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Interview: Klimaforscher: "Die Starkregenereignisse werden zunehmen"

Interview

Klimaforscher: "Die Starkregenereignisse werden zunehmen"

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    Dunkle Wolken am Horizont: Starkregenereignisse werden künftig zunehmen.
    Dunkle Wolken am Horizont: Starkregenereignisse werden künftig zunehmen. Foto: Julian Stratenschulte, dpa

    In Bayern gab es schon mehrere Hochwasser. Hat Sie das Ausmaß der aktuellen Flut überrascht?

    Prof. Harald Kunstmann: Nein. Denn diese sogenannte Fünf-b-Wetterlage ist bekannt. Die letzten ganz großen Hochwasser waren davon geprägt, etwa in Bayern das Pfingsthochwasser im Jahr 1999, das Alpenhochwasser 2005 oder das Donauhochwasser 2013. Das waren alles ähnliche Wetterlagen. Insofern hat es mich nicht überrascht. Und auch der Zeitpunkt nicht. Das Hochwasser 1999 war in etwa zur gleichen Zeit, ebenso das Donauhochwasser 2013.

    Warum ist diese Fünf-b-Wetterlage denn so problematisch?

    Kunstmann: Grundsätzlich basiert diese Wetterlage darauf, dass große Wassermassen durch ein Tiefdruckgebiet im Mittelmeer angesaugt werden. Tiefdruckgebiete ziehen auf der Nordhalbkugel ja gegen den Uhrzeigersinn und so werden diese sehr feuchten Luftmassen aus dem Süden über die Alpen Richtung Osten und dann nach Deutschland transportiert. Wenn diese feuchten Luftmassen auf kalte Luftmassen aus dem Norden treffen, entstehen großräumig starke Niederschläge – die eben auch extrem sein können. 

    Warum sind denn die Luftmassen so feucht, die da bei einer solchen Wetterlage nach Deutschland kommen?

    Kunstmann: Das Wasser der Luftmassen stammt aus verdunstetem Wasser aus dem Mittelmeer, dem Ort des Tiefs bei dieser Wetterlage. Was dieses Mal hinzukommt: Das Mittelmeer ist seit über einem Jahr extrem warm, insofern konnte beim jetzigen Hochwasser besonders viel Wasser verdunsten und von der Atmosphäre besonders gut in gasförmiger Form aufgenommen werden. Denn je wärmer das Wasser ist, desto leichter kann es verdunsten, und je wärmer die Luft ist, desto mehr Wasserdampf kann die Atmosphäre „tragen“.

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    Überflutete Häuser, gesperrte Straßen und Brücken: Das Hochwasser richtet am Samstag und Sonntag in der Region große Schäden an. Fotos aus ganz Schwaben.

    Wie häufig sind solche Wetterlagen?

    Kunstmann: Wir haben das wissenschaftlich untersucht und man sieht, dass diese Wetterlagen- bzw. Luftdruckkonstellation, wie ich sie gerade beschrieben habe, häufiger geworden ist in den letzten Dekaden. Sie nimmt sogar statistisch signifikant zu. Das bedeutet: Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Zunahme des Druckmusters zufällig ist, ist sehr gering. Es ist die globale Erwärmung, die diese Zunahme am besten erklärt.

    Und in Zukunft wird das noch öfter vorkommen?

    Kunstmann: Ja. Wenn wir mit Computermodellen z.B. bis ins Jahr 2050 schauen, dann sehen wir bei einer steigenden Treibhausgaskonzentration ganz klar, dass die Starkregenereignisse zunehmen werden. Die zunehmenden Treibhausgase und die damit verbundene weitere globale Erwärmung sind die Ursache.

    Klimaforscher Professor Harald Kunstmann.
    Klimaforscher Professor Harald Kunstmann. Foto: Fotostelle Uni Augsburg

    Damit hätten wir den Bogen zum Klimawandel geschlagen und zur Frage, welche Rolle er bei solchen extremen Wetterereignissen spielt.

    Kunstmann: Die Veränderungen, die wir beim Niederschlag sehen, sind hauptsächlich dem Klimawandel zuzuschreiben. Damit aber aus einem Niederschlag ein Hochwasser wird, eine Überschwemmung, eine Katastrophe am Boden also, da kommen weitere Faktoren hinzu. Vor allem die Oberflächeneigenschaften: Es spielt etwa eine Rolle, wo wir wie viel versiegelt haben, welche baulichen Veränderungen vorgenommen wurden. Ebenso spielt eine Rolle, ob die Böden vorher schon gesättigt waren, ob noch eine Schneeschmelze stattgefunden hat. Diese Faktoren haben natürlich mit dem Klimawandel nichts zu tun. Vereinfacht kann man sagen: Alle langfristigen Veränderungen in der Atmosphäre hängen primär mit dem Klimawandel zusammen, aber für die direkten Auswirkungen am Boden gibt es viele weitere Einflüsse. Und deswegen ist es ja auch nicht so, dass jeder große Niederschlag direkt in einer Katastrophe endet. 

    Ist es aktuell so schlimm gewesen, weil die Böden so gesättigt waren?

    Kunstmann: Ja, die Böden waren stark gesättigt, weil wir eben um Pfingsten herum schon ausgiebige Niederschläge hatten. Und jetzt, zwei, drei Wochen später, hat es nochmals draufgeregnet. Insofern spielte die Bodensättigung eine große Rolle. Aber man muss schon auch sagen: Bei diesen Niederschlagsmengen, in manchen Regionen waren es pro Tag mehr als 100 Liter pro Quadratmeter, da haben in der Regel auch nicht gesättigte Böden große Probleme damit, die Wassermassen aufzunehmen. 

