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Dachau: Wie der NS-Terror begann und was die Erinnerung lehrt

Nationalsozialismus

Schule für Massenmörder: In Dachau nahm der KZ-Terror seinen Anfang

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    Die KZ-Gedenkstätte Dachau wird von rund 900.000 Menschen im Jahr besucht. Neben Deutschen kommen viele Menschen aus dem englischsprachigen Raum.
    Die KZ-Gedenkstätte Dachau wird von rund 900.000 Menschen im Jahr besucht. Neben Deutschen kommen viele Menschen aus dem englischsprachigen Raum. Foto: Stefan Müller-Naumann

    Wer in diesen Tagen durch das berüchtigte Tor gehen will, der wird von einem Schild gewarnt: Rutschgefahr. Vor mehr als acht Jahrzehnten empfing die Menschen hier die zynische Inschrift „Arbeit macht frei“. Hinter dem Gitter der heutigen KZ-Gedenkstätte Dachau warteten Erniedrigung, Hunger, Prügel und der Tod auf sie.

    Vor 80 Jahren dann begann in Auschwitz die Befreiung der Konzentrationslager, in denen die Nazis Millionen Menschen quälten und ermordeten. In Dachau findet deshalb an diesem Donnerstag eine Gedenkveranstaltung statt, unter den Gästen ist Herzog Franz von Bayern. Der Urenkel des letzten bayerischen Königs wurde als Kind zusammen mit weiteren Wittelsbachern im Bereich des SS-Lazaretts als Geisel der Nazis festgehalten.

    „Vorsicht Rutschgefahr“: Der Eingang zur KZ-Gedenkstätte Dachau am Mittwoch. Hinter dem Schild befindet sich das berüchtigte Tor mit der zynischen Inschrift „Arbeit macht frei“.
    „Vorsicht Rutschgefahr“: Der Eingang zur KZ-Gedenkstätte Dachau am Mittwoch. Hinter dem Schild befindet sich das berüchtigte Tor mit der zynischen Inschrift „Arbeit macht frei“. Foto: Christoph Frey

    Das KZ Dachau diente als Modell für all die anderen Konzentrationslager, die danach kamen – und der SS als Ausbildungsstätte. In der neben dem Häftlingsbereich gelegenen Garnison wurden SS-Führer und Wachtruppen ideologisch und militärisch gedrillt. In Dachau lernten die Massenmörder. „Dachau – die Bedeutung dieses Namens ist aus der deutschen Geschichte nicht auszulöschen. Er steht für alle Konzentrationslager, die Nationalsozialisten in ihrem Herrschaftsbereich errichtet haben.“ Dieser Satz des Publizisten und Holocaust-Überlebenden Eugen Kogon findet sich am Eingang zur KZ-Gedenkstätte. Sie ist heute die meistbesuchte Deutschlands. Mindestens 900.000 Menschen im Jahr kommen hierher.

    Dachau diente als Modell für andere Konzentrationslager

    Neben Deutschen sind es viele aus dem englischsprachigen Raum, auch aus Italien sind regelmäßig Gruppen da. Die Hälfte der Besucher sind Schulklassen, und eines hat Gabriele Hammermann festgestellt: „Das Wissen nimmt ab.“ Die Historikerin leitet die KZ-Gedenkstätte, die in den kommenden Jahren erweitert und erneuert wird. Rund um die rekonstruierten Häftlingsbaracken soll ein neues Bildungs- und Ausbildungszentrum entstehen. Denn auch die Fragen, die die Besucherinnen und Besucher haben, wandeln sich im Laufe der Zeit.

    Schon im März 1933 sperrten die Nazis auf dem Gelände einer früheren Pulver- und Munitionsfabrik vor den Toren Münchens politische Gegner ein, das Morden begann bald danach. Mehr als 200.000 Gefangene aus über 40 Nationen waren bis 1945 im KZ Dachau und seinen 140 Außenlagern inhaftiert, mindestens 41.500 Menschen starben an Hunger, Krankheiten, Folter und den Folgen der KZ-Haft oder wurden ermordet. Als Zwangsarbeiter mussten sie für Hitlers Rüstungsindustrie schuften, beispielsweise in den Wäldern rund um Augsburg oder im KZ Kaufering bei Landsberg, einem der größten Außenlager. Deren Erforschung ist laut Hammermann nach wie vor ein wichtiges Thema.

