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Foto: Marvel Fusion (Simulation)
Foto: Marvel Fusion (Simulation)

So soll einmal ein Fusionskraftwerk der Firma „Marvel Fusion“ aussehen. Standortgespräche gibt es beispielsweise mit dem oberbayerischen Penzberg.

Forschung
12.07.2021

Ein Münchner Start-up forscht mit Kernfusion am Feuer der Zukunft

Von Markus Bär

Kernfusion könnte alle Energieprobleme lösen. Wissenschaftler versuchen seit Jahrzehnten, sie wirtschaftlich nutzbar zu machen. Welchen Weg ein bayerisches Unternehmen gehen möchte.

Seit Jahrzehnten bemühen sich Wissenschaftler auf der ganzen Welt, die Kernfusion – in gebändigter Form – zu realisieren. Es ist ein Menschheitstraum. Denn bei der Verschmelzung von Atomen entsteht gemäß der Einsteinschen Formel E = mc2 unfassbar viel Energie. So viel, dass das alle Energieprobleme der Welt auf saubere Weise lösen könnte. Die ganze, dann aber zerstörerische Kraft der Kernfusion sieht man, wenn eine Wasserstoffbombe gezündet wird. Schon die erste Bombe dieser Art – „Ivy Mike“ im Jahr 1952 – war 800 Mal stärker als die Hiroshimabombe, die auf dem Prinzip der Kernspaltung fußte. Doch es ist etwas ganz anderes, ein Fusionsfeuer unkontrolliert zu entfachen – als eben in kontrollierter Form.

Zwar hat man das sogar schon geschafft. Erstmals 1991 im englischen Oxfordshire, als im europäischen Experimentalreaktor JET (Joint European Torus) bei einem nur zweisekündigen Fusionsfeuer zwei Megawatt Energie erzeugt wurden. Doch bisher musste man zur Entfachung eines Fusionsfeuers viel mehr Energie hineinstecken, als man herausbekam. Ein entscheidendes Problem, wenn man mit Kernfusion die Energieprobleme der Welt lösen möchte. Ausgerechnet ein bayerisches Unternehmen sieht sich bei der Lösung vor einem Durchbruch: die Marvel Fusion GmbH. Sie will bis 2030 Kernfusionen erzeugen, die viel mehr Energie liefern, als sie zur Auslösung erfordern. Auf völlig saubere Weise. Denn weder der Brennstoff noch das Endprodukt sind radioaktiv. Doch wie soll das funktionieren?

Auch ein Nobelpreisträger gehört zum Team

Die Spurensuche führt in die Münchner Blumenstraße 28 unweit des Sendlinger Tors, sehr zentrale Lage in der bayerischen Landeshauptstadt. Dort sitzt im obersten Stockwerk das erst 2019 gegründete Start-up-Unternehmen Marvel Fusion, das bislang 25 Festangestellte und 15 wissenschaftliche Berater zählt. Zu denen auch ein Nobelpreisträger der Physik gehört. Aber davon später.

Das Innenleben ist so, wie man es sich bei einem Start-up vorstellt: alles junge Menschen, keiner im Anzug, viele im T-Shirt. Man ist per Du. Einige Mitarbeiter laufen wegen der Sommerhitze barfuß über den Flur. Der Blick aus den Büros ist herrlich: vor der Nase das Dächermeer der Münchner Innenstadt – und im Hintergrund schimmern die Alpen. Von hier aus also soll der Weg in eine sorgenfreie Energiezukunft beginnen.

Geschäftsführerin Heike Freund ist es im Gespräch mit unserer Redaktion wichtig, den klaren Unterschied zur herkömmlichen Kernspaltung zu betonen. Die 36-jährige Wirtschaftsingenieurin hatte sich vor ihrem Engagement bei Marvel Fusion in nur zehn Jahren bei der weltweit tätigen Consulting-Firma McKinsey zur Partnerin hochgearbeitet. Also zur Mit-Teilhaberin. Das ist die oberste Ebene, nicht nur in der Consulting-Branche.

