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Kommentar: Bund, Länder und die Ampel fahren das Klinikwesen an die Wand

Kommentar

Bund, Länder und die Ampel fahren das Klinikwesen an die Wand

Michael Pohl
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    Ein bayerischer Covid-19-Patient wird in das Universitätsklinikum in Kiel gebracht.
    Ein bayerischer Covid-19-Patient wird in das Universitätsklinikum in Kiel gebracht. Foto: Frank Molter, dpa

    Die Corona-Politik von Bund und Ländern hatte Welle für Welle im Grunde nur ein Ziel: die Überlastung der Intensivstationen zu verhindern. Doch obwohl der Erfahrungsschatz Welle für Welle wachsen sollte, war das deutsche Gesundheitssystem noch nie so nahe am Kollaps wie in diesen Wochen.

    Derzeit leiden tausende Menschen in Deutschland darunter, dass wichtige Operationen verschoben werden, mal um Tage, mal um Wochen, mal unbestimmt. Selbst Krebskranke, die gerade die erschütternde Diagnose erhalten haben, erleben, wie Kliniken für dringende Eingriffe Wartelisten führen.

    Der aktuelle Zustand des Gesundheitswesens ist unwürdig für Deutschland

    Dieser Zustand ist der modernen Bundesrepublik und ihres stolzen Gesundheitssystems schlicht unwürdig. Die Kranken als Schwächste der Gesellschaft leiden, während die Politik in Bund und Ländern sich im Streit um die richtigen Gegenmaßnahmen verhakt und den Ernst der Lage im deutschen Gesundheitssystem nicht erkannt hat. Es geht schon lange nicht mehr um die beklagenswerte Arbeitsbelastung des Pflegepersonals. Es geht um die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung.

    Intensivstationen sind die Achillesferse der modernen Medizin. Hier kämpfen Ärztinnen und Ärzte jeden Tag um Leben oder Tod der Schwerstkranken – unabhängig von Corona. Für viele Operationen ist ein freies Notfallbett in der Hinterhand – und sei es nur als Versicherung – eine Voraussetzung, um riskante Eingriffe vorzunehmen.

    Die Lage in den Klinken wird jeden Tag düsterer

    Schon jetzt müssen drei Viertel aller deutschen Krankenhäuser im Notbetrieb arbeiten und unzählige Operationen verschieben. Dramatisch an dieser Situation ist, dass den Medizinern dabei eine positive Perspektive fehlt. Im Gegenteil – die Perspektive erscheint Tag für Tag düsterer: Mit bundesweit steigenden Infektionszahlen wird die Bettensituation auf absehbare Zeit immer schwieriger. Denn Corona-Kranke „blockieren“ Intensivbetten viel länger als die große Zahl anderer Intensivpatienten, die nur wenige Tage die Überlebensmedizin benötigen, bis sie wieder über dem Berg sind. In jedem Bett könne so im Normalfall ein Vielfaches an Menschen behandelt werden.

    Dass Bayern jetzt – wie einst Italien und Frankreich in der ersten Welle – Patientinnen und Patienten ausfliegen muss, um seine Notfallversorgung mit Mühe und Not aufrechtzuerhalten, ist ein erschreckendes Versagen in der Pandemie.

    Die FDP muss die Verfassung Profis überlassen

    Der größte Fehler war, bundesweit auf das Frühwarnsystem der Sieben-Tage-Inzidenzen zu verzichten. Anstatt es dynamisch an die Impfquoten anzupassen, verließ man sich auf eine „Krankenhausampel“. Sie funktioniert bis heute nicht. Die oft per Fax versandten Meldungen sind teils um Wochen veraltet. Der nächste große Fehler nimmt seinen Lauf: Obwohl sich bundesweit die Situation Tag für Tag verschlechtert, drückt sich die Politik vor notwendigen harten Maßnahmen.

    Wer die Überlastung der Intensivstationen verhindern will, hat keine andere Wahl mehr als einen Lockdown. Je später er kommt, desto länger wird er dauern. Die Zeit der Experimente mit irren Bezeichnungen wie „2G-Plus“ ist vorbei. Auch die FDP sollte endlich ihren Widerstand aufgeben: In Karlsruhe haben die Profis der Verfassung gesprochen.

    Der Zwang zur Triage durch politisches Versagen wäre ein Verbrechen

    Andernfalls wird die Politik das wichtigste aller ihrer Versprechen brechen – das Funktionieren der Intensivmedizin. In Österreich lenkte die Politik erst ein, als die ersten Kliniken konkret mit Triage drohten: dem Sortieren, welcher Patient eine Chance auf der Intensivstation bekommt und welcher den sicheren Tod findet. Diese Entscheidung ist keinem Arzt und keiner Ärztin in Deutschland zuzumuten. Der Zwang zur Triage durch politisches Versagen wäre ein Verbrechen.

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