betont, bisher gebe es noch keine Konsequenzen für Jobs - laut Müller stellt die Abgas-Affäre aber bereits geplante Investitionen infrage.

    7. Oktober 2015: Erneutes Krisentreffen der VW-Aufseher, Pötsch wird an die Spitze des Kontrollgremiums gewählt. Nach Aussage Müllers in einem «FAZ»-Interview kann der Auto-Rückruf im Januar 2016 beginnen.

    8. Oktober 2015: Razzia bei Volkswagen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ordnet Durchsuchungen in Wolfsburg und an anderen Orten an. VW-US-Chef Michael Horn muss dem US-Kongress Rede und Antwort stehen.

    9. Oktober 2015: US-Bundesstaat Texas verklagt Volkswagen. VW habe seine Kunden über Jahre hinweg vorsätzlich getäuscht, sagt ein texanischer Staatsanwalt.

    15. Oktober 2015: Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) lehnt die von Volkswagen angebotene freiwillige Reparatur ab. Rund 2,4 Millionen betroffene Fahrzeuge von VW werden zurückgerufen.

    2. November 2015: Auch Porsche und Audi geraten unter Verdacht. Die US-Umweltbehörde prüft die von Audi gebauten und von Porsche verwendeten Dreiliter-Dieselaggregate.

    4. November 2015: VW, Porsche und Audi stoppen in den USA den Verkauf von Fahrzeugen, die mit der umstrittenen Dreiliter-Dieselmaschine ausgerüstet sind.

    12. November 2015: Martin Winterkorn gibt Vorsitz bei Audi auf. Nach dem Rückzug von VW und Porsche legt Winterkorn auch sein Amt bei Audi nieder.

    5. Januar 2016: Die US-Regierung reicht im Abgas-Skandal Klage gegen Volkswagen ein. Das Justizministerium wirft dem Konzern vor, Betrugssoftware eingesetzt und gegen das Luftreinhaltegesetz "Clean Air Act" verstoßen zu haben.

    27. Januar 2016: VW beginnt mit dem Rückruf der betroffenen Fahrzeuge. Zunächst ist der Pick-up Amarok dran. Danach folgen die Passat-Modelle.

    15. März 2016: Knapp 300 Großaktionäre verklagen VW auf Schadensersatz in Höhe von rund drei Milliarden Euro.

    22. April 2016: VW muss den höchsten Verlust in der Geschichte des Unternehmens bekannt geben.

    28. Juni 2016: Entschädigungen in Rekordhöhe: 15 Milliarden Dollar kostet der Abgasskandal VW in den USA allein an Strafen an die Umweltbehörden und Entschädigungen an Autofahrer.

    7. September 2016: Auch der Autozieferer Bosch gerät immer mehr in Kritik. Ohne das Stuttgarter Unternehmen habe Volkswagen die Software nicht anpassen können, berichten Medien.

    23. September 2016: Neue Vorwürfe aus den USA belasten VW-Tochter Audi schwer. Bisher bestritt Audi stets manipuliert zu haben.

    22. November 2016: VW will weltweit 30.000 Jobs abbauen. Allein in Deutschland sollen bis zu 23.000 Jobs wegfallen.

    15. Dezember 2016: Sigmar Gabriel (SPD), Peter Altmaier (CDU) und Barbara Hendricks (SPD) sagen im U-Ausschuss aus, sie hätten erst nach Aufdeckung des Skandals 2015 von verbotenen Praktiken erfahren.

    20. Dezember 2016: Nächste Vergleichszahlung: VW und Audi sollen in Kanada bis zu 1,5 Milliarden Euro an Autokäufer zahlen.

    9. Januar 2017: Amerikanisches FBI nimmt einen VW-Manager wegen des Dieselskandals fest.

    11. Januar 2017: VW und das US-Justizministerium einigen sich zu einem Vergleich. VW muss wegen rund 4,3 Milliarden Dollar zahlen.

    19. Januar 2017: Martin Winterkorn wird im Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Diesel-Skandal befragt. Der damalige Vorstandsvorsitzende des VW-Konzerns betont erneut, "nicht frühzeitig und eindeutig über die Messprobleme aufgeklärt" worden zu sein.

    27. Januar 2017: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt jetzt auch gegen den früheren VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn wegen des Verdachts auf Betrug.

    3. Februar 2017: Ferdinand Piëch, der frühere VW-Aufsichtsratschef, belastet Martin Winterkorn. Demnach soll Winterkorn doch schon früher als von ihm eingeräumt vom Abgasbetrug erfahren haben.