    Den Befreiern boten sich grauenvolle Bilder

    Als US-Truppen am 29. April 1945 am Lager Dachau ankommen, bietet sich ihnen ein Bild des Grauens. Sie stoßen auf einen Zug voller toter und sterbender Menschen, die aus dem KZ Buchenwald hergekarrt worden waren. Auf der Fahrt waren sie verhungert oder von SS-Männern erschossen worden. Im Lager selbst, ursprünglich für 6000 Gefangene ausgelegt, sind 30.000 Menschen zusammengepfercht. Bilder aus US-Archiven zeigen übereinandergestapelte nackte Leichen, darunter eine Blutlache, ein offener Güterwaggon voller Toter.

    Die US-Soldaten erschießen völkerrechtswidrig rund 50 SS-Bewacher, weitere werden gefangen genommen. Noch 1945 beginnen auf dem KZ-Gelände, wo mutmaßliche NS-Verbrecher interniert werden, die sogenannten Dachauer Prozesse gegen die KZ-Schergen. In fast 500 Verfahren fällen US-Militärrichter mehr als 400 Todesurteile, von denen 268 in Landsberg vollstreckt werden.

    Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann sagt: „Das Wissen nimmt ab.“
    Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann sagt: „Das Wissen nimmt ab.“ Foto: Viktor Jordan

    Diesen Prozessen widmete die KZ-Gedenkstätte zuletzt eine Sonderausstellung. Die Gerichtsakten werden digital erfasst und wissenschaftlich ausgewertet. Man stelle ein großes Interesse an der Nachkriegszeit fest, erzählt Gedenkstättenleiterin Hammermann. Dazu zählt auch die Geschichte der Gedenkstätte selbst. Zehn Jahre lang kämpften ehemalige Häftlinge für diese. Errichtet wurde sie 1965 auf dem Gelände, auf dem früher die Häftlingsbaracken standen. Die SS-Kaserne belegte zunächst die US-Armee, Mitte der 1970er-Jahre zog die bayerische Bereitschaftspolizei ein.

    Nazi-Terror: Was wussten die Deutschen damals?

    Ausländische Besucher fragen laut Hammermann oft: „Was wusste die deutsche Bevölkerung damals von den Verbrechen in den Konzentrationslagern?“ Die nüchterne Antwort der Historikerin: „Sehr viel bis das Meiste.“

    Rund zweieinhalb Stunden dauert eine Führung über das Gelände. Anhand von Einzelschicksalen wird erklärt, was sich in Dachau abspielte. Immer wieder taucht auch die Frage auf: „Wie konnte es nur so weit kommen?“ Das treibe Besucher gerade vor dem Hintergrund der gegenwärtigen politischen Situation um, sagt Hammermann. „Bei uns wird die Zerbrechlichkeit der Demokratie in sehr vielen Erzählsträngen deutlich.“ Das „Nie wieder“, das Zehntausende vor einem Jahr bei den Demonstrationen gegen Rechts riefen – in Dachau findet es sich in fünf Sprachen am internationalen Mahnmal.

    Rund 140 Menschen arbeiten in der Gedenkstätte, es gibt an die 70 speziell geschulte Referenten für Rundgänge. Der Befreiung des Lagers und seiner damals 32.000 Insassen soll im Mai gedacht werden, 80 Jahre danach ist eine Reihe von Themenführungen vorgesehen. Zudem betreibt die Gedenkstätte, die von der staatlichen Stiftung Bayerische Gedenkstätten unterhalten wird, eine sehr ausführliche Internetseite. In diesem digitalen Raum spielt sich, so Hammermann, auch Unerfreuliches ab: Immer wieder komme es vor, dass die Opfer der Nazis verhöhnt und verunglimpft würden. Die Gedenkstätte dagegen werde selten Bühne offener Provokationen. Nach wie vor rätselhaft ist, wer vor rund zehn Jahren das Eingangstor gestohlen hat. Es tauchte erst zwei Jahre später in Norwegen wieder auf.

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