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Die Ausstellung in der ehemaligen Synagoge in Hainsfarth macht auf die Schicksale und Lebenswege jüdischer Ärzte in den Dreißigerjahren aufmerksam.

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Bei der Ausstellungseröffnung in Hainsfarth (von links): Bürgermeister Franz Bodenmüller, Dr. Michael von Cranach, Vorsitzende Sigrid Atzmon, Dr. Wulf-Dietrich Kavasch, Ursula Ebell, Werner Eisenschink, Dr. Hansjörg Ebell.

Kulturtage
28.04.2012

Ein dunkles Kapitel deutscher Medizingeschichte

Ausstellungseröffnung in der ehemaligen Synagoge Hainsfarth

Hainsfarth „Die gesamte Gesundheitspflege von Juden gereinigt“ –Das war das perfide Ziel eines Gesetzes aus dem Jahr 1938, das jüdischen Ärzten verbot, ihren Beruf weiter auszuüben. Dieses dunkle Kapitel der deutschen Medizingeschichte wurde von Ursula und Dr. Hansjörg Ebell aufgeschlagen, als sie nach der Begrüßung durch die Vorsitzende des Freundeskreises der ehemaligen Synagoge Hainsfarth, Sigrid Atzmon, die Ausstellung eröffneten, die mit persönlichen Dokumenten und Lebenswegen auf das Schicksal jüdischer Ärzte in den Dreißigerjahren aufmerksam macht, die von Ursula und Dr. Hansjörg Ebell inhaltlich konzipiert und realisiert wurde.

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Das Ende der beruflichen Existenz

Viele Ärzte waren bereits 1933 nach der Machtübernahme der Nazis von ihren Funktionen und Aufgaben in Universitätskliniken und Krankenhäusern entlassen worden, obwohl sie häufig Jahrzehnte lang Leitungsfunktionen innehatten und sehr hohe medizinische Kompetenz verfügten. Im Jahr 1938 wurde die „Vierte Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ erlassen, die den Approbationsentzug aller jüdischen Ärzte und damit das Ende ihrer beruflichen Existenz in die Wege leitete, unter dem Deckmantel des Erhalts der sogenannten „Volksgesundheit“, – ein schrecklicher, unauslöschbarer Makel der deutschen Ärzteschaft, die sich dem Druck der Nationalsozialisten beugte. Von etwa 9000 jüdischen Ärzten verblieben 3152, denen mit dem „Erlöschen“ ihrer Approbation Diffamierung, Ausgrenzung und Existenzvernichtung einhergingen. Viele wählten den Freitod oder das Exil.

Ein Beispiel dieser systematischen Hetze auf die jüdischen Mediziner stellte Werner Eisenschink in seinem Referat über David Heimann, den jüdischen Arzt und Geburtshelfer in Nördlingen vor, der mehr als 35 Jahre, zuletzt in der Löpsinger Straße, als Hausarzt praktizierte. Als geachteter Bürger der Stadt, Kriegsteilnehmer im Ersten Weltkrieg mit Tapferkeitsauszeichnungen und als Mitglied in vielen Vereinen erlebte auch er die Ausgrenzung jüdischer Mitbürger. Glücklicherweise war er aber, im Gegensatz zu vielen andern, in der Lage, trotz vorheriger Ausraubung sich gerade noch rechtzeitig durch eine abenteuerliche Flucht in die USA der Mordmaschine der Nazis zu entziehen. Mit dem Verkauf seiner Schlafzimmermöbel konnte er diese mühsam finanzieren. Das Leben in Nördlingen war für ihn und seine Familie, Ehefrau Bianca und Tochter Antonie, unerträglich geworden: Entfernung als Krankenhausarzt, Entzug der Approbation, Verbot der Medikamentenverschreibung, Ausgrenzung aus Standesorganisationen und Vereinen, Verlust von Vermögen, vor allem aber die alltäglich drohende Deportation in ein Todeslager. Im Jahr 1953 starb er in den USA nach lebenslanger Sehnsucht nach der Heimat.

