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Foto: Michael Hochgemuth
Foto: Michael Hochgemuth

Die Schauspielerin Jenny Langner hat eine Nacht lang das Haus 0 auf dem Gaswerksgelände bezogen.

Staatstheater Augsburg
22.12.2020

Obdach für eine kalte Nacht in einem Experimental-Haus

Von Stefanie Schoene

Das Haus 0 dient dem Staatstheater Augsburg als Experimentfläche. Es steht auf dem Gaswerksgelände. Darin soll eine andere Erfahrung von Wohnen gemacht werden.

Hinten rumpelt und quietscht ein Güterzug vorbei. Dann zehn Meter Kies. Dann, auf dem Kies, in Knallrot, „Haus 0“. Mit Schrägdach, sieben Quadratmetern Grundfläche und 3,20 hoch steht das Häuschen wie ein Fremdkörper in der chaotischen Baustellenlandschaft des Gaswerks. Ein wenig schwierig sei es gewesen, mit dem Hausherrn des Geländes, den Stadtwerken, über das Kunstprojekt zu verhandeln, erklärt Maria Trump. Als Produktionsleiterin der „Plan A“-Abteilung des Staatstheaters betreut sie Haus 0 und das dazugehörige künstlerische Konzept zu den Themen Wohnen, Eigentumsverhältnisse in der Stadt und Obdachlosigkeit.

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„Übernachtungen sind ja eigentlich streng verboten auf diesem Gelände, auch in den Bandräumen“, erklärt Trump. Doch die Stadtwerke erteilten Genehmigung und seit Oktober kann das rote Haus unter dem Gesamtprojekt „Obdach“ beim Theater gebucht und bewohnt werden. Die Zeitspanne ist selbst gewählt und man sollte „thematischen Überlegungen auf individueller wie auch auf gesellschaftlicher Ebene nachgehen“, heißt es im Konzept.

Der erste Besucher war Regisseur Nicola Bremer für eine Stück-Recherche

Erster Anwärter für das Experiment war Regisseur Nicola Bremer. Drei Tage harrte er dort aus, um an der zweiten Folge der Staatstheater-Inszenierung „W – eine Stadt sucht ihre Wohnung“ zu schreiben. Mit seiner Fisheye-Kamera streamte er Teile seines Aufenthalts als Performance live im Internet. Jetzt ist Jenny Langner dran. Eine Nacht hat die Schauspielerin des Staatstheaters gebucht. Selbst filmen wird sie sich nicht, sagt sie lachend. „Ich will eher ausprobieren, was mir in dieser Nacht fehlen wird. Was ist überhaupt wichtig am Wohnen? Vertrautes, Sicherheit?“ Ein Bild hat sie mitgebracht, ein Notizbuch, natürlich einen Schlafsack.

Die Außentemperatur beim Gespräch nachmittags liegt bei acht Grad, in der Nacht soll es abkühlen. Ein Vorhaben für Abgehärtete also, zumal das rote Haus keinerlei Heizung hat. „Ich glaube, das wird eine Herausforderung. Ich bin gespannt“, so die Schauspielerin.

Dass Obdach und Wohnungssuche auch in Augsburg ein Problem sein können, erlebte die Schauspielerin, die in diesem Herbst neu ans Theater kam, selbst. Die Suche nach einer Bleibe in Augsburg für sich und ihren zweijährigen Sohn gestaltete sich schwierig. „Ich bin nur halbtags beschäftigt, die Mietkosten durften nicht zu hoch sein“, erklärt sie.

Das Haus 0 greift auch das Thema Wohnungslosigkeit aus

Wohnungslosigkeit ist für sie keine abstrakte Gefahr, die nur prekäre gesellschaftliche Gruppen betrifft. „Dass man bei den derzeitigen wirtschaftlichen Entwicklungen mal zwei Mieten nicht zahlen kann, kann, glaube ich, schnell passieren. Und dann?“, überlegt sie. Sie selbst fand schließlich eine passende Wohnung – über Beziehungen. An Haus 0 interessiert sie, wie es ist, allein zu sein, in einer Umgebung zu sein, die sie nicht kontrollieren kann. Wie reagiert sie, wird sie schlafen können?

Genau solche Gedanken will die Augsburger Künstlergruppe Utopia Toolbox mit ihrem Großprojekt „Obdach“ anstoßen. „Diese Skulptur soll bewusst machen, dass und warum die eigenen vier Wände eine so große Bedeutung für uns haben“, erklärt Juliane Stiegele, Gründerin der Toolbox. Haus 0 als ein Teil des Projekts wird demnach als Prototyp bis zum Frühjahr auf dem Gaswerksgelände stehen und als „Forschungslabor“ für Haustester dienen. Im nächsten Jahr werden Haus 1, 2 und 3 gebaut, aufgestellt, eingeweiht und bewohnt.

Neben dem Gaswerksgelände sollen weitere Standorte hinzukommen

Standort für das Haus mit der Nummer 1 wird auf dem Platz vor dem Textil- und Industriemuseum sein. Ein Programm in Kooperation mit dem Sozialdienst katholischer Männer, Sozialdienst katholischer Frauen und obdachlosen Menschen vertieft das Thema. Zudem sollen die dokumentierten Erfahrungen der Hausbewohner im Juni nächsten Jahres im Rahmen einer Ausstellung im Staatstheater zu sehen sein. Die von der Theaterwerkstatt nachhaltig gezimmerten Häuser stehen dann – wenn die Genehmigungen nach Recht und Ordnung erteilt werden – als Unterkünfte für Notfälle zur Verfügung.

Jenny Langner fühlt sich durch den Aufenthalt inspiriert. Geschlafen habe sie allerdings nicht. Der Körper weigerte sich, war in Alarmbereitschaft und fror. „Die Häuser signalisieren den Bedarf an Wohnraum, aber auch, dass wir an Gestaltungsprozessen selbst teilnehmen können“, lautet ihr Fazit. Sie überstand das Experiment trotz Frost. Um Mitternacht allerdings habe plötzlich ein Auto auf dem Kies direkt neben Haus auf dem ansonsten menschenleeren Gelände Kavalierstarts vollführt. „Der Kies hat ringsum gespritzt. Das war gruselig, und vermittelt für einen kurzen Moment, wie es sich anfühlen muss, schutzlos unter einer Brücke zu schlafen“, berichtet sie. Eine Hausaufgabe hat sie noch für das Projektmanagement: „Wenn die Häuser langfristig für irgendjemanden in einer Notlage taugen sollen, müssen sie mit einer Heizung ausgestattet werden. Sonst geht das Projekt nicht auf.“

Mehr Informationen zum Projekt finden sich auf dieser Internet-Seite.

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