
Selbst wenn dann der Tag der Corona-Krisen-Überwindung gekommen ist: Die Künste werden dort nicht anknüpfen können, wo es schlagartig für sie abbrach.
Es wird dauern, aber es wird der Tag kommen, an dem die Corona-Seuche – unter welchen Opfern auch immer – überwunden ist. Aber wenn dieser Tag anbricht, wird die reiche, vielfältige Szene der Kulturnation Deutschland mit ihrer außerordentlich hohen Dichte an Theatern, Museen, Orchestern, Kunstvereinen und Kinos deutlich zusammengesackt und verarmt sein. Zusammengesackt und verarmt trotz mutmaßlicher Staatshilfen vor allem innerhalb jener alternativen Bühnenszene mit vielen freien Künstlern, in der sowieso schon von der Hand in den Mund gelebt und gearbeitet wurde, in der innerer Überzeugung gemäß Kunst und Kultur um der Sache willen geschah – selten in der Hoffnung, damit Rücklagen bilden zu können, gar großen finanziellen Gewinn zu machen.
Es wird ein Trauerspiel geben; nur die Widerstandsfähigen werden überleben, viele werden kapitulieren und andere Arbeit annehmen müssen. Selbst die professionellen Bühnenkünstler, die jetzt noch Ein- oder Zweijahresverträge haben, werden damit rechnen müssen, allenfalls Projektverpflichtungen von städtischen Bühnen, Landes- und Staatstheatern angeboten zu bekommen, da drastisch gespart werden muss, weil damit zu rechnen ist, dass in großem Einverständnis zwischen Politik und Volk erst einmal anderes vorrangig ist.
Auswirkungen von Corona: Selbst festangestellte Künstler müssen mit Einschnitten rechnen
Etwa der Aufbau eines Gesundheitssystems, das in personeller und technischer Ausstattung nicht auf Kante genäht ist. Kleinere öffentlich geförderte Bühnen und Orchester schrumpften und starben in den vergangenen 30 Jahren allein schon durch die finanziellen Folgen der Wiedervereinigung; blauäugig wäre die Annahme, nach Corona komme es anders. Selbst fest angestellte Künstler im Öffentlichen oder öffentlich-rechtlichen Dienst (Rundfunkanstalten!) werden mit Einschnitten rechnen müssen.

Wie aber wohl wird der Tag der Corona-Überwindung aussehen? Wird es gleichsam so sein, dass die Menschen – wie nach dem Zweiten Weltkrieg geschehen – Kohle in den Konzertsaal mitbringen, da sie kulturell ausgehungert sind und solidarisch anpacken, um Bach und Beethoven tatsächlich zu erleben – und nicht nur per Konserve zu hören? Wird dann erst mal landauf, landab Sophokles’ „Ödipus“ auf dem Spielplan stehen? Weil wir uns nämlich – wie der König von Theben – durch eine Seuche veranlasst sehen, unsere eigene Vergangenheit und Verantwortung kritisch unter die Lupe zu nehmen.
Nie waren die Künste wichtiger für die Gesellschaft
Bis besagter Tag gekommen ist, wird jedenfalls auf jene Momente zu verzichten sein, in denen von einem Auditorium der Fall einer Stecknadel gehört werden würde, und jene Momente, da ein kollektives Glücksstöhnen unüberhörbar ist, weil das Intro zum beliebtesten unter allen beliebten Songs einer Sängerin angestimmt wird.
Diese unmittelbaren Momente werden, bis der Tag kommt, nicht zu erleben sein – stattdessen nur mittelbare, verkleinerte, neutralisierte, eindimensionale Kunst auf dem Bildschirm und Screen. Aber auch ohne direkte Aura: Seien wir froh, dass wir jedenfalls das haben – gestreamt vom Club bis zur Staatsoper als praktische Lebenshilfe und sinnvolle, ja bildende Beschäftigung zu Hause – im Übrigen unter Verzicht auf Urheber- und Leistungsschutzrechte!
