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Gesundheitsgefahr: Multiresistente Keime: Supererreger in indischem Pharma-Abwasser

Gesundheitsgefahr

Multiresistente Keime: Supererreger in indischem Pharma-Abwasser

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    In den Gewässern rund um den indischen Industriestandort Hyderabad in Indien sind multi-resistente Keime gefunden worden. Das ist auch für Europa gefährlich.
    In den Gewässern rund um den indischen Industriestandort Hyderabad in Indien sind multi-resistente Keime gefunden worden. Das ist auch für Europa gefährlich. Foto: Daniel Karmann/Archiv (dpa)

    Multi-resistente Keime sind ein ernstzunehmendes globales Gesundheitsrisiko. Vor allem der Supererreger Klebsiella-Pneumoniae ist auch in deutschen Krankenhäusern immer wieder ein Problem. Laut Experten liegt die Sterblichkeitsrate bei mit diesem Bakterium infizierte Menschen bei 40 bis 50 Prozent. Laut Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung tragen aktuell große Antibiotika-Fabriken in Indien durch mangelnde Abwasserreinigung mit zur Entstehung solcher sogenannten "Supererreger" bei. Die Ergebnisse rund um den indischen Pharmastandort Hyderabad stellte der Norddeutsche Rundfunk am Donnerstag in Berlin vor.

    Antibiotika Abwasser: Pharmafabriken überschreiten Grenzwerte

    Gewässerproben, die im November 2016 in unmittelbarer Nähe von Pharmafabriken entnommen wurden, zeigen eine deutliche Überschreitung der Grenzwerte. Reste von Antibiotika sind in hundert- oder sogar tausendfacher Konzentration im Wasser nachzuweisen. Auch Rückstände von Pilzbekämpfungsmitteln lassen sich in den Proben finden.

    Laut Arne Rodloff, Mikrobiologe am Universitätsklinikum Leipzig, entwickeln Bakterien in Gewässern in kürzester Zeit Abwehrmechanismen gegen Antibiotika. Die resistenten Erreger könnten über direkten Kontakt mit kontaminiertem Wasser oder über die Nahrungskette in den menschlichen Körper gelangen, ergänzte der Leipziger Infektionsforscher Christoph Lübbert. Das könne dazu führen, dass gängige Antibiotika bei Infektionen nicht mehr anschlagen und Patienten im schlimmsten Fall sterben. Lübbert nannte die Kloake, die er in Hyderabad nahe der Fabriken sah, einen "Bioreaktor unter freiem Himmel".

    Multi-resistente Keime: Supererreger durch Touristen global verbreitet

    Große Chemie-Katastrophen

    Wenn Chemikalien aus Fabriken austreten, kann dies verheerende Folgen für die Mitarbeiter, die Bevölkerung und die Umwelt haben. Einige Beispiele:

    September 1921: Bei einer Explosion in einem Ammoniak-Werk der BASF bei Ludwigshafen sterben 585 Menschen.

    Juli 1948: In der Nitrolack-Fabrik der BASF explodiert ein Kesselwagen. 200 Menschen kommen ums Leben, 3800 werden verletzt.

    Juli 1976: In einer Tochterfirma des Schweizer Chemiekonzerns Hoffmann-La Roche entweicht hochgiftiges Dioxin. Hunderte Bewohner von Seveso bei Mailand werden in Sicherheit gebracht, viele schwer vergiftet.

    November 1979: Ein mit Chemikalien beladener Güterzug entgleist und explodiert bei Toronto. 250.000 Menschen fliehen vor giftigen Gasen, verletzt wird niemand.

    Dezember 1984: Im indischen Bhopal treten in einer Fabrik des US-Konzerns Union Carbide mehrere Dutzend Tonnen hochgiftiges Methylisocyanat aus. Rund 3000 Menschen sterben, etwa 170.000 werden verletzt.

