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Foto: ehret+klein
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Der alte Karl-Schrem-Bau wurde im Februar 2019 abgerissen und wird im Landsberger ULP-Viertel in zwei Abschnitten neu errichtet.

Landsberg
06.08.2021

Der frühere Direktor der Landsberger Pflugfabrik: Wer war Karl Schrem?

Von Thomas Wunder

Plus Im ULP-Viertel wird ein Gebäude nach Karl Schrem benannt, dem früheren Direktor der Landsberger Pflugfabrik. Doch der soll ein aktiver Nationalsozialist gewesen sein.

Darf man im Jahr 2021 einen aktiven Nationalsozialisten aufgrund heutiger Maßstäbe und Bewertungen nicht mehr durch eine Benennung würdigen und ihn als Namensgeber in einem neuen Baugebiet etablieren? Diese Frage stellte Wolfgang Hauck in einem offenen Brief an Oberbürgermeisterin Doris Baumgartl (UBV), in dem er die Erinnerungskultur in Landsberg kritisierte (LT berichtete). Konkret geht es Hauck um den Karl-Schrem-Bau auf dem Gelände des neuen Stadtviertels Urbanes Leben am Papierbach. War Karl Schrem, von 1938 bis 1967 Direktor der Pflugfabrik, ein aktiver Nationalsozialist, und wie stehen Stadt und Investor zur umstrittenen Namensgebung?

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Die „Am Papierbach Entwicklungsgesellschaft“ und die „Bürgergruppe Urbanes Leben am Papierbach“ hatten die Namensgebung „Karl-Schrem-Bau“ vorgeschlagen. Im September 2020 votierten 2750 Landsbergerinnen und Landsberger bei einer Abstimmung dafür, das neu errichtete Gebäude im Bauabschnitt A1, in dem 62 Wohnungen und elf Gewerbeeinheiten Platz finden sollen, erneut Karl-Schrem-Bau zu nennen. Der alte Schrem-Bau war so marode, dass er abgerissen werden musste. Er hatte seinen Namen im Jahr 1963 aus Anlass des 40-jährigen Dienstjubiläums von Karl Schrem erhalten. In Schrems Zeit als Direktor fiel der Bau der Werkhalle, des größten Gebäudes auf dem Gelände der Pflugfabrik.

1971 wurde Karl Schrem den Bayerischen Verdienstorden

Doch wer war Karl Schrem? Elke Müller, die Leiterin des Stadtarchivs, hat sich auf Spurensuche begeben und etliche Quellen ausgewertet. Karl Schrem zog 1932 nach Landsberg, als die Produktion des Werks Pasing nach Landsberg verlegt wurde. Der gelernte Industriekaufmann stieg rasch auf und war von 1938 bis 1967 Direktor. Im Jahr 1960 erhielt Schrem anlässlich seines 65. Geburtstags für seine Verdienste um die Stadt den Goldenen Ehrenring. Im gleichen Jahr wurde er auch Träger des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse für seinen Beitrag zum wirtschaftlichen Aufschwung in der deutschen Industrie und auf dem Exportmarkt. Ministerpräsident Alfons Goppel verlieh Karl Schrem im Jahr 1971 den Bayerischen Verdienstorden.

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Foto: Archiv Lt
Foto: Archiv Lt

Karl Schrem war Direktor der Pflugfabrik.

Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich Karl Schrem seiner Rolle im Dritten Reich stellen. Die Pflugfabrik war ein Rüstungsbetrieb und als Ersatz für die zur Wehrmacht eingezogenen deutschen Arbeiter wurden viele deutsche Dienstverpflichtete, zivile Fremdarbeiter, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Strafgefangene eingesetzt. In seinem Meldebogen für das Entnazifizierungsverfahren gab Karl Schrem am 4. Mai 1946 an, er sei ab 1938 Mitglied in der NSDAP gewesen, habe aber „keinen Rang oder kein Amt“ ausgeübt. Ebenfalls Mitglied, aber ohne Rang oder Amt, war er in der Deutschen Arbeitsfront (DAF), in der Nationalsozialistischen Arbeitsfront (NSV) und im Stahlhelm (bis 1934). Sich selbst stufte er als Mitläufer ein.

