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Fußball-WM 2022: Zerrissene Träume: Arbeitsmigranten erzählen von den Zuständen in Katar

Fußball-WM 2022

Zerrissene Träume: Arbeitsmigranten erzählen von den Zuständen in Katar

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    Auf den Baustellen der Fußballstadien in Katar arbeiten tausende Arbeitsmigranten, etwa aus Nepal und Kenia. Die Arbeitsbedingungen werden nicht nur aufgrund der Hitze kritisiert.
    Auf den Baustellen der Fußballstadien in Katar arbeiten tausende Arbeitsmigranten, etwa aus Nepal und Kenia. Die Arbeitsbedingungen werden nicht nur aufgrund der Hitze kritisiert. Foto: dpa (Archivbild)

    Seit 15 Jahren arbeitet der Nepalese Jeevan Taramu, der eigentlich nicht so heißt, als Elektriker und Klempner in Katar. Und er war auch bei der WM-Baustelle im Einsatz. Was er an diesem Dienstagabend bei einer Diskussionsrunde im Münchner Rathaus erzählt, lässt die Zuhörer frösteln. "Einer meiner Kollegen, der mit auf der Baustelle gearbeitet hat, wurde durch schweres Material zerquetscht, das auf ihn fiel", erzählt Taramu. Mit einem anderen Kollegen habe er abends noch zusammen gegessen, nur wachte der Freund am nächsten Tag nicht mehr auf. Woran er genau gestorben ist, wurde nicht untersucht. Erschöpfung, Stress, Krankheit? Es sind zwei von vielen Todesfällen. Wie viele bei der Fertigstellung der WM-Stadien gestorben sind, weiß niemand genau. Laut den Recherchen des englischen Guardian starben seit der Vergabe des WM-Gastgeberlandes 6500 Gastarbeiter.

    Das katarische WM-Gastgeberkomitee bestreitet diese Zahlen und verweist auf deutlich niedrigere Zahlen – unter anderem deshalb, weil nur die Arbeiter gezählt werden, die direkt an WM-Stadien arbeiteten. Aber in Katar ist jede Baustelle ein WM-Infrastrukturprojekt. Die WM in dem Emirat ist mit Kosten in Höhe von 150 Milliarden US-Dollar das teuerste Turnier aller Zeiten – und zugleich das umstrittenste. Mit der Kritik an der WM wuchs auch das Bestreben der Gastgeber, kritische Stimmen zu ersticken.

    Blogger Bidali: "Ich konnte nicht mehr wegsehen. Genug ist genug"

    Eine davon gehört Malcolm Bidali, der ebenfalls an diesem Abend Teil der Runde ist, zu der die Linkspartei und "Die Partei" in Zusammenarbeit mit dem "Club Nr. 12", der Dachorganisation der Fans des FC Bayern München, eingeladen hatten. Bidali ist ein ehemaliger migrantischer Arbeiter aus Kenia und hat in Katar als Security gearbeitet, bevor er aufgrund Katar-kritischer Aussagen festgenommen und in Isolationshaft gesteckt wurde. "Ich konnte nicht mehr wegsehen. Genug ist genug, dachte ich", berichtet er.

    Bidali schrieb in seiner Zeit als Arbeitsmigrant einen Blog und berichtete über soziale Medien von der Situation in Katar. Aus der Haft wurde er gegen eine Kaution entlassen und anschließend des Landes verwiesen. Mittlerweile ist der Kenianer Mitgründer von Migrant Defenders, einer Gruppe, die sich für die Rechte von Arbeitsmigranten einsetzt.

    Während Bidali offen über die Problematik sprechen kann, möchten seine Mitreisenden ihre Identität möglichst geheim halten. Die zwei Arbeiter aus Nepal fürchten sich vor Strafen. Ein Arbeiter, der sich Krishna Shrestha nennt, war acht Jahre in Katar tätig. In der Zeit, in der er beim Bau der Stadien geholfen hat, sind ihm nicht nur die schlechten Arbeitsbedingungen auf den Baustellen aufgefallen.

    Ein wesentliches Problem sei auch die Unterbringung der tausenden von Arbeitern. Zu zehnt in einem Raum schlafen, sich mit bis zu 50 Menschen die Küche teilen. "Die Sanitär- und Kochanlagen waren auch für Menschen erschreckend, die nicht die Standards einer Wirtschaftsmacht wie Deutschland gewohnt sind." Vorgekochtes Essen konnte teilweise nicht gekühlt werden und wurde in der Hitze schlecht. Wer es trotzdem aß, wurde krank. Durch das Kafala-System arbeiten Menschen wie die Nepalesen unter sklavenähnlichen Bedingungen.

    Rekrutierungsbüros spielen mit den Träumen der Arbeiter

    Aber warum eigentlich? Ein großes Problem seien auch die Rekrutierungsbüros, die etwa in Nepal mit besserer Bezahlung und Boni werben, als die Arbeiter schließlich erhalten. In Katar angekommen, werde man genötigt, die alten Arbeitspapiere zu zerreißen, erzählt Shrestha. "Und wer in Katar arbeitet, muss erst einmal Geld investieren. Unter anderem in den Flug. Meist ist man erst einmal verschuldet." Für ihre Arbeit bekommen die Arbeiter 1000 bis 1800 Katar-Riyal. "Ungefähr", sagt der Nepalese. Je nach Unterbringung und Versorgung. Das sind zwischen 270 und 515 Euro. Es kann auch weniger sein. Nicht immer würden die Löhne fristgerecht ausbezahlt. Ihre Träume von einer besseren Zukunft sind zerrissen.

    Eine zweifelhafte Rolle spielt dabei der FC Bayern München, dessen Sponsoringvertrag mit Katar Airways seit Jahren Auslöser heftiger Kritik ist, etwa auf der eskalierten Jahreshauptversammlung. Vor kurzem machte Ehrenpräsident Uli Hoeneß Schlagzeilen, als er im Sport1-Talk Doppelpass Katar-Kritiker wie den ehemaligen DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig kritisierte und beteuerte, dass sich die Situation der Gastarbeiter verbessert habe. Malcolm Bidali wendete sich mit einer Bitte an alle Fußball-Fans: "Ich möchte darum bitten, den Druck von außen zu erhöhen. Damit Beteiligte dazu gezwungen werden, über Änderungen zu sprechen."

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