    November 1986: Nach einem Feuer im Baseler Werk der Firma Sandoz fließen etwa 20 Tonnen Gift in den Rhein. Hunderttausende Fische verenden.

    Februar 1993: Bei einem Betriebsunfall im Stammwerk des Hoechst-Konzerns in Frankfurt am Main entweichen zehn Tonnen eines zum Teil giftigen Chemikaliengemischs und regnen auf die umliegenden Wohngebiete herab.

    September 2001: In einer Düngemittel-Fabrik bei Toulouse kommt es zu einer Explosion. 31 Menschen sterben, 2500 werden verletzt.

    Oktober 2010: Giftiger Bauxitschlamm aus einer Aluminiumhütte überschwemmt mehrere Dörfer in Ungarn. Dem Umweltdesaster fallen mindestens neun Menschen zum Opfer, rund 150 werden verletzt.

    Oktober 2016: Eine Explosion erschüttert das BASF-Werksgelände in Ludwigshafen. Mindestens zwei Menschen sterben. Die Suche nach Vermissten und nach der Ursache läuft.

    Die Ausbildung der Resistenzen gilt nicht allein für die indische Bevölkerung, sondern auch für Reisende als Problem. Zahlreiche Indien-Touristen kehrten mit multi-resistenten Bakterien zurück, die sie vorher nicht hatten. Nicht nur in Indien, sondern auch in Europa fehle es an Vorschriften in dem Bereich. Medikamente würden vor der Einfuhr in die EU zwar auf Qualität geprüft, Umweltaspekte in den Produktionsländern dürften Kontrolleure aber gar nicht berücksichtigen. In den kommenden Jahren sollten Zulieferer aus Schwellenländern auch auf Umweltaspekte überprüft werden, so Rolf Hömke, Sprecher des Verbands der Forschenden Arzneimittelhersteller. Diese Vereinbarung hätten bisher aber nicht alle deutschen Pharma-Unternehmen unterzeichnet.

    Bessere Industrie- und Umweltstandards hält auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) für nötig. "Dass Unternehmen das Wasser nicht mit gefährlichen Stoffen verunreinigen dürfen, muss generell gelten", sagte er am Donnerstag. Auch in Schwellenländern müsse sich die Pharmaindustrie an Richtlinien halten. Für internationale Gremien im Wirtschafts- und Umweltbereich stellt der G-20-Gipfel im Juli in Hamburg eine geeignete Plattform dar, um auf dieses Ziel hinzuarbeiten, so Fritz Sörgel vom Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung.

    Antibiotika-Industrie in Indien ist groß

    Die Autoren der Dokumentation sehen die Gründe für die Produktionsbedingungen im Ausland auch im Preiskampf auf dem Pharma-Markt. Die Konkurrenz ist groß und damit Antibiotika möglichst kostengünstig angeboten werden könnten, finde die Herstellung heute zu 80 bis 90 Prozent in Ländern wie Indien oder China statt. Eines der letzten großen europäischen Werke in Frankfurt-Hoechst habe 2016 die Produktion eingestellt, sagte NDR-Autor Christian Baars.

    In Indien stießen die Bedenken der Forscher auf Kritik. "Es ist Quatsch, Industrieabwässer mit dem Transfer resistenter Bakterien auf Menschen zu korrelieren. Die Vorgänge sind deutlich komplizierter", sagte Chandra Bhushan, stellvertretender Geschäftsführer des Think Tanks Zentrum für Wissenschaft und Umwelt (CSE) in Neu Delhi. Das Phänomen resistenter Bakterien gebe es weltweit. "Die USA sind der größte Konsument von Antibiotika. Dort findet man Rückstände von Antibiotika in jedem Produkt mit Hühnchenfleisch." dpa

    Die Fernseh-Dokumentation wird unter dem Titel "Der unsichtbare Feind - Tödliche Supererreger aus Pharmafabriken" am kommenden Montag (22.45 Uhr) in der ARD ausgestrahlt.

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