    Wenn man weiß, dass solche Ereignisse zunehmen – was müsste dann jetzt passieren? Oder ist man erst einmal machtlos?

    Kunstmann: Es geht beim Klimaschutz um zwei Säulen. Die eine ist die Minderung der Treibhausgase, die andere ist die Klimaanpassung. Um dem grundsätzlichen Problem Herr zu werden, bleibt uns nichts anderes übrig, als weltweit die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Alles andere, also die Anpassung, bleibt das Kurieren von Symptomen. Wenn Sie einen gebrochenen Arm und Schmerzen haben, dann nehmen Sie auch nicht nur eine Schmerztablette, sondern lassen sich operieren. Die Operation wäre die Emissionsreduktion, die Schmerztablette die Anpassung. Wir brauchen beides. Aber Anpassung alleine genügt nicht, weil sie nichts an der Ursache des Problems ändert. Wir können mit Anpassungsmaßnahmen Schäden vermindern, sie kleiner halten, aber grundsätzlich müssen wir von den Emissionen runter. Aber diese Emissionsminderung fällt uns schwerer, als uns anzupassen. Das hat meiner Meinung nach psychologische Gründe. Wir profitieren bei der Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen direkt, bei der Emissionsminderung aber nur indirekt, weil alle weltweit parallel auch reduzieren müssen. Wenn ich z.B. in die Hochwasser-Ertüchtigung meines Hauses investiere, etwa in einen höheren Kellerschacht, dann habe ich direkt was von meinem eingesetzten Geld. Wenn ich Emissionen reduziere, habe ich erstmal keinen direkten persönlichen Vorteil davon.

    Wenn wir darüber reden, was getan werden müsste, dann müssen wir auch über Regionen sprechen, die überhaupt gefährdet wären. Wie sieht da die Lage in Bayern aus?

    Kunstmann: Unsere neuesten Klimasimulationen zeigen, dass wir im südlichen Bayern mit steigenden Starkregenereignissen rechnen müssen. Im Norden von Bayern nehmen hingegen eher die Dürre-Risiken zu. Bayern ist, was unsere Ergebnisse angeht, tatsächlich zweigeteilt, wenn es ums Wasser geht. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass es nicht auch in Würzburg oder Nürnberg heftig regnen kann.

    Im Süden Bayerns war es jetzt ja so, dass nicht die großen Flüsse das Problem waren, sondern eher kleinere wie die Paar oder die Schmutter. Warum?

    Kunstmann: Man muss wissen, dass uns die Vorhersage des Wasserstandes für große Flüsse viel leichter fällt als für kleine. Man kann vergleichsweise einfach abschätzen, wann eine Scheitelwelle in Passau ankommt, weil man weiß, wann sie vorher in Regensburg ist und wann in Ingolstadt. Bei den kleinen Flüssen ist das anders. Da müssen wir tatsächlich sehr viele Details über die Region wissen. Wie ist der Boden? Wie ist die Vegetation? Liegt noch Schnee? Wie viel ist versiegelt? Wie sehen die Fließpfade aus? Und diese Informationen hat man in der Regel nicht. Bei kleinen Flüssen kommt hinzu, dass das Wasser nur kurz unterwegs ist – und dann habe ich natürlich auch nur geringe Vorwarnzeiten, weil kleine Flüsse viel schneller reagieren als die großen. Und dann gibt es in Bayern natürlich sehr viele kleine Flüsse und Bäche. Und zu all diesen bräuchten wir weit mehr Daten und mehr Wissen.

    Wird dazu geforscht?

    Kunstmann: Wir versuchen in der Forschung, diese sogenannten Erdsystemprozesse mit Computermodellen abzubilden. Wir nennen das Erdsystem-Modelle, und diese Abbilder bezeichnen wir als digitale Zwillinge. Mit diesen Modellen kann man grundsätzlich für solche Regionen bessere Vorhersagen machen. Aber: Sie sind sehr aufwändig. Und es bleiben immer Unbekannte. Wir können ja nicht in den Boden hineinschauen. Wir müssten Meter für Meter wissen, wie der Boden beschaffen ist, wo Sand, Lehm, Ton ist, wo Fließpfade sind. Weil wir das nicht können, müssen wir Annahmen treffen und damit sind Unsicherheiten verbunden. 

    Stichwort "in den Boden schauen": Wie sieht es denn jetzt nach dem starken Regen mit dem Grundwasser aus?

    Kunstmann: Die oberen Grundwasserstockwerke reagieren da natürlich schnell, da sieht es jetzt bayernweit ganz gut aus. Aber die unteren Stockwerke haben vom Regen nichts mitbekommen. Der Großteil des Wassers ist sehr schnell oberflächlich abgeflossen. Damit sich das Grundwasser anreichert, müsste der Regen über Wochen und Monate hinweg am besten recht gleichmäßig verteilt sein. Ein kurzes Regenereignis, auch wenn es so extrem ist wie nun, hilft der Grundwasseranreicherung leider wenig.

    Und da ja davon auszugehen ist, dass vor allem die einzelnen Starkregenereignisse zunehmen, wird das Grundwasserproblem wohl bleiben, oder?

    Kunstmann: Ja, wir werden mit dem Wechsel aus Dürre und Starkregen leben müssen, mit diesen beiden Extremen, und mit den damit verbundenen Problemen fürs Grundwasser. Deswegen ist klar: Die Planung in der Wasserwirtschaft wird sich angesichts des Klimawandels neu aufstellen, das passiert aber bereits.

    Zur Person: Professor Dr. Harald Kunstmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Regionales Klima und Hydrologie sowie Gründungsdirektor des Zentrums für Klimaresilienz der Universität Augsburg und stellvertretender Direktor des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung des KIT-Campus Alpin in Garmisch-Partenkirchen.

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