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Nun ist sie bei diesem kleinen Start-up – und brennt ganz offenkundig für ein großes Ziel. „Bei der Kernspaltung braucht man radioaktiven Brennstoff und das Endprodukt ist ebenfalls radioaktiv.“ Mit allen Problemen, die sich daraus ergeben – siehe Tschernobyl, siehe Fukushima. Siehe das Thema Endlagerung, das bis heute nicht wirklich befriedigend gelöst wurde. „Bei der Kernfusion ist das komplett anders“, sagt sie – bei dem Ansatz, den Marvel Fusion verfolgt.

Münchner Start-up Marvel Fusion setzt auf neue Kernfusions-Technologie

Denn der unterscheidet sich erheblich von dem, wie bislang in der Welt versucht wird, Kernfusion zu erzeugen und zu nutzen. Bislang kommt vor allem die sogenannte „Fusionstechnologie mit magnetischem Einschluss“ zum Einsatz. Man muss etwas ausholen, um das zu erklären. Bei dieser Technologie werden zwei Wasserstoffisotope (Deuterium und Tritium) so nahe aneinandergebracht, dass sie zu Helium verschmelzen. Da sich diese Atome aber elektrisch abstoßen, muss man, damit die Kernverschmelzung klappt und stabil bleibt, unglaublich viel Energie hinzufügen: nämlich 150 Millionen Grad Hitze. Das Ganze muss zudem in einem extrem starken Magnetfeld erfolgen, um das bei diesen Temperaturen entstehende sogenannte Plasma im Zaum zu halten. Damit ist auch schnell jedem Laien klar, dass das Prozedere nicht so einfach ist. Allgemein nimmt man an, dass es noch bis mindestens 2050 dauern wird, bis auf diese Weise Energie gewonnen werden kann.

Marvel Fusion will einen anderen Weg gehen. Einen Weg, der bahnbrechende technische Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre auf einem ganz anderen Sektor miteinbeziehen soll: der Lasertechnologie. Für das Fusionsfeuer, das Marvel Fusion entzünden will, braucht man extrem leistungsstarke Laser, die in ultrakurzen Zeiteinheiten ihre Laserblitze aussenden können – nämlich im Bereich von einigen zehn Femtosekunden.

Eine Femtosekunde ist so kurz, dass einem schon ein Vergleich zur Beschreibung ihrer Kürze die Sprache verschlagen kann. Der Vergleich geht so: Richtet man einen Lichtstrahl auf den 384.000 Kilometer entfernten Mond, trifft dieser Lichtstrahl bei der allseits bekannten Lichtgeschwindigkeit von 300.000 Kilometern pro Sekunde in etwas mehr als einer Sekunde auf unserem Trabanten ein. Derselbe Lichtstrahl hätte in einer Femtosekunde trotz Lichtgeschwindigkeit weniger als ein Zehntel des Durchmessers eines Haares hinter sich gelassen.

Für das Marvelsche Fusionsfeuer werden Laserblitze von der Impulskürze einer Femtosekunde gebraucht. Inzwischen gibt es solche Laser. Und vor allem: Die Lasertechnologie wird kostengünstiger, sodass ihr Einsatz etwa in einem künftigen Kernfusionskraftwerk wirtschaftlich denkbar wäre.

Treibstoff für die Fusion: Bor und Wasserstoff

Als zweite Komponente kommt bei Marvel ein besonderer Treibstoff hinzu. Es handelt sich um Bor und Wasserstoff. Beide Stoffe stehen im Prinzip unbegrenzt auf der Welt zur Verfügung und sind nicht radioaktiv. Sie werden in einer bestimmten Formation in Kügelchen angeordnet. Diese bestimmte Formation ist wichtig, weil sich sonst das Feuer nicht optimal entfachen lässt. Dann werden extrem starke Laserblitze im Femtointervall auf dieses Kügelchen (das sich auf mehrere zehn Millionen Grad erhitzt) geschossen. So entsteht in der Vakuumkammer eine kontrollierte Kernfusion.

