Aus mehr als 400 Studien hat ein Forschungsteam aktuelle Herausforderungen und Probleme beim Ausbau der Windenergie weltweit herausgearbeitet. „Die größte Herausforderung ist die fehlende Akzeptanz für Windkraftanlagen“, sagte Hauptautor Russell McKenna von der ETH Zürich, Experte für Energiesystemanalyse. Gerade in Europa seien zudem langwierige Genehmigungsverfahren ein großes Hindernis.
Im Jahr 2022 machte Windenergie 7,5 Prozent der weltweiten Stromerzeugung aus, wie es in der im Fachblatt Joule vorgestellten interdisziplinären Analyse heißt. „Die Windenergie ist eine der am schnellsten wachsenden, ausgereiftesten und wettbewerbsfähigsten Technologien für erneuerbare Energien.“ In vielen Ländern sei sie ein Eckpfeiler der Energie- und Klimastrategie und habe bereits einen beträchtlichen Anteil an der Stromerzeugung. Prognosen zufolge könne sie bis Mitte des Jahrhunderts die Hälfte des weltweiten Strombedarfs decken.
„Trotz der jüngsten Fortschritte stößt die weitere Verbreitung der Windenergie auf erhebliche und in einigen Fällen neuartige Hindernisse“, heißt es in dem Übersichtsbeitrag aber auch. Für die langwierigen Genehmigungsverfahren zum Beispiel gebe es vielfältige Gründe wie immer komplexere formale Anforderungen und unklare Zuständigkeiten. „Unterbesetzte Behörden und überlastete Justizsysteme, die nicht alle Fälle bearbeiten können, verschärfen das Problem, zumal Anti-Windkraft-Bewegungen zunehmend Rechtsstreitigkeiten nutzen, um Projekte zu verhindern.“
Ein Fünftel der Windparks in Deutschland führte zu Rechtsstreitigkeiten
In Deutschland war demnach ein Fünftel der Windparks Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten. Mit dem zunehmenden Ausbau nehme das Konfliktpotenzial noch zu, weil unstrittige Standorte immer rarer würden. Die durchschnittliche Zeit von der Beantragung der Genehmigung bis zur Realisierung habe sich in Deutschland von 20 Monaten im Jahr 2011 auf 49 Monate im Jahr 2022 erhöht. Im europäischen Vergleich sei das immer noch vergleichsweise schnell: „Kein Land erfüllt die EU-Vorgabe von 24 Monaten.“
Inzwischen gebe es regulatorische Änderungen, um das Problem zu entschärfen, etwa bei der EU-Richtlinie zu erneuerbaren Energien. Diese müssen demnach bei der Abwägung rechtlicher Interessen in Genehmigungsverfahren und bei Rechtsstreitigkeiten als vorrangiges öffentliches Interesse betrachtet werden. Zudem würden spezielle „Beschleunigungsgebiete“ für den Ausbau erneuerbarer Energien festgelegt. Die Wirksamkeit und langfristige Akzeptanz von Schnellgenehmigungen und Sondergebieten bleibe aber abzuwarten.
Profitiert die Gemeinde, lässt sich die Ablehnung häufig mindern
Das Problem gleiche dem bei der bestehenden Netzinfrastruktur: Die Menschen wollten und verließen sich darauf, dass der Strom aus der Steckdose kommt – doch die Masten in der Landschaft würden nicht immer akzeptiert. „Menschen wollen die (Energie-)Dienstleistung, aber das „Problem“ der Auswirkungen soll woanders liegen.“ Auch bei den Windkraftanlagen sei die allgemeine Akzeptanz in der Bevölkerung hoch – auf lokaler Ebene gebe es bei geplanten Projekten aber oft Widerstand.
Mindern lasse sich die Ablehnung häufig, wenn die betroffene Gemeinde von den Anlagen profitiere, etwa durch finanzielle Beteiligung oder lokal geschaffene Arbeitsplätze. Oft mangele es auch schlichtweg an Aufklärung. So werde als Problem für Menschen oft tieffrequenter Lärm, also Infraschall genannt, der vermeintlich zu Irritationen führen und sogar Gegenstände in Häusern zum Vibrieren bringen könne.
