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Verbrechen: Wie häufig werden Flüchtlinge in der Region zu Sexualtätern?

Verbrechen

Wie häufig werden Flüchtlinge in der Region zu Sexualtätern?

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    Tatort einer Vergewaltigung? Ein Asylheim in der Augsburger Proviantbachstraße.
    Tatort einer Vergewaltigung? Ein Asylheim in der Augsburger Proviantbachstraße. Foto: Silvio Wyszengrad

    Das Mädchen wirkt hilflos, es ist nicht wirklich ansprechbar. Die Passanten im Augsburger Stadtteil Lechhausen merken schnell, dass mit der Schülerin etwas nicht stimmt. Sanitäter rücken an. Die 15-Jährige wird in die Kinderklinik gefahren. Die Untersuchung ergibt, dass das Mädchen unter Drogeneinfluss steht – und missbraucht worden ist. Damit beginnt am 2. Juli ein Kriminalfall, der die Ermittler der Augsburger Kripo noch immer intensiv beschäftigt. Sie gehen dem Verdacht nach, dass die Schülerin in einer Asylunterkunft vergewaltigt worden ist. Womöglich von mehreren jungen Männern.

    Das Mädchen erzählt später den Ermittlern, dass es einen 17-jährigen Afghanen kennengelernt hat. Als sie sich am 2. Juli trafen, gingen sie in ein Zimmer einer Augsburger Asylunterkunft. Dort wohnt ein 20-jähriger Afghane, ein Bekannter. Sie rauchten einen Joint. Was danach geschah, weiß die Schülerin nicht mehr. Die Ermittler sprechen von einem „Filmriss“, ausgelöst durch die Drogen. Nun sitzen die beiden Afghanen in Untersuchungshaft. Die Kripo hat Anhaltspunkte dafür, dass mindestens ein weiterer Mann an dem Missbrauch beteiligt gewesen sein könnte. Es gibt DNA-Spuren.

    Ein mutmaßlicher Fall von Vergewaltigung innerhalb eines Asylheims – damit ist die Polizei selten konfrontiert. Im Augsburger Präsidium wird die Zahl der Straftaten, bei denen der Tatort eine Unterkunft für Asylbewerber ist, genau erfasst. Es ist zuständig für Stadt und Landkreis Augsburg sowie für die Kreise Dillingen und Donau-Ries. Im vergangenen Jahr registrierte die Polizei nicht eine Vergewaltigung innerhalb eines Heimes, auch für das Jahr 2016 steht in der Statistik keine Vergewaltigung. 2015 gab es zwei Vergewaltigungen innerhalb eines Flüchtlingsheims, die den Beamten bekannt wurden. Andere Sexualstraftaten, darunter sexuelle Belästigung oder die Verbreitung von Kinderpornografie, gab es dort im vorigen Jahr in 15 Fällen.

    In den Asylheimen dürfte es eine höhere Dunkelziffer geben

    Meistens sind bei Sexualstraftaten in den Heimen ausschließlich die Bewohner betroffen – das heißt, Täter und Opfer sind Asylbewerber. Siegfried Hartmann, Sprecher des Augsburger Polizeipräsidiums, sagt: „Teils spielen sich die Straftaten auch in einer Familie ab.“ Gerade deshalb dürfte es eine höhere Dunkelziffer geben. Weil Opfer sich nicht trauen, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Dazu kommen noch Sprachbarrieren, manchmal auch schlechte Erfahrungen mit der Polizei im Heimatland. Dass ihre Statistik nicht die ganze Realität erfasst, ist auch den Polizeibeamten bewusst.

    Anders sieht es dagegen bei Sexualstraftaten aus, die sich außerhalb der Unterkünfte abspielen und an denen Asylbewerber beteiligt sind. Fachleute gehen davon aus, dass die Zahlen der Kriminalstatistik hier deutlich aussagekräftiger sind. Der Sozialpädagoge Erwin Schletterer kümmert sich beim Verein „Brücke“ um junge Straftäter. Er sagt: „Es gibt eine Reihe von Untersuchungen, die zeigen, dass bei einem fremden Täter die Anzeigebereitschaft generell höher ist.“

    Unsere Redaktion hat die Zahlen der Polizei für den Regierungsbezirk Schwaben recherchiert. Sie zeigen, dass insgesamt die Zahl der tatverdächtigen Flüchtlinge bei Sexualstraftaten deutlich gestiegen ist. Im Jahr 2015 ermittelte die Polizei in Schwaben 39 Flüchtlinge als mutmaßliche Sexualstraftäter, 2016 waren es 56 und 2017 dann 111 tatverdächtige Flüchtlinge.

    Zumindest teilweise lässt sich der Anstieg laut Polizei damit erklären, dass das Sexualstrafrecht Ende 2016 verschärft worden ist. Übergriffe, die zuvor etwa nur als Beleidigung geahndet wurden, zählen nun zu den Sexualstraftaten. Dazu kam eine Neuregelung nach dem Prinzip „Nein heißt Nein“. Zuvor wurde eine Tat in der Regel nur dann als Vergewaltigung eingestuft, wenn sich das Opfer deutlich wehrte. Jetzt reicht ein einfaches Nein. Dennoch zeigt sich bei Asylbewerbern als Sexualstraftätern eine Steigerung, die damit allein nicht zu erklären ist. Das ergibt ein anderer Vergleich. Im Jahr 2015 waren rund sechs Prozent der von der schwäbischen Polizei ermittelten Sexualstraftäter Flüchtlinge. Im Jahr 2017 lag der Anteil der Asylbewerber mehr als doppelt so hoch, bei 15,6 Prozent.