Das Endprodukt aus der Fusion sind dann drei Helium-Moleküle, die aber, im Gegensatz zu normalen Heliumatomen, elektrisch geladen sind. Was sinnvoll ist. Denn so können sie durch Magneten kanalisiert werden – und in einem mehrstufigen Prozess direkt in Elektrizität umgewandelt werden, die dann ins Stromnetz eingespeist werden kann. So lautet das Prinzip.

Auch eine unkontrollierbare Kettenreaktion – siehe Tschernobyl – sei nicht möglich. „Fällt etwa ein Flugzeug auf ein solches Fusionskraftwerk, fällt der Laser aus und sofort erlischt einfach alles. Ohne den Laser geht nichts“, sagt die Geschäftsführerin. Pro Jahr würden lediglich etwa 450 Kilogramm dieser Kügelchen gebraucht. Die erbringen die äquivalente Energie von 2,4 Millionen Tonnen Kohle – ohne jedoch gleichzeitig 2,2 Millionen Tonnen CO2 freizusetzen.

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Unser Bild zeigt die Erzeugung von heißem Plasma in einem Magnetfeld in der Forschungsanlage Wendelstein 7-X in Greifswald. Plasma braucht man, um Kernfusionen auszulösen. Die Münchner Firma Marvel Fusion will einen anderen technologischen Weg gehen.

Kurze Verschnaufpause auch für den Zuhörer. Heike Freund blickt aus dem geöffneten Fenster, durch das der Verkehrslärm der Innenstadt hereindringt. Gleich in der Nähe befindet sich der Viktualienmarkt. Die Leichtigkeit des Lebens. Welch ein Gegensatz zu dem komplexen Thema Kernfusion, mit dem sich das Unternehmen befasst.

Um die Sache aufs Gleis zu bringen, hat Marvel Fusion die nach eigenen Angaben besten Wissenschaftler der Welt auf diesem Gebiet verpflichtet – viele von ihnen als wissenschaftliche Berater, die nicht unbedingt am Standort Blumenstraße arbeiten. Zu ihnen gehört etwa der Franzose Gerard Mourou, der 2018 den Physik-Nobelpreis für seine Methode erhalten hat, hochintensive, ultrakurze Laserpulse zu erzeugen. Gegründet wurde Marvel Fusion vom Architekten des weltweit leistungsstärksten Lasers, Georg Korn, und dem Investor Moritz von der Linden. Hinter Marvel Fusion stehen übrigens etliche private Geldgeber sowie Blue Yard Capital, eine in Berlin sitzende Investmentfirma, als Hauptgeldgeber.

Szenenwechsel. Penzberg im Landkreis Weilheim-Schongau, 50 Kilometer südlich von München. Hier im oberbayerischen Voralpenland gilt der Boden – geologisch betrachtet – aus Sicht von Marvel Fusion als ruhig und erschütterungsarm. Das ist wichtig für exakte Laserblitze. Stefan Korpan (CSU), Erster Bürgermeister der 16.500-Einwohner-Stadt, ist auf das Thema Marvel Fusion bestens zu sprechen.

Denn das Unternehmen hat sich in seiner Stadt nach Baugrund für das künftige Fusionskraftwerk erkundigt. „Es geht um ein 30.000-Quadratmeter-Grundstück in unserem Gewerbegebiet Nonnenwald“, sagt er unserer Redaktion. Der Stadtrat hat auch schon entschieden, nach eingehender Bürgerbeteiligung, dass die Fläche für Marvel Fusion reserviert wird. „Wir würden es begrüßen, wenn das Unternehmen zu uns kommt. Das würde unsere ganze Region aufwerten.“

Bis zu drei Milliarden Euro sollen investiert werden

Zumal Marvel Fusion hier bis zu drei Milliarden Euro investieren würde: 350 Millionen Euro für den Bau der Demonstrationsanlage und dann noch zwei bis Milliarden Euro für den Prototypen des ersten kommerziellen Fusionskraftwerks. 2900 Arbeitsplätze könnten für den dauerhaften Kraftwerksbetrieb entstehen. Mehr als 20.000 Jobs würden während der Bauphase des Kraftwerks benötigt. Ab 2030 soll der Reaktor dann elektrische Leistung liefern, die schrittweise bis zu circa drei Gigawatt erhöht werden könne – also in etwa in der Leistungsgrößenordnung der beiden Blöcke B und C im Atomkraftwerk Gundremmingen zusammen.