Zuvor hatte er auf dringende Bitten hin einigen Nördlinger Bürgern entlastende Beurteilungen für die Entnazifizierung ausgestellt. Seine Tochter „Toni“ besuchte noch mehrmals die alte Heimat, bevor sie im Jahr 2002 starb. Ein besonders düsteres Kapitel der Naziherrschaft war die traurige Geschichte der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren, der sich Dr. Michael von Cranach, selbst 1980 bis 2006 Direktor des Bezirkskrankenhauses, – so jetzt der Name der ehemaligen „Anstalt“ –, annahm.

Ein Erlass besiegelte das Schicksal

Das Schicksal der Insassen wurde durch einen Erlass vom 1. September 1939 besiegelt, als die Nazis den „Gnadentod für unheilbar Kranke“ beschlossen hatten. Es wurden sechs Heilanstalten von Patienten geleert und zu Vernichtungsanstalten umgestaltet mit Vergasungskammern mit Duschköpfen an der Decke, die Kohlenmonoxid über die Todeskandidaten ausströmten, und die angegliederten Krematorien zur Verbrennung der anfallenden Leichen. Interessanterweise änderte sich später diese Praxis und man ging zur Todesspritze über, da man spürte, dass die Bevölkerung nicht dahinter stand. Zwischen 1939 und 1945 wurden im Reichsgebiet über 200 000 Menschen mit psychischen Erkrankungen ermordet mit dem zynischen Ziel der „Schaffung eines gesunden Volkskörpers“.

Zynisch war auch die Erfindung einer speziellen „Diät“ des damaligen Kaufbeurer Direktors Valentin Faltlhauser, die zum Verhungern der Patienten führte, die er auch den anderen Anstalten als probates Mittel empfahl. Am Beispiel eines 13-jährigen Buben, des Ernst Losser, der einer jenischen Familie entstammte, schilderte von Cranach ein Einzelschicksal. Der schwierige, auffällige Junge wurde zuerst in ein Kinderheim, in ein Erziehungsheim und schließlich in die Kinderfachabteilung Kaufbeuren verbracht. Dort wurde er 1944 durch eine Todesspritze ermordet, nachdem man mit ihm mit den damaligen Erziehungsmethoden nicht beikam.

Die Erinnerungen zurück holen

Erst in den Achtzigerjahren hätten Psychiater und Historiker begonnen, sich mit dieser Thematik zu beschäftigen. Das Ziel dieser Aufarbeitung sei es, die Opfer zu würdigen, die Angehörigen zu entlasten und sie zu ermutigen, sich nach ihren getöteten Verwandten zu erkundigen und ihre Erinnerung in die Familien zurückzuholen. Michael von Cranachs Bestreben sei es dabei, zu verstehen, wie gut ausgebildete Ärzte, die Elite der deutschen Psychiatrie, zu Mördern wurden. Sicher seien Karriere, Geld und Kumpanei und das Interesse an der Untersuchung von Gehirnen entscheidende Motive gewesen. Aber er müsse sich selbst auch die Frage stellen: „Wie hätte ich mich selbst in dieser Situation verhalten?“ Darauf könne er keine Antwort geben.

Diese Unbegreiflichkeit der Geschehnisse begann bei allen Beispielen der Referenten dieser Ausstellungseröffnung mit der Ausgrenzung von Teilen der Bevölkerung und der staatlich angeordneten Straffreiheit der Mörder und gilt deshalb als Mahnung an die Lebenden. Das ist auch der Sinn dafür, dass man immer wieder die tatsächlichen Geschehnisse und ihre Folgen aus dieser Zeit darstellt. Dem folgten auch die zahlreichen, häufig am persönlichen Gespräch interessierten Zuhörer in der ehemaligen Hainsfarther Synagoge. (emy)

Über die Referate informiert auch die Webseite www.synagoge-hainsfarth.de

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