Karl Schrem bestritt Vorwürfe

Aufgrund der Ermittlungen erhob der öffentliche Kläger bei der Spruchkammer Landsberg am 16. September 1946 Klage gegen Karl Schrem und beantragte, ihn in die Gruppe I (Hauptschuldige) einzureihen. Der Kläger beschuldigte Schrem, er habe mit seinen NS-Mitgliedschaften Sympathien für den Nationalsozialismus gezeigt, durch das System persönlich finanziell profitiert, habe ausländische Zivilisten und Kriegsgefangene völkerrechtswidrig behandelt und mit der Gestapo und ähnlichen Organisationen zusammengearbeitet.

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Karl Schrem beauftragte zwei Rechtsanwaltskanzleien mit der Wahrung seiner Interessen. Er legte eine Vielzahl von Zeugenerklärungen und Dokumenten vor, die die Vorwürfe entkräften sollen. So bescheinigte der Hauptwachtmeister des Strafgefängnisses Landsberg beispielsweise, Schrem habe dem Arbeitskommando von Strafgefangenen, das in der Kriegszeit in der Pflugfabrik arbeiten musste, „eine gute Zusatzverpflegung in Form von Wurst, Käse, Brot und Bier“ gewährt. Eine Misshandlung von Gefangenen sei nie vorgekommen.

Namensgebung: Kritik von Wolfgang Hauck

In der öffentlichen Sitzung der Spruchkammer Landsberg am 7. Januar 1947 bestritt Karl Schrem, jemals Ausländer misshandelt zu haben. Zur Mitgliedschaft in der NSDAP sei er gezwungen worden, man habe ihn bedroht. Er habe befürchtet, seinen Posten als Direktor zu verlieren. Die Spruchkammer stufte Karl Schrem aufgrund der Beweisaufnahme in die Gruppe der Mitläufer ein. Er habe glaubwürdig gemacht, niemals ausländische Arbeiter misshandelt oder schlecht behandelt zu haben. Er habe auch nicht mit der Gestapo zusammengearbeitet. Er sei nicht Nutznießer des Systems gewesen. Schrem hatte einen Sühnebetrag von 2000 Reichsmark an einen Wiedergutmachungsfonds zu leisten und die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Wolfgang Hauck hatte Schrem in seinem offenen Brief als „aktiven Nationalsozialisten“ bezeichnet. Für ihn sei es „befremdlich“ und „verstörend“, wenn man dem Investor die Namensgebung unreflektiert und unkommentiert überlässt. Er habe der Oberbürgermeisterin, aber auch ehret+klein eine historische Begleitung angeboten. Hauck ist auch eine Kontextualisierung der Zwangsarbeit in der Pflugfabrik als Rüstungsbetrieb während des Zweiten Weltkriegs wichtig.

Gespräche zwischen Stadt und Investor

Axel Flörke, der Kulturreferent der Stadt, würde es bei der Namensgebung belassen. Es sei nicht nachgewiesen, dass Karl Schrem ein „extremer Nationalsozialist“ war. Man müsse das Thema aber vorsichtig behandeln und auf die Vergangenheit des Direktors im Dritten Reich hinweisen. Für Manfred Deiler, den Präsidenten der Europäischen Holocaustgedenkstätte Stiftung, war Karl Schrem „ein Kind seiner Zeit“. Seine Einstufung als Mitläufer sei nicht unbedingt eine Entlastung. „Finden wir nicht eine andere Persönlichkeit, die als Vorbild besser geeignet ist?“, fragt Deiler und nennt den Gründer der Landsberger Pflugfabrik, Johann Georg Dobler.

Stadt und Investor sind nach Informationen unserer Zeitung offenbar im Gespräch bezüglich der Namensgebung. „Das müssen wir im Zuge der Erinnerungsarbeit aufarbeiten“, sagt Oberbürgermeisterin Doris Baumgartl auf Nachfrage. Es werde Gespräche mit ehret+klein geben. Dort hält man sich mit Aussagen zurück. „Wir haben uns entschieden, dass wir uns zum jetzigen Zeitpunkt zur laufenden Diskussion um die Person Karl Schrem nicht äußern“, teilt Unternehmenssprecher Matthias Fetzer mit.

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