Eklat um die Festspiele? Die Kritik an Bayreuth ist einseitig

27.07.2022

Sexismus-Vorwürfe belasten den Beginn der Bayreuther Festspiele. Chefin Katharina Wagner gilt als überfordert. Dabei hat sie für Erneuerung gesorgt.

Bayreuth-Bashing, das Kritteln an den Wagner-Festspielen ist eine Kultursportart, die hierzulande gerne betrieben wird. Zu elitär, zu teuer, zu undurchsichtig lauten die regelmäßigen Einwürfe. In diesem Sommer kommen noch Sexismus-Vorwürfe obendrauf. Genaues weiß allerdings noch nicht mal die Staatsanwaltschaft, die nun „gegen unbekannt“ Ermittlungen eingeleitet hat. Der Kultursommer hat jedenfalls ein Bayreuth-Thema, an dem er sich abarbeiten kann.

Eine von vielen Baustellen: Das Festspielhaus Bayreuth muss saniert werden

Dass die Wagner-Festspiele generell einen dankbaren Boden dafür abgeben, liegt an ihrer Geschichte. Bayreuth gehörte zu jenen Kulturinstitutionen, die schamlos hinter Hitler standen. Nach Kriegsende gelang zwar der Neustart unter dem Schlagwort „Neu-Bayreuth“. Ganz frei von Kritik blieben die Festspiele aber auch in bundesrepublikanischen Zeiten nicht, und keineswegs nur, was den Umgang mit der eigenen Vergangenheit betraf. Aus der Zeit gefallen schien auch das dynastische Prinzip, wonach an der Spitze der Festspiele stets ein Mitglied der Familie Wagner zu stehen habe. Seit 2008 ist es – zunächst noch zusammen mit ihrer Halbschwester, inzwischen allein – Katharina Wagner; ihr aktueller Vertrag als Festspielleiterin läuft bis 2025.

So weit, so einfach. In Bayreuth aber ist alles ein bisschen komplizierter. Das Festspielhaus muss saniert werden, das Geld kommt hauptsächlich vom Bund und vom Freistaat, die aber eben deshalb die Hand auf dem Haus haben wollen, welches hingegen erbrechtlich im Besitz der Familie Wagner verbleiben muss, die wiederum ein Mitbestimmungsrecht bei der Leitung der Festspiele hat. Das Ganze stellt sich als Vertragsknäuel dar, wie es auch den „Ring“-Göttervater Wotan hätte aufstöhnen lassen. Das aber nun mal den komplizierten Untergrund darstellt, auf dem die meiste Bayreuth-Nörgelei (die immer auch die Festspielleitung in Haftung nimmt) sich als unterkomplex erweist.

Katharina Wagner hat sich um die Bayreuther Festspiele verdient gemacht

Keine Frage: Dem wenige Tage vor Festspielbeginn durch Medienberichte bekannt gewordenen Sexismus ist nachzugehen, er ist zu ahnden. Dass – wohlgemerkt beim derzeitigen Stand der Dinge – die Vorfälle jedoch rundheraus als Führungsschwäche der Chefin gedeutet werden (unterm Tisch also eine Nichtverlängerung ihres Vertrags nahelegen), ist vorschnelle Spekulation. Und verkennt, dass Katharina Wagner sehr wohl ihre Verdienste daran hat, die landläufig noch immer als Bollwerk des Konservativen verschrieenen Festspiele in neuere Zeiten zu führen: durch moderne (auch eigene) Regiekonzepte, durch Dirigentinnen am Orchesterpult, durch die Einrichtung einer ständigen Ausstellung verfolgter und ermordeter überwiegend jüdischer Wagner-Interpreten am Grünen Hügel.

Aber auch größere Krisen hat die Wagner-Urenkelin bisher gut gemeistert, den plötzlich ohne Regisseur dastehenden „Ring“ 2013 (der durch Einspringer Frank Castorf grandios geriet), die durch Corona gebeutelten, zum Verschiebebahnhof geratenen vergangenen Jahre.

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Der Zweck der Wagner-Festspiele ist Kunst auf höchstem Niveau

Die nun wieder eifrig eingeforderte Änderung der „Strukturen“ in Bayreuth – gewiss, hie und da muss sie erfolgen, aber man ist ja auch schon seit einiger Zeit dabei.

Wichtiger scheint, den Zweck dieser Festspiele nicht aus den Augen zu verlieren: Kunst auf höchstem Niveau zu ermöglichen. So aufgeregt, wie der Diskurs um Bayreuth inzwischen läuft, scheint dieser Zweck nicht mehr überall als vordringlich empfunden zu werden. Wegen der Kunst aber, wegen nichts anderem kommt das Publikum nach Bayreuth.

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