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Foto: Patrick Pleul, dpa
Foto: Patrick Pleul, dpa

Was kostet eigentlich ein Stück Butter? Eine Frage, bei der sich nicht nur Politiker blamieren können.

Allgäu
18.07.2023

Butter bei die Tische: Auf Spurensuche bei der Butterbörse in Kempten

Von Fabian Huber

Plus Die Deutschen lieben ihre Butter. So sehr, dass es dafür in Kempten sogar eine eigene Börse gibt. Clemens Rück sitzt ihr vor. Aber wofür das Ganze?

Beginnen wir emotional, schließlich handelt dieser Text von den Deutschen und der Butter. Fettige, wachspapierumhüllte 250 Gramm: ein Kulturgut. Täglich schmieren wir sie uns aufs Brot, lassen sie in die Pfanne pflatschen, rühren sie in einen Kuchenteig, sogar unsere Sprache fetten wir damit ein: un-ter-but-tern, dieses Wort muss man sich wirklich mal auf der Zunge zergehen lassen.

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Wer im Kanzlerkandidaten-Vorstellungsgespräch nur schulterzuckend antworten kann auf die immer wieder von Journalisten gestellte Frage aller Fragen – „Wie viel kostet ein Stück Butter?“ –, kann seine Bewerbung gleich schreddern, der gilt als bürgerfern. Und wenn der abgefragte Butterpreis gar nicht mehr aufhört zu steigen, so wie im vergangenen Krisenjahr, das Stückle Meggle für über drei Euro, dann hört man den Volkszorn förmlich vor dem Kühlregal grollen.

Nüchtern betrachtet geht es nur um ein etwa zweimal-zwei-Euro-Münzen-großes Loch in der monatlichen Haushaltskasse. Aber wie gesagt, Butter, hoher Emotionsgehalt, da ist der Deutsche etwa so empfindlich wie ein Italiener bei ranzigem Olivenöl.

Es gibt hier keine Butter-Broker, die mit Aktienpfunden handeln

Weil das also eine wichtige Sache ist mit der Butter, den Deutschen und dem deutschen Butterpreis, machen wir uns an einen Ort auf, an dem all das verhandelt wird. Er liegt in einem grauen Bürokasten am Anfang von Kempten, also in der Mitte des Allgäu, dem Milchbecken von Deutschland. Hier sitzt die Süddeutsche Butter- und Käsebörse.

Was man sich vorab vielleicht unter einer solchen Landwirtschafts-Wall-Street vorstellt: Schnauzbärte statt Glattrasur, Engelbert-Strauss-Klamotte statt Armani-Anzug, derber Ton, hektisches Treiben, aber wohl kein Kamerateam von „Wirtschaft vor acht“.

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Tatsächlich irrt man erst einmal verloren durch die Räume des Bayerischen Bauernverbands, wo tagt denn jetzt die Butterbörse? Und wird sodann von einem Mann mit weißem Kurzarmhemd und allgäuerisch gerolltem "r" in die richtige Richtung eskortiert, zweiter Stock, „einfach unauffällig folgen“, rät er und stakst über leere, graue Teppichgänge in ein Eckbüro, das weniger nach Börsenchef und mehr nach Stromberg aussieht. Topfpflanzen, Kuhfiguren, ein Werbeplakat aus den Siebzigern vom Modell: Mädl in Dirndl beißt in Butterbrot.

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Foto: Thomas Schwarz
Foto: Thomas Schwarz

Clemens Rück ist seit zehn Jahren Geschäftsführer der Süddeutschen Butter- und Käsebörse in Kempten.

Clemens Rück, Geschäftsführer der Kemptener Börse, weiß: Da sind jetzt erst mal viele Fragen im Kopf des Besuchers. Er legt 23 ausgedruckte Power-Point-Seiten auf den Besprechungstisch und beginnt, ungefragt, mit einem Impulsvortrag: „Also“, steigt er ein, „wir stellen fest, wir legen nicht fest.“

Die erste Illusion verpufft bereits: Hier gibt es weder Butter-Broker, die mit Aktienpfunden handeln, noch ruft jemand nach einem langen Börsentag durch die Gänge: „Weihenstephan bei Lidl, nächste Woche 1,99!“ Wäre kartellrechtlich auch eher schwierig.

Die Börse, offiziell ein Verein, will vielmehr ein „Marktbarometer“ sein, sagt Rück. Und um den Druck auf die Preise zu messen, braucht es eigene Kommissionen für die hier notierten Produkte, für Emmentaler, Milchpulver, Molkepulver – und eben auch für die Butter.

