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Interview: Psychiater Haller: "Internet-Hater sind jämmerliche Feiglinge"

Interview

Psychiater Haller: "Internet-Hater sind jämmerliche Feiglinge"

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    Zahlreiche Menschen gedenken der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, die sich das Leben genommen hat. Sie hatte unter massiven Drohungen aus der Szene der Corona-Leugner zu leiden.
    Zahlreiche Menschen gedenken der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, die sich das Leben genommen hat. Sie hatte unter massiven Drohungen aus der Szene der Corona-Leugner zu leiden. Foto: Fotokerschi.at/Hannes Draxler, APA

    Herr Professor Haller, kann man sagen, Sie haben mit „Die dunkle Leidenschaft – Hass“ vermutlich ein neues Standardwerk zu einem unserer stärksten Gefühle geschrieben?

    Reinhard Haller: Ich hoffe es. Aber meine Motivation lag einfach darin, dass es eine logische Fortsetzung meiner bisherigen Bücher ist. Bis dato hatte ich das Thema Hass ausgelassen, auch weil es nicht angenehm ist, darüber zu schreiben. Aber jetzt musste es eben sein. Denn ich habe den Eindruck, dass der Hass heutzutage wieder zunimmt. Und das einzige Mittel dagegen ist Aufklärung. Man muss den Hass sozusagen entblättern .

    Können Sie kurz erklären, was man unter Hass versteht?

    Haller: Das ist gar nicht so leicht. Denn beim Hass weiß man nicht einmal definitiv, ob es eine Emotion ist, ein Trieb oder ein Affekt. Ich glaube, er ist am besten mit dem Begriff Leidenschaft umschrieben. Für mich ist Hass die destruktive Form der Verachtung. Er ist auf Zerstörung ausgerichtet und von einer bösen Idee geleitet.

    Wie entsteht Hass, den Sie als das „kälteste und bösartigste aller Gefühle“ bezeichnen?

    Haller: Alle anderen Aggressionsaffekte haben auch ihre guten Seiten. Zorn kann heilig sein, er kann gerecht sein. Er hat also auch positive Eigenschaften. Wut tut manchmal gut, Rache dient der Wiederherstellung des verletzten Gerechtigkeitsgefühls. Sie kann auch süß sein. Selbst Narzissmus hat in der richtigen Dosis seine Berechtigung. Am Hass allerdings kann man nichts Gutes finden. Es gibt keinen positiven Hass. Insofern ist er eine auf einer ganz niedrigen Stufe angesiedelte Emotion. Sigmund Freud bezeichnet den Hass als „Trieb zur Grausamkeit“. Das muss man den Menschen bewusst machen: Wenn sie hassen, gehen sie im Prinzip etwas sehr Primitivem nach. Wer hasst, der muss sich mit keiner Botschaft differenziert auseinandersetzen. Hass wälzt quasi alles nieder, alle differenzierten Überlegungen und abgestuften Emotionen.

    Wie Sie schon andeuteten, hat man in modernen Gesellschaften das Gefühl, dass Wut und Hass zunehmen. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen beiden?

    Haller: Wut ist durchaus eine Emotion, die zerstörerisch sein kann. Sie tritt aber akut auf, bricht durch und hat oft einen befreienden Effekt. Dadurch werden Frustration und Resignation ein Stück weit abgebaut. Sie hat aber nicht den anhaltenden Effekt wie der Hass. Übrigens müsste der moderne Wutbürger richtigerweise als Zornbürger bezeichnet werden. Denn bei denen ist diese negative Emotion allmählich gewachsen, was dann auch im Protest zum Ausdruck kommt. Wut hat viel mehr einen anfallsähnlichen Charakter.

    Der Psychiater Reinhard Haller nennt Hass "die destruktivste Form der Verachtung".
    Der Psychiater Reinhard Haller nennt Hass "die destruktivste Form der Verachtung". Foto: Verlag Gräfe Und Unzer

    Angst und Ohnmacht benennen Sie als Nährboden des Hasses. Ab welchem Zeitpunkt wandelt sich Wut zu Hass? Oder anders formuliert: Wann wird der Wut- oder Zornbürger zum Hassbürger?

    Haller: Während der Hassentwicklung kann natürlich auch Wut entstehen. Aber die Wut ist ein Ventil. Da wird auch der Hass vorübergehend abgebaut. Aber das Verhängnisvolle am Hass ist, dass er immer wiederkommt. Die Katze hat sieben Leben, der Hass hat unendlich viele, manchmal sogar über den Tod hinweg. Denken Sie an die Blutrache.

    Wie sieht Hass heutzutage aus?

    Haller: Der Hass hat heute neue Gesichter: Frauenhass, Hass gegen Ausländer, gegen religiöse Minderheiten oder Hass im Netz. Das sind Dinge, die es früher nicht in dieser Form gegeben hat.

    Ist es wirklich so, dass Hass in den modernen Gesellschaften zunimmt?