    18. Februar 2017: Interne Dokumente belasten Audi-Chef Rupert Stadler. Er soll schon 2007 von der Schummelei zu den Abgaswerten gewusst haben.

    8. März 2017: Kanzlerin Angela Merkel sagt als letzte Zeugin vor dem Untersuchungsausschuss zur Abgasaffäre aus. Sie will von der Affäre erst durch die Medien erfahren haben.

    15. März 2017: Razzia bei Audi: Kurz vor Beginn der Jahrespressekonferenz durchsuchen Fahnder die Konzernzentrale in Ingolstadt.

    Mindestens acht dubiose Programme zur Abgaskontrolle habe Fiat Chrysler bei der Zulassung von Dieselautos der Modelljahre 2014 bis 2016 nicht offengelegt, heißt es bei der Umweltbehörde. Konkret geht es um SUV vom Typ Jeep Grand Cherokee und Pick-up-Trucks der Chrysler-Marke Ram. Das Justizministerium fordert wegen der Verletzung von US-Umweltrecht hohe Strafen und richterliche Unterlassungsanordnungen, weil die betroffenen Fahrzeuge ohne gültige Zertifizierung illegal auf den Straßen unterwegs seien.

    Für Fiat Chrysler ist die Klage eine kräftige Klatsche. Noch in der vergangenen Woche hatte es aus Konzernkreisen geheißen, man sei in den Verhandlungen mit den US-Behörden auf gutem Wege. Am Freitag hatte der Autobauer sogar selbstbewusst Pläne zur Umrüstung der verdächtigen Fahrzeuge in Washington eingereicht. "Dieser Antrag ist das Ergebnis vieler Monate enger Zusammenarbeit zwischen Fiat Chrysler und der EPA", hieß es da. Die Umweltbehörde antwortete nun auf ihre Art: mit einer Zivilklage. Der Konzern reagierte wortkarg: Man sei enttäuscht und werde sich energisch verteidigen.

    Nimmt die Abgas-Affäre um Fiat Chrysler ähnliche Ausmaße wie bei VW an?

    Noch ist es zu früh, um abzuschätzen, ob der Fall Fiat Chrysler ähnliche Dimensionen annimmt wie Volkswagens "Dieselgate". So teuer wie bei den Wolfsburgern dürfte es wohl schon alleine wegen der geringeren Zahl betroffener Autos nicht werden. Bei VW waren es fast 600 000 Dieselwagen in den USA. Auch zog sich der VW-Betrug über einen längeren Zeitraum hin. Einer der Gründe für die hohen Strafen - insgesamt hat VW bereits 22,6 Milliarden Euro an Kosten für Vergleiche in Nordamerika verbucht - war zudem, dass die US-Justiz den Konzern beschuldigte, die Ermittlungen behindert zu haben.

    Für Fiat Chrysler lassen die US-Behörden die Tür für eine Einigung immerhin einen Spalt weit auf. Man werde weiter verhandeln, so die EPA. Ob und wann es eine Lösung geben werde, sei jedoch ungewiss. Somit deutet einiges auf ein Déj"-vu hin: Auch bei VW zogen Anschuldigungen der US-Behörden zuerst Klagen von Anwaltskanzleien im Namen von Dieselbesitzern nach sich, dann folgte die US-Regierung. Bei Fiat Chrysler sollen diese Zivilklagen nun ebenfalls bei einem US-Gericht zum Massenverfahren gebündelt werden. Strafrechtliche Ermittlungen auf Bundesebene und Untersuchungen von einzelnen Generalstaatsanwälten runden die Parallelen zur VW-Affäre ab. 

    Mit dem harten Durchgreifen schickt die US-Justiz indes auch eine Botschaft an die gesamte Branche: Abgas-Sündern geht es auch künftig an den Kragen. Wer auf einen Kurswechsel unter der mit laxeren Umweltgesetzen flirtenden Regierung von Donald Trump setzt, sollte sich keine falschen Hoffnungen machen. Das gilt auch für Daimler - denn vom deutschen Premiumhersteller fordern die USA nach Abgas-Sammelklagen von US-Kunden ebenfalls Aufklärung. Auch in Deutschland wird gegen den Konzern ermittelt, hier wurden am Dienstag mehrere Standorte wegen Verdachts auf Abgasbetrug von der Stuttgarter Staatsanwaltschaft durchsucht. dpa

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