    Werden Flüchtlinge häufiger zu Tätern als Deutsche - und was ist mit dem Frauenbild?

    Werden Flüchtlinge also häufiger zu Sexualstraftätern als Deutsche? Seriös lässt sich diese Frage laut Polizei nur schwer beantworten. Darauf weisen auch die Polizeipräsidien in Schwaben hin. Es gibt mehrere Unsicherheiten. So kann man nicht genau sagen, wie viele Flüchtlinge sich jeweils in den untersuchten Zeiträumen hier aufgehalten haben. Dazu kommt: Viele Asylbewerber sind jung und männlich. Damit fallen sie exakt in jene Gruppe, die ohnehin schon deutlich häufiger durch Kriminalität und auch durch Sexualdelikte auffällt als andere Teile der Bevölkerung. Sozialpädagoge Schletterer macht aber keinen Hehl daraus, dass auch der kulturelle Hintergrund eine Rolle spielen kann. Er denkt dabei aber weniger an Vergewaltigungen, sondern an die weniger gravierenden Fälle. Im vergangenen Jahr etwa häuften sich im Augsburger Nachtleben zeitweise die Fälle, in denen Frauen von Flüchtlingen belästigt wurden – etwa durch Antanzen. Einige der Asylbewerber kamen aus der Unterkunft in Donauwörth, die zuletzt durch mehrere Zwischenfälle negative Schlagzeilen machte.

    Gewalt in Asylheimen - hier ein Polizeieinsatz in Neu-Ulm - kommt immer wieder vor. Meistens sind dort bei Sexualstraftaten die Bewohner selbst betroffen.
    Gewalt in Asylheimen - hier ein Polizeieinsatz in Neu-Ulm - kommt immer wieder vor. Meistens sind dort bei Sexualstraftaten die Bewohner selbst betroffen. Foto: Alexander Kaya

    Beim Verein „Brücke“ reagierte man darauf mit einem eigenen Projekt. Mitarbeiter des Vereins besuchen Übergangsklassen für Asylbewerber. Sie erklären den jungen Flüchtlingen, welche Gesetze hier gelten. Sie sprechen aber auch darüber, wie man es zu deuten hat, wenn eine Frau hierzulande einen Mann anlächelt oder ihn berührt. Und dass die Frau damit keinen Freibrief ausstellt. Die Brücke-Mitarbeiter erleben dabei, dass junge Männer aus muslimisch geprägten Ländern oft eher zurückhaltend und unsicher seien im Umgang mit dem anderen Geschlecht – was allerdings im Widerspruch steht zu den Fällen, wo Frauen vermehrt belästigt wurden.

    Bei dem Verein plant man jetzt, das Projekt auch auf Flüchtlingsunterkünfte auszuweiten, um dort junge Männer zu erreichen. Im Herbst wird es einen ersten Versuch in einem Heim geben. Die Situation in den größeren Unterkünften ist ohnehin noch einmal eine besondere. Im Asylheim in der Proviantbachstraße, in dem die 15-Jährige vergewaltigt worden sein soll, ist Platz für rund 130 Personen. Vor allem junge Männer leben hier. Platz für Privatsphäre bleibt kaum.

    Der Musiker Farhad Sidiqi Jooyenda, der in Augsburg heimisch geworden ist, schilderte kürzlich in einem Gespräch mit unserer Redaktion, wie er die Zeit in der Unterkunft erlebt hat: „Einer sah die ganze Nacht fern, der andere rauchte permanent, ein anderer hörte tagsüber nur laute Musik.“ Er habe das nur schwer ausgehalten. Diese Einschätzung teilt man auch bei der Polizei. Durch die Enge gebe es immer wieder Konflikte, sagt Polizeisprecher Hartmann. Kritisch sei es auch dann, wenn Flüchtlinge aus unterschiedlichen Volksgruppen und Religionen zusammenleben müssten.

    Plötzlich rücken wieder Polizisten an

    Erwin Schletterer, der Sozialpädagoge, sieht das ähnlich. Langeweile und das „Abhängen“ mit Gleichaltrigen seien ebenfalls kritische Faktoren, sagt er. Er erlebe es in seiner Arbeit oft, dass junge Straftäter allein ganz brav seien – und sich erst in einer Gruppe dazu hinreißen lassen, Mist zu bauen. Schwierig sei es auch dann, wenn junge Flüchtlinge keine Perspektive haben, weil sie abgeschoben werden sollen. Sie fragen sich, warum sie sich überhaupt anstrengen sollen.

    Matthias Schopf-Emrich arbeitet als Flüchtlingsberater beim evangelischen Hilfswerk Diakonie. Das diakonische Werk betreut auch das Heim in der Proviantbachstraße, das jetzt als Tatort einer mutmaßlichen Vergewaltigung gilt. Gerade bei Afghanen sei der Frust derzeit groß, sagt er. Viele Asylanträge haben keine Chance, der Abschiebestopp für das Land ist aufgehoben.

    Als am Mittwoch Polizisten anrücken, um auf der Suche nach weiteren Tatverdächtigen in dem Missbrauchsfall von zahlreichen Bewohnern des Heimes DNA-Speichelproben zu nehmen, bleibt aber alles ruhig. Keiner, der eine Probe abgeben soll, verweigert das, obwohl es rechtlich möglich ist. Der Frust entlädt sich diesmal nicht.

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