Mittwochs ist Sitzungstag. Und zufällig ist gerade Mittwoch. Nur sind fachfremde Teilnehmer bei solchen Treffen nicht vorgesehen. Rück, der der Butterkommission vorsteht, muss also nachträglich erzählen, was kurz zuvor passiert ist.

Die zwölf Kommissionsmitglieder trafen sich per Videochat. Je sechs Entsandte der Molkereien, klein wie groß, von Schleswig bis Schwaben; und sechs Einkäufer, teils Vertreter der großen deutschen Handelsgruppen wie Edeka, Rewe, Aldi und der Schwarz-Gruppe, zu der Lidl und Kaufland gehören, teils aus der Industrie. „Paritätisch besetzt, Demokratieprinzip“, merkt Rück stolz an.

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Foto: Marcus Merk
Foto: Marcus Merk

Zuletzt sind die Butterpreise wieder gesunken.

Kurze Zwischenfrage, wie es denn um eine Frauenquote stehe? Rück sagt: „Och, da sind wir bei der Butternotierung eigentlich schon gut vertreten. So 20 Prozent.“

Die demzufolge zehn Männer und zwei Frauen referierten also reihum zur derzeitigen Marktlage. Sie glichen Verkaufspreise von fast 2000 Tonnen Butter in der Vorwoche ab. Dann notieren sie: Deutsche Markenbutter geformt, 4,80 bis fünf Euro pro Kilo, netto. Normale Nachfrage.

„Die Lage hat sich beruhigt“, sagt Rück. Im vergangenen Herbst musste seine Kommission noch bei gut acht Euro notieren. Es war die Zeit der fetten Preise. Die Gründe lagen zum Großteil außerhalb Deutschlands, pandemische Inflation und russischer Angriffskrieg. Der Buttermarkt ist lange schon internationalisiert.

Der Butterpreis wird jeden Monat neu ausgehandelt

Weil die Ukraine, wichtiges Exportland für Getreide, damals vom Weltmarkt abgeschnitten war, sparten deutsche Bauern am Kraftfutter. Ihre Kühe gaben dadurch weniger Milch. Mit den Energiepreisen stiegen auch die Erzeugerkosten: für Düngemittel, Milcherhitzung, Verpackungsmaterial. Ausgerechnet in dieser Zeit der Knappheit nahm die Nachfrage nach deutschen Milchprodukten aus dem asiatischen Raum stetig zu.

Sinkendes Angebot, steigende Nachfrage, machte: 3,49 Euro für die Markenbutter im Supermarkt.

Seit dem Jahreswechsel sinken die Preise wieder. Der Marktdruck hat nachgelassen, nicht nur in China. 2022 aßen die Deutschen nur noch 5,4 Kilo Butter pro Kopf. Die Jahre zuvor waren es stets um die sechs Kilo gewesen. Im Februar preschte Aldi deshalb mit Kampfpreisen ins Regal, um die deutsche Butterlust wieder anzukurbeln. Die Konkurrenz zog nach. Jetzt gibt es die Markenbutter wieder für unter zwei Euro pro Packung.

Im Vergleich zu Joghurt und Quark gilt die Butter als besonders volatil. Denn ihr Preis wird jeden Monat neu ausgehandelt zwischen Erzeugern und Handel. Wichtigster Referenzpunkt dabei: die Notierung der Butterbörse.

Schon 1921 wollte Kemptens damaliger Erster Bürgermeister Otto Merkt Ordnung ins Chaos und die örtlichen Produzenten und Händler an einen Tisch bringen. „Damals hat der eine den anderen beschissen“, so formuliert es Rück. Geboren war die Allgäuer Börse. Weitere Häuser gründeten sich: in Köln, Hamburg, Hannover. Geblieben ist nur Letztere. Nach der aktuellen Notierungsverordnung ist sie für Schnittkäse zuständig, die Kemptener Börse für die restlichen Milchprodukte. Nord-Süd-Arbeitsteilung.

Früher, erzählt Rück, sei es noch richtig zur Sache gegangen: „Da sprangen die Leute auf den Tisch. Heute diskutieren wir sachlich.“ Heute, also eigentlich seit 2010, treffen sich die Börsenmitglieder nur noch per Telefonkonferenz. Man kann sich den alten Sitzungssaal dennoch ansehen: dunkles Parkett, Möbel aus Eichenholz, das Wandgemälde einer alten Sennerei. Butterbörsenromantik.

