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Analyse: Was plant Wladimir Putin in Belarus?

Analyse

Was plant Wladimir Putin in Belarus?

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    Klar verteilte Rollen: Diktator Alexander Lukaschenko ist von der Unterstützung Wladimir Putins abhängig.
    Klar verteilte Rollen: Diktator Alexander Lukaschenko ist von der Unterstützung Wladimir Putins abhängig. Foto: Alexei Nikolsky, Imago

    Was die Panzer nicht schafften, gelang dem Regen. Über Stunden hinweg standen sich am Sonntag in Minsk wieder schwer bewaffnete Sonderpolizisten und zehntausende friedlich demonstrierende Menschen gegenüber. Vor dem Palast des belarussischen Langzeitpräsidenten Alexander Lukaschenko fuhren Schützenpanzer auf. Der Diktator hatte die Armee schon vor einer Woche in Gefechtsbereitschaft versetzt, um die Dauerproteste gegen seine umstrittene Wiederwahl notfalls von Soldaten niederschlagen zu lassen. „Schande“, riefen die Demonstranten in Richtung Palast und immer wieder: „Hau ab!“ Gemeint war Diktator Alexander Lukaschenko, der die Armee schon vor einer Woche in Gefechtsbereitschaft versetzt hatte. Schüsse fielen nicht, aber keiner weiß, ob das bei den nächsten Protesten auch so sein wird. Genauso offen ist die Frage, die immer mehr in den Mittelpunkt gerät: Welche Rolle spielt der russische Präsident Wladimir Putin? Was plant der mächtige Nachbar?

    Dazu passte, dass die Minsker Präsidialadministration anlässlich des 66. Geburtstags des Diktators demonstrativ mitteilte, dass Putin Lukaschenko per Telefon zum Geburtstag gratuliert und ihn zu einem Treffen nach Moskau eingeladen habe. Die Botschaft der Nachricht jedoch war eine andere: Der mächtige russische Präsident steht aufseiten des Regimes in Minsk und wird den Machterhalt im Zweifel garantieren. Tatsächlich hatte Putin schon Ende vergangener Woche in einer ersten öffentlichen Stellungnahme zu dem Konflikt im Nachbarland klargemacht, dass Russland zu einer polizeilichen oder sogar militärischen Intervention bereit sei, sollte das Regime in Minsk die Kontrolle verlieren.

    120 Festnahmen nach Protesten am Wochenende, unter ihnen auch viele Frauen

    Am Montag fielen die Bilanzen des dritten landesweiten Protestwochenendes in Belarus höchst unterschiedlich aus. Von einem „grandiosen Marsch des Friedens und der Unabhängigkeit“ schrieb das Portal der Menschenrechtsorganisation „Charta’97“ und berichtete von einer Viertelmillion Teilnehmern allein in Minsk. Aber auch in anderen Städten wie Gomel, Grodno oder Brest hatten sich Zehntausende versammelt, um Lukaschenkos Rücktritt zu fordern. Vertreter des Regimes beschränkten sich auf die schlichte Aussage, die Mehrheit der Bevölkerung stehe hinter dem Präsidenten. Einig war man sich in der Zahl der mehr als 120 Festnahmen. Unter den Inhaftierten waren erstmals auch viele Frauen. Beobachter werteten die jüngsten Festnahmen daher als weiteres Zeichen, dass das Regime zu keinen echten Kompromissen bereit ist.

    Der Regen am Sonntag in Minsk wirkte auf viele Beobachter wie ein Vorbote dessen, was der Protestbewegung im nahenden Herbst bevorstehen könnte: ein allmähliches Austrocknen. Davor warnen seit Tagen auch immer wieder oppositionelle Kommentatoren wie der polnischstämmige Publizist Andrzej Poczobut, der in Grodno im Westen von Belarus lebt. „Verliert die Bewegung an Zustrom, wird sie absterben“, warnt er. Die große Zahl der Protestierenden am Sonntag ließ zwar nicht erkennen, dass die Demokratiebewegung entscheidenden Schwung verloren hat. Andererseits ist es der Opposition bislang nicht gelungen, einen Generalstreik zu organisieren oder auch nur die Streiks in den großen staatlichen Betrieben aufrechtzuerhalten. Fast überall sind nach Entlassungen von Streikführern die Beschäftigten wieder an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt.

    In dieser Situation sucht die unter Zwang ins litauische Exil geflüchtete Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja weiter internationale Unterstützung. An diesem Freitag will sie sich per Videoschalte in einem Appell an die Mitglieder des Weltsicherheitsrats wenden. Möglich macht das die estnische Regierung, die in dem UN-Gremium derzeit nichtständiges Mitglied ist und Tichanowskaja eingeladen hat. Anfang kommender Woche soll dann ein Auftritt der 37-jährigen Lukaschenko-Herausforderin vor dem Europarat folgen, der kein EU-Gremium ist. Dem Europarat gehören alle Staaten des Kontinents außer Belarus an, dessen Mitgliedschaft wegen der Anwendung der Todesstrafe dauerhaft suspendiert ist.

    Proteste in Belarus: Experten halten einen schnellen Sturz des Regimes für unwahrscheinlich

    Allerdings spricht wenig dafür, dass eine breitere internationale Unterstützung für Tichanowskaja ihre Position im Ringen um die Macht in Belarus entscheidend stärken könnte. Solange der Sicherheitskomplex aus Polizei, Geheimdienst KGB und Armee hinter Lukaschenko steht, halten Experten einen schnellen Sturz des Regimes für unwahrscheinlich. Das gilt umso mehr, da Putin kein Interesse an einem wie auch immer gearteten Machtwechsel in Minsk hat erkennen lassen. Bislang ist es dem von Tichanowskaja geschaffenen Koordinierungsrat der Opposition auch nicht gelungen, den erhofften „nationalen Dialog“ mit allen politischen Kräften zu organisieren. Simpler Grund: Lukaschenko verweigert das Gespräch mit der Opposition, zumindest „unter dem Druck der Straße“.

    Immer offensichtlicher wird hingegen, dass der Präsident andere Pläne hat, die sich mit dem Schlagwort „Revolution von oben“ beschreiben lassen. Am Montag erklärte er am Rande eines Besuchs am Obersten Gerichtshof, er werde „dem Volk Veränderungen vorschlagen, die das Land voranbringen“. Damit deutete Lukaschenko, der seit 26 Jahren amtiert, erneut die Bereitschaft zu Reformen an, allerdings unter seinen Bedingungen. Forderungen der Opposition, zur Verfassung von 1994 zurückzukehren, die maximal zwei Amtszeiten für das Staatsoberhaupt vorsieht, lehnt er kategorisch ab: „Das gehört zu einer Vergangenheit, die wir überwunden haben. Wir wollen vorangehen.“ Nur wie, das sagt Lukaschenko nicht.

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