„In der Forschung gibt es jedoch nur eine uns bekannte Studie, die eine bestimmte Windkraftanlage untersucht hat, und das war vor etwa drei Jahrzehnten, als gerade die ersten Prototypen gebaut wurden“, heißt es in Joule. „Bei den heutigen Anlagen ist kein Zusammenhang mit tieffrequentem Lärm mehr nachweisbar, das ist aber noch nicht in das allgemeine Wissen eingedrungen.“
Eines der Probleme: Wie kann man die Rotorblätter recyceln
Angenommen werde häufig auch, dass technisch-wirtschaftliche Herausforderungen bedeutende Hindernisse für den Ausbau der Windenergie seien – dabei gebe es in diesem Bereich inzwischen eine Fülle von Lösungen. Hingegen stellten die Auswirkungen auf Tier- und Pflanzenwelt und das Recycling zunehmende Probleme dar, für die es oft noch keine erprobten und skalierbaren Lösungen gebe.
Bis 2030 dürften den Forschenden zufolge weltweit etwa 60.000 Windturbinen das Ende ihrer Lebensdauer erreichen, zwei Drittel davon in Europa. Aktuell und absehbar auch künftig gebe es nur eine minimale Wiederverwendung und Umnutzung alter Turbinen, während das Recycling der Stahltürme und Getriebe bereits gut etabliert sei.
Die derzeit verwendeten Rotorblätter von Windkraftanlagen können mehr als 50 Meter lang sein und über 25 Tonnen wiegen. Ihre Haltbarkeit ist begrenzt – mit Reparaturen gelten etwa 20 Jahre als möglich. Gerade die größten Rotorblätter sind sehr hohen Belastungen ausgesetzt. Nach einer 2022 vorgestellten Studie des Umweltbundesamtes (UBA) sind für die 2030er-Jahre beim Rückbau von Anlagen jährlich bis zu 50.000 Tonnen an Rotorblatt-Abfällen zu erwarten.
Ein Rotorblatt besteht üblicherweise aus zwei miteinander verklebten Halbschalen aus Faserverbundstoffen – Glas- oder Carbonfasern vermischt unter anderem mit Epoxid- und Vinylharzen. Sie machen dem UBA zufolge mindestens 70 Prozent des Gewichts aus. Hinzu kommen Metalle wie Eisen, Kupfer, Aluminium und Blei sowie Schäume, Balsa-Holz und Lacke.
Fast alle Rotorblätter werden derzeit mangels anderer Möglichkeiten am Ende ihrer Lebensdauer in Deponien oder inoffiziellen „Zwischenlagern“ entsorgt, wie das Team um McKenna erläutert. Ein Problem für das Recycling stelle unter anderem das Faserbindemittel dar. „Da duroplastische Kunststoffe wie Epoxidharz oder Polyester nicht schmelzen, ist eine Rückgewinnung der Fasern kaum möglich.“
Bei neueren Rotorblättern sehe es bereits etwas besser aus, da große Hersteller nun ein Harz verwendeten, das sich am Ende der Lebensdauer auflöse, sodass die Fasern in 20 Jahren leichter wiedergewonnen werden könnten. „Letztlich sind solche Belastungen immer gegen die positiven Nebeneffekte des Windenergieausbaus abzuwägen – einer davon ist die Abkehr von fossilen Energieträgern.“
So wirken sich die Anlagen auf die Tierwelt aus
In der Tierwelt wirkt sich der Ausbau der Windenergie McKennas Team zufolge an Land in erster Linie auf Vogel- und Fledermauspopulationen aus. Offshore-Anlagen, bei denen Stahlpfähle in den Meeresboden gerammt werden, verursachten Unterwasserlärm, der Schweinswale, Wale, Delfine und Robben beeinträchtige. „Ungeachtet dieser Beobachtungen sind die Ge-samtauswirkungen der Windenergienutzung auf die Tierwelt wesentlich geringer als die der Nutzung fossiler Brennstoffe, auch wenn solche Vergleiche in der Regel methodisch schwierig sind.“ Die 24 Koautoren aus verschiedenen Institutionen gehen in ihrer Analyse auch auf geopolitische Aspekte und Cyberbedrohung ein. Die zunehmenden Investitionen Chinas in den europäischen Energiesektor und in Windenergieprojekte werfen demnach politische, wirtschaftliche und nationale Sicherheitsbedenken auf. Auch in Zentralasien und Afrika nutze China den Aufbau als geopolitisches Druckmittel. „Dies kann zwar eine Chance für Entwicklungsländer mit begrenzten finanziellen Mitteln zum Aufbau von Windkapazitäten sein, schafft aber auch starke Abhängigkeiten und Risiken.“ (Annett Stein, dpa)
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