    Haller: Man muss natürlich berücksichtigen, dass der Begriff Hass heutzutage fast inflationär verwendet wird. Nicht immer ist echter Hass gemeint. Aber die Zunahme hat ein Stück weit damit zu tun, dass wir Menschen auf einem sehr großen Aggressionspotenzial schlummern. Gerade bei jungen Männern ist es am Siedepunkt. Früher hat man das abgebaut durch körperliche Arbeit wie Bäume fällen, Kohlesäcke tragen oder Arbeit am Bau. Das haben wir bei den heute dominierenden Sitzberufen nicht mehr in dieser Form. Das heißt, das Aggressionspotenzial sucht einen anderen Weg der Entladung – und einer davon ist der Hass.

    Hassattacken aus dem Netz können fast jeden treffen, der auf Internetplattformen unterwegs ist.
    Hassattacken aus dem Netz können fast jeden treffen, der auf Internetplattformen unterwegs ist. Foto: Fabian Sommer, dpa

    Auch im Internet und in den sozialen Medien blüht der Hass.

    Haller: Weil dort für den Hassenden ideale Voraussetzungen bestehen, sodass er seine Aggressivität und Destruktivität nicht nur für eine beschränkte Zeit an einem beschränkten Ort ausleben kann, sondern es geschieht vor der ganzen Welt. Der Hassende, der die Anonymität natürlich liebt, findet im Internet ideale Voraussetzungen. Er muss sich nicht outen und kann seine Identität aufmotzen als jemand ganz Schrecklicher, ohne dass er dazu stehen muss. Dem Internet kommt eine wichtige Funktion als „Hasspuffer“ zu, es darf aber nicht ein fast rechtsfreier Raum sein. Internet-Hass hat da schon viele zur Verzweiflung gebracht und manche sogar in den Suizid getrieben. Andererseits ist virtualisierter Hass eine mildere Form der Aggressionsverarbeitung als ein Messer im Bauch. Für die Politik wird es eine schwierige Aufgabe, die Möglichkeit der Aggressionsabfuhr im Netz zu bewahren und trotzdem den rechtsfreien Raum einzuschränken, in dem Menschen folgenlos niedergemacht werden konnte.

    Politiker sind dem Hass ja selbst in einer ganz besonderen Form ausgesetzt. Haben Sie eine Idee, wie man Politiker im wahrsten Sinne des Wortes besser aus der Schusslinie nehmen kann?

    Haller: Das ist eine wohltuende Frage. Denn normalerweise müssen Politiker als Projektionsfläche für alle möglichen Probleme herhalten. Die haben es schwer in vielerlei Hinsicht. Denn Politiker sind heutzutage an praktisch allem schuld. Und viele junge Menschen sagen inzwischen, sie wollten sich diesen Anfeindungen in der Politik nicht aussetzen. Das ist ein Problem. Man kann dem nur ein Stück weit begegnen, indem man versucht, die politische Diskussion zu versachlichen. Sie ist aktuell sehr stark auf Skandalisierung und Beschämung ausgerichtet. Wir bräuchten eine differenziertere Darstellung der Sichtweisen in der Politik. Aber eine kurzfristige Lösung habe ich auch nicht.

    Welche Rollen spielen die Medien in diesem Zusammenhang?

    Haller: Einerseits eine befreiende, weil sie viel Aggression abfedern, andererseits können sie Hass auch befeuern. Ich kann nur dazu raten, dass alle möglichst einen sachlicheren Stil bevorzugen sollten.

    Sie sagen, Wissen über den Hass sei der Schlüssel zur Lösung. Wenn ein Mensch hasst, wie kommt er aus diesem furchtbaren Zustand wieder heraus?

    Haller: Leider hat meine Disziplin, die Psychiatrie, bisher eigentlich wenig zur Erforschung des Hasses beigetragen. Wer sich allerdings immer damit beschäftigt hat, ist die Philosophie. Darum war Hass schon bei den alten Griechen ein ganz wichtiges Thema. Alle, die über Hass viel nachgedacht haben, kommen zum Schluss: Es gibt nur eine Regulationsmöglichkeit des Hasses, nämlich ihn zu entblättern. Man muss ihn als das darstellen, was er ist: ein primitives Gefühl. Wenn die Menschen das verstehen, besteht die Möglichkeit, dass sie sich fragen, ob sie so etwas Primitives in sich wirken lassen wollen.

    Ist das auch der Weg, wie man in Gesellschaften den Hass abbauen kann?

    Haller: Ich glaube schon. Wenn ich beispielsweise vermitteln kann, dass Internet-Hater keine großartigen Persönlichkeiten sind, sondern jämmerliche Feiglinge, dann könnte das ein Regulationsansatz sein. Ein richtiges Lösungsmittel gibt es allerdings nicht. Denn Hass wird es geben, solange es die Menschen gibt.

    Zur Person: Reinhard Haller, 70, ist ein österreichischer Psychiater, Psychotherapeut und Sachbuchautor. Sein Buch „Die dunkle Leidenschaft“ ist erschienen bei Gräfe und Unzer, 240 Seiten, 22 Euro.

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