"Giuditta" gehört wahrlich nicht zu Franz Lehárs meistgespielten Bühnenstücken. Doch nachdem die Münchner Staatsoper sie vor zwei Jahren erstmals auf ihren Spielplan gehobe hatte, nimmt sich nun auch das Theater Ulm der "Musikalischen Komödie in fünf Bildern" an. Regisseur Benjamin Künzel wirft einen neuen, kritischen Blick auf Giuditta und die Männer in ihrem Leben.
In "Giuditta" tänzelt Komponist Franz Lehár auf den Genregrenzen. Es ist sein letztes Bühnenstück, oft in die Schublade "Operette" gesteckt, dabei erfüllt "Giuditta" viele der typischen Merkmale nicht - hat neben einigen heiteren Momente nicht einmal ein Happy End, ist weder Komödie noch Tragödie. Fest steht allerdings: Es geht um die Liebe. Und da ist "Giuditta" auch rund 90 Jahre nach der Erstaufführung in der Wiener Staatsoper (ein Aufführungsort, der für Franz Lehár einem Ritterschlag gleichkam) noch brandaktuell.
Giuditta: Darum geht es im Stück
Die Ulmer Inszenierung von Benjamin Künzel bietet sich dabei als feministische Lesart des Stücks an und erforscht die Rolle der Frau tiefer, als es das Libretto ursprünglich wohl angedacht hatte. Die schöne Giuditta (Maria Rosendorfsky) findet die Ehe mit ihrem deutlich älteren Mann doch etwas fad und fühlt sich eingesperrt, vor allem, wenn er sich mal wieder in (nicht ganz unberechtigten) Eifersüchteleien ergeht. Der leidenschaftliche Hauptmann Octavio (Markus Francke) scheint da die bessere Wahl für sie zu sein – zwischen den beiden funkte es schließlich gleich beim ersten Treffen. Das Paar verlässt Italien gemeinsam Richtung Afrika, wo ihnen jedoch nur ein kurzes Glück vergönnt ist. Octavio erhält seinen Marschbefehl, den Gedanken, der Liebe wegen zu desertieren, verwirft er wieder. Da siegt dann doch Vernunft über Leidenschaft. Giuditta bleibt verzweifelt und verlassen zurück – und fällt so tief, wie eine Frau nur fallen kann.
In einem Nachtlokal verdingt sich Giuditta als Sängerin und zieht die Blicke aller Männer auf sich. Giuditta gerät unter Druck, auch von der Betreiberin des Etablissements. Es darf nicht nur beim Singen bleiben, Giuditta muss den Gästen auch andere Dienstleistungen erbringen – Regisseur Benjamin Künzel macht seine Giuditta zur Prostituierten und lässt nebenbei den Hit des Stücks, "Meine Lippen, sie küssen so heiß", in neuem Licht erscheinen. In Ulm wird es nicht von einer feurigen Femme Fatale interpretiert, sondern von einer Frau, die in einem Netz von Zwängen gefangen ist. Liedzeilen wie "dann muss sie einen andern küssen, sie kann ja nichts dafür", mit denen Octavio die Konsequenzen seines Weggehens besingt und eigentlich Giudittas überbordende Leidenschaft und Sehnsucht nach Liebe meint, wirken da fast zynisch.
Welche Rolle spielen die Männer?
Wenn Giuditta hier zum Opfer äußerer statt innerer Zwänge wird, nimmt das automatisch auch die Männer in die Verantwortung. Plakatives Beispiel: Giudittas Liebhaber – beziehungsweise Freier – Lord Barrymore. Alt, dick, aber so steinreich, dass er glaubt, sich mit Geld alles kaufen zu können, wird von Michael Burow-Geier praktisch als Karikatur dargestellt. Octavio, der sich nach seiner Rückkehr aus dem Krieg von der gefallenen Frau abwendet, die er einst ihrem Ehemann ausgespannt hatte, ist moralisch schon schwieriger zu bewerten.
Für Giuditta und Octavio rückt das erhoffte Glück in immer weitere Ferne, was Heiko Mönnich auch clever ins Bühnenbild integriert hat. Den heiteren Kontrast zum tragischen Paar bilden Anita (Maria Wester) und Pierrino (Robin Neck). Größte Herausforderung für ihre Liebe ist das fehlende Geld. In ihren Zankereien mag sich auch das ein oder andere Paar im Publikum ertappt sehen. Doch immerhin ist den beiden ganz operettenhaft ein gutes Ende vergönnt – und die Erkenntnis, dass es wirklich ohne Reichtum geht, wenn die Liebe groß genug ist.
Gegen das Orchester haben es die Sänger teils schwer
Das Orchester des Ulmer Theaters, das aktuell für eine Höherstufung von einem C- zu einem B-Orchester kämpft, setzt Lehárs Partitur unter der Leitung von Panagiotis Papadopoulos gekonnt um, wenngleich es die Sängerinnen und Sänger hin und wieder schwer haben, sich durchzusetzen. Das ist schade, trifft es doch auch Szenen, in denen Giuditta als viel bewunderte Nachtklub-Sängerin glänzen sollte. Abgesehen davon stehen mit Rosendorfsky und Markus Francke zwei Ulmer Routiniers in den Hauptrollen auf der Bühne, denen zuzusehen und zuzuhören auch hier wieder Spaß macht. Ebenfalls bemerkenswert: Martin Gäbler, der sich beherzt durch einen Großteil der männlichen Nebenrollen spielt, vom gehörnten Ehemann bis hin zum lüsternen Herzog.