Nie seit den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Künste wichtiger für die Gesellschaft – und dies nicht nur hierzulande. Weniger, weil die Künste in tragischer Situation – bedingt – trösten können, sondern viel mehr, weil sie in zerstörerischer Zeit mit ihren wie auch immer gearteten Schönheiten traditionell für das Konstruktive der conditio humana stehen.
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Die Diskussion ist geschlossen.
Sport, Turn-, Schützen- und Trachtenverein, Kleingärtner, Fischer, Taubenzüchter, Wanderfreunde, Skifahrer etc. alle wollen Unterstützung, warum nicht auch die Kunst?
Wenn jetzt noch die Industrie, die Handwerker, der Handel usw. ihre Forderungen vorlegen, kommt der Staat mit dem Gelddrucken gar nicht mehr nach.
Ja, Kunst professionell als Beruf zu machen war schon immer ein Risiko in schlechten Zeiten. Deshalb sollte man sich das auch genau überlegen. Aber man kann ja auch in der Freizeit malen, zeichnen, entwerfen, bauen, schauspielern, musizieren, Ton kneten, schweißen, schnitzen, spachteln, programmieren, nähen, tanzen, schreiben, lesen, drucken usw.
Übrigens ist Kunst auf einem Bildschirm mindestens zweidimensional, denn der hat eine Höhe und eine Breite, und wenn man sich ein Video oder einen Live-Stream erstellt/reinzieht, kann man die Zeit als Quasi-Dritte-Dimension ansehen.
So, jetzt bastle ich weiter an meiner quasi-vierdimensionalen, immersiven VR-Welt und unterdrücke mein Glücksgefluche, wenn im Radio das Intro zum beliebtesten unter allen beliebten Songs einer Sängerin angestimmt wird - Atemlos durch die Nacht.
Leider ist Ihre Beschreibung zum Zustand der Kulturnation zutreffend.
In Augsburg ist die Situation schon vor der Corona-Krise kritisch gewesen.
Warum? Durch die Schließung des Reese Areals mussten und müssen viele Künster eine neue Bleibe finden.
Das von der Stadt Augsburg betriebene Gaswerk Areal ist da nur ein Tropfen auf dem heißen Stein und die Szene in der Sommestraße wurde eher als störend empfunden.
Auch seitens der Augsburger Allgemeinen, Hitradio RT1, Radio Fantasy und Augsburg TV gab es all zu selten Berichte und Unterstützung.
Bei den oben genannten Radiosendern gibt es nicht mal eine Sparte für die lokalen Musiker! Hier ging es die letzte Zeit nur um die eigenen Interessen und dem Profit.
Jetzt brechen auch die Einnahmen für gerade gestartete Online-Konzerte weg, da sich eine Gruppe von mehr als zwei Personen wohl nicht treffen darf.
Hier gibt es eine klaren Vorgaben und dadurch traut sich keiner mehr, auch sogar als Berufsmusiker oder Gewerbeteibende.
Es ist an der Zeit, dass seitens der Staddt, den lokalen Medien und der lokalen Presse ein Umdenken stattfindet und endlich eine für die Region passende Unterstützung stattfindet, damit auch wir eine Chance zum Überleben haben. Für unsere Räume müssen wir ja auch weiterhin Miete zahlen und wenn das wegfällt, gibt es auch keine Bands oder Ateliers mehr.
Von Eva Weber und ihrer Partei brauchen wir wohl da keine Hilfe erwarten.
"Es ist an der Zeit, dass seitens der Stadt, den lokalen Medien und der lokalen Presse ein Umdenken stattfindet und endlich eine für die Region passende Unterstützung stattfindet, damit auch wir eine Chance zum Überleben haben."
Wünschenswert wäre neben den Medien auch endlich ein Umdenken bei Sponsoren - statt immer nur den Profifußball zu pampern auch mal den vielen bildenden und darstellenden Künstlern unter die Arme zu greifen (an Helene Fischer und Andrea Berg denke ich bei letzteren allerdings weniger) . . .