„Das wäre natürlich eine große Sache für uns“, sagt Korpan. Die Stadt Penzberg ist mit dieser Nachricht medial denn auch recht offen umgegangen. Warum auch nicht. Aber: „Seitdem haben wir viele Angebote von vielen Standorten bekommen“, berichtet Heike Freund. Kein Wunder. So mancher Bürgermeister würde wohl gern ein solches Projekt auf seinen Fluren sehen.

Wo diese anderen Bewerber sitzen, möchte Heike Freund momentan nicht sagen. Außer: „Penzberg ist definitiv noch im Rennen.“ Für Marvel Fusion hängt die Standortwahl von mehreren Faktoren ab. „Wir brauchen für unser Vorhaben Laser, die unseren Parametern entsprechen.“ Ein Weg sei, einen schon existierenden Hochleistungslaser an diese anzupassen. Es gebe mehrere Standorte, die über solche Leistungsklassen von Lasern verfügen – zum Beispiel in Prag und im rumänischen Magurele, aber auch in Deutschland.

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Foto: Quirin Leppert, Marvel Fusion
Foto: Quirin Leppert, Marvel Fusion

Heike Freund ist Geschäftsführerin von „Marvel Fusion“.

Die Standortwahl hänge zudem von öffentlichen Zuschüssen ab. Marvel Fusion möchte für den Bau seiner Demonstrationsanlage zwei Drittel des Investitionsvolumens in Höhe von 350 bis 400 Millionen Euro aus privaten Investorenmitteln einwerben, ein Drittel aber auch durch öffentliche Zuschüsse. Nachfrage also beim zuständigen Bundesforschungsministerium. „Die Förderung der Fusionsforschung durch den Bund beläuft sich auf derzeit jährlich 142 Millionen Euro. Gefördert werden das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching und Greifswald, das Karlsruher Institut für Technologie und das Forschungszentrum Jülich“, heißt es von dort. Alle drei Institutionen verfolgen ausschließlich die Magnetfusionstechnologie. Und: „Eine Förderung im Bereich der Laserfusion ist nicht beabsichtigt.“

Und warum nicht? „Maßgeblich für eine Bundesförderung ist unter anderem die Einschätzung aus der Wissenschaft. Derzeit werden die Ansätze im Bereich der Laserfusionsforschung als weniger aussichtsreich bewertet.“ Im Vergleich zur Magnetfusionsforschung, die bereits seit mehreren Jahrzehnten intensiv unter anderem an deutschen Instituten erforscht werde, würden die Erfolgsaussichten bei der Laserfusion – zumindest mittelfristig – als gering eingeschätzt.

Keine wirklich guten Nachrichten für Marvel Fusion, denn auch die Konkurrenz schläft nicht. Weltweit gibt es etwa 30 Firmen, die sich ebenfalls auf das Thema Kernfusion gestürzt haben. Vor wenigen Tagen erst gab das kanadische Unternehmen General Fusion bekannt, dass es in Großbritannien einen Fusionsreaktor bauen wird. Es ist ein Wettlauf entstanden, der immer mehr Fahrt aufnimmt.

Kernfusion ist eines der Zukunftsthemen. Dass sie grundsätzlich funktioniert, beweist schon ein Blick in den Himmel. Seit rund fünf Milliarden Jahren wärmt das gigantische Fusionsfeuer der Sonne unseren Planeten. Es ist die Grundlage unseres Lebens.

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