Rück selbst wurde quasi mit Milch getauft. Der Opa bereits Molkereiführer bei einem Kleinbetrieb im Unterallgäu, der Vater dann Geschäftsführer bei den Milchwerken Bad Wörishofen. Die befreundeten Bauernsöhne wurden jeden Morgen vom Muhen der Kühe geweckt, Rück um vier Uhr vom Anfahren der Zentrifuge. „Liegt halt im Blut“, sagt er, mehr als 20 Jahre selbst bei Molkereien tätig, bevor er 2013 an die Börse wechselte.

Ein paar wichtige Fragen hat Rück bei seiner Präsentation außer Acht gelassen. Sie müssen deshalb jetzt am Ende des Gesprächs gestellt werden.

Nutellabrot mit oder ohne Butter? „Ohne.“

Die oder der Butter? „An Butter.“ Butterisches Maskulinum also, im Allgäu akzeptiert.

Wie viel kostet noch mal ein 250-Gramm-Päckchen im Supermarkt? Rück zögert. „Momentan 1,49 Euro oder vielleicht auch drunter. Ich kauf nicht viel ein. Das macht meine Frau.“ Kanzler wird man mit dieser Antwort eher nicht, Butterbörsenchef schon.

Bricht Rück einmal selbst zum Einkauf auf, spioniert er vor dem „Mopro“-Regal, dem für Molkereiprodukte. Es teilt sich auf in eine weiße Linie (Milch, Sahne, Joghurt, Quark) und eine gelbe Linie (Käse) – Vokabeln, die man auf der Butterbörse ganz nebenbei lernt. Rück jedenfalls achtet immer genau auf die anderen Einkaufswagen. Und ihm ist aufgefallen: „Die Leute kaufen preissensibler.“

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Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa
Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

Es gab Zeiten, da protestierten die Landwirte gegen den Verfall des Butterpreises - und kauften, wie hier 20054, die Regale leer.

Er blickt jetzt nach draußen, vorbei an den Kuhfiguren auf der Fensterbank, mit ausgestrecktem Zeigefinger deutet er hinaus: Hier noch eine Molkerei, da, da, dort. Das Allgäu, ein Land, in dem noch Milch fließt. In dem, sagt er, „noch vieles grün ist. Aber wenn man weiter in den Osten schaut: Da ist schon vieles braun.“ Braun heißt Hitzewelle, Klimawandel und: weniger Milch, weil den Kühen zu heiß ist.

Man kann im Freistaat vermutlich mit niemandem so gut über Milch reden wie mit Hans-Jürgen Seufferlein. Ein kurzer Anruf deshalb noch in München, im „Haus der Milch“, gleich neben der Theresienwiese. In einem schlichten Büro baut sich vor Seufferlein vor allem eine Frage auf, sie liegt in der Natur seines Jobs als Direktor des Verbands der Milcherzeuger Bayern: Wo pendelt sich die neue Normalität im Mopro-Regal ein? „Ich kann von 1970 bis heute denken“, sagt Seufferlein. Und was er dann gedanklich vor sich sieht: 50 Jahre mehr, mehr, mehr. Leistungsfähigere Maschinen, genetisch optimierte Zuchtkühe, steigende Milchmengen. „Wir haben gefürchtet, mit Milch überschwemmt zu werden. Aber diese Zeiten sind jetzt vorbei. Die Kapazitäten sind ausgereizt. Wir werden genau in die andere Richtung gehen.“ 

Auch hierzulande sinkt inzwischen die Milchmenge

Die neue Normalität, das werden konstant hohe Energiepreise sein, teures Kraftfutter, Tierwohlregularien, die Düngeverordnung, „eine ganz andere Situation auf dem Markt“. Der wiederum wächst in Europa nur noch auf irischen Weiden und in manch osteuropäischen Staaten. In Deutschland aber machen Höfe dicht, weil die Milchwirtschaft für sie unattraktiv geworden ist und Nachfolger fehlen. Seit Kurzem sinkt die Milchmenge hierzulande.

Selbst der Sohn von Butterbörsenchef Rück hat sich gegen eine Molkereikarriere in vierter Generation entschieden. Er ist Lehrer geworden. 

„Es isch eine schwierige Situation“, sagt Rück. Er weiß: Auf lange Sicht werden sie bei der Butterbörse in ihren mittwöchigen Notierungsrunden die Preise nach oben setzen müssen. Meggle für über drei Euro? Das könnte normal werden. Deutschland stehen schwere